4.Kapitel

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Als wir zurück in der Wohnung angekommen waren und grade unsere Schals und Mäntel ablegten fühlte ich mich sicher genug um das Schweigen zu brechen.

,,Ich zahl dir jeden Cent zurück, Mama. Versprochen!" Platzte ich heraus.

,,Ach ja?!" Fragte sie angriffslustig. ,,Und wie willst du das anstellen, huh? Willst du stehlen o qué? Eine Bank ausrauben o qué?"

Sie baute sich bedrohlich vor mir auf und stützte die Hände in die Hüften. Ich hatte gewusst das diese Auseinandersetzung kommen musste. Es hatte sich angebahnt. Wie ein Gewitter im Sommer nach Wochen der Trockenheit. Jetzt war es bereit sich zu entladen.

,,Meine Tochter, erst eine Prüglerin, eine Sachbeschädigerin, dann eine Diebin, huh?! Ay ¡Dios Mío!" Meine Mutter schlug sich dramatisch die Hand gegen den Kopf. ,,Was habe ich nur bei dir falsch gemacht? Neun Monate lang habe ich dich im Bauch getragen, sechzehn Jahre lang jeden Tag mein Bestes gegeben und was ist der Dank?"

Sie zog einen schwarzen Schuh aus. ,,Das hier? Gerichtsverhandlungen, Schulverweise und Tausende von Euros die ich so einem alten Spießer zahlen muss weil du sein Auto kaputtgemacht hast!" Ein Schwall von spanischen Schimpfwörtern wurde mir, zusammen mit dem Schuh, entgegen geschleudert.

Ich duckte mich. Er knallte hinter mir gegen die Wand und fiel zu Boden.

,,Mamá, doch nicht die guten High Heels!''

Sie fluchte weiter, stellte den zweiten Schuh jedoch auf seinen Platz ins Regal und griff sich stattdessen ein paar Hausschlappen.

,,Ich werde nichts stehlen! Ich werde mir einen Job suchen!" Beeilte ich mich zu sagen und lief auf und ab, um ihr das zielen zu erschweren.

,,So So!" Sagte sie höhnisch. ,,¡Por Dios! Einen Job suchen! Du kannst doch nichtmal in der Schule anständig arbeiten! ¡Gurrupleta!"

Sie war jetzt richtig in Fahrt gekommen. Auf irgendeine Art war ich erleichtert. Die Angst vor dem Gewitter war immer schlimmer als das Gewitter selber.

Zack! Die erste Schlappe traf meine Schulter. Die Zweite verfehlte knapp meinen Hals.

,,¡Mamá!" Rief ich. ,,Es tut mir Leid! Lo siento! Lo siento mucho!"

Spanisch mit ihr zu sprechen wirkte immer. Sie ließ die Arme sinken. Erstarrte. Dann drehte sie sich um und ging mit steifen Schritten zum Sessel. Ließ sich darauf fallen.

Vorsichtig kam ich näher. Der Wutausbruch, das Gewitter, schien vorbei zu sein.

,,Mamí?" Fragte ich leise. Sie wandte das Gesicht ab, aber ich sah trotzdem das sie weinte. Ein tiefer dunkler Schmerz fuhr in mein Inneres. Mama weinen zu sehen tat mehr weh als jeder Schuh dieser Welt.

Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Die Maskara war verschmiert. ,,Es ist nicht nur das Geld wegen der Autoscheibe, mija." Krächzte sie. ,,Es sind auch die Gerichtskosten, der Anwalt, die Strafzahlung. Alles in Allem sind es etwa zehntausend Euro."

,,Ich zahl's dir zurück." Flüsterte ich. Meine Kehle schnürte sich zu.

Mama lächelte leicht. ,,Das glaube ich dir, aber wann?! Wir brauchen das Geld jetzt und ich habe keine zehntausend Euro! Nicht wenn wir die nächsten Monate noch Miete bezahlen und essen wollen!"

Meine Stimme war heiser. ,,Villeicht wenn ich ein paar Sachen von mir verkaufe? Meine Klamotten, mein Bett... Meinentwegen schlaf ich von jetzt an auf dem Boden."

Sie schüttelte traurig den Kopf. ,,Nein, mija, das reicht doch alles nicht." Sie stockte. ,,Ich werde deinen Vater fragen müssen."

Jetzt verstand ich warum sie so aufgewühlt war. Meine Mutter hasste es Dad nach etwas fragen zu müssen. Ich wusste, dass er zwar Unterhaltskosten und sowas für mich zahlte, aber ansonsten keinen Kontakt zu Mama aufrecht erhielt. Entweder weil Casey das nicht wollte, oder weil wir ihm einfach egal geworden waren.

Schule der AlpträumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt