Ich hatte fast vergessen, dass er mich immer abholt, was definitiv mein Fehler war. Schließlich hatte ich ihn vor einer Woche darum gebeten. Und vor 4 Tagen war er noch der bester freund meiner beste Freundins Freund. Es ist ziemlich kompliziert, aber ich hoffe trotzdem, dass er mich heute irgendwie vergisst oder etwas dazwischenkommt. Aber wie viel Glück ich auch habe, steht er schon mit seinem eleganten, sauberen, glänzenden und sehr teuren Auto da. Und dieser Junge arbeitet in einer Bäckerei?
Als ich ankam, war er im Auto nicht allein; ein kleiner Junge saß neben ihm. Als ich einstieg und dabei war, Hallo zu sagen, fing der Kleine sofort an zu fragen: „Abi, ist das deine Freundin?" Ein kleines Lächeln zauberte sich direkt auf mein Gesicht. Er sah so niedlich aus mit seinen schönen Jeans und seiner Bluse. „Nein, eine Arbeitskollegin. Sag Hallo zu ihr", sagte er, und er drehte sich direkt um, winkte mir zu und sagte: „Hi." Ich winkte zurück und begrüßte ihn auch mit einem Lächeln. „Can wird heute mitkommen. Meine Mama konnte heute nicht zuhause sein, deshalb habe ich ihn mitgenommen. Die Chefin weiß schon Bescheid", sagte er und sah mich im Rückspiegel an. Ich nickte nur. Als er Mama sagte wurde seine Stimme etwas zerbrechlicher. „Mama? Aber Abi, sie ist doch nie zuhause." „Can, was habe ich dir vorhin erzählt?" fragte er mit einem strengen Ton, wie ein älterer Bruder. Can nickte und fing an, mit seinem Spielzeug zu spielen. Den ganzen Weg über sprach Azad kein Wort. Irgendwas stimmte heute nicht mit ihm.
Nachdem wir angekommen waren, begann ich sofort zu arbeiten. Während Can am Tisch saß, mal aß und mal auf dem iPad spielte, stand Azad ohne ein Wort zu sagen an der Kasse und kassierte ständig ab. Nach etwa zwei Stunden kam ein gutaussehender junger Mann mit einem kleinen Mädchen herein. Can freundete sich sofort mit dem kleinen Mädchen an und setzte sich zu ihr. Azad unterhielt sich anfangs mit, ich glaube sein Name war Baran, dann versank er wieder in seine Gedanken und stand nur an der Kasse. Als ich bemerkte, dass eine Kundin hereinkam, versuchte ich, mich mit ihr zu beschäftigen.
Während ich in der Küche war, hörte ich plötzlich einen lauten Knall und lief sofort dorthin. Can war hingefallen, verdammt! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand einfach nur da, während Azad mit zitternden Fingern Cans blutende Nase hielt. Ich bat die Kundin, die vorhin gekommen war, mir Tücher zu bringen. „Hier", sagte ich, und Azad nahm sie mir direkt aus der Hand. Er war total in Panik, ich hatte ihn noch nie so erlebt. Als ich mich bei der Kundin bedankte und mit Azad und Can zur Toilette ging, bat Azad mich, draußen zu warten. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du aufpassen sollst, Can!" schrie Azad Can an.
Ich wollte reingehen, aber dann sprach er weiter: „Ich habe Mama versprochen, auf dich aufzupassen. So wird das nichts, wenn du nicht auf mich hörst." Diesmal sagte er es ruhig. Can entschuldigte sich mit zitternder Stimme. „Bitte, Can. Dich will ich auch nicht verlieren", sagte Azad und küsste, glaube ich, Can auf die Stirn. Moment mal. Was meint er damit? Ist... ist seine Mama gestorben? Aber warum meinte er heute, dass seine Mama nicht zuhause sei? Wieso hat er gelogen? Mein Herz begann irgendwie sofort zu rasen. Damals war seine Mutter immer die Elternsprecherin. Sie war im Gegensatz zu ihm so freundlich. Wie... wie ist das passiert? Und wann ist das passiert?
Sie kamen wieder heraus, und Can wurde direkt fünf Minuten später von einem Mann abgeholt, wahrscheinlich sein Onkel. Ich musste nur noch 45 Minuten arbeiten, dann hätte ich es für heute geschafft. An Azad änderte sich nichts. Er war immer noch ruhig. Selbst jetzt, als ich neben ihm im Auto saß, sprach er kein Wort. Sollte ich mit ihm sprechen? Ich nahm all meinen Mut zusammen und räusperte mich. „Ist alles in Ordnung?", fragte ich, während er geradeaus schaute, und sein Gesichtsausdruck sich nicht veränderte. Als ich die Hoffnung verlor, dass er antworten würde, sprach er doch. „Ist es so offensichtlich?", stellte er eine Gegenfrage. „Was?", antwortete ich und er schaute kurz zu mir. Erst jetzt bemerkte ich seine roten Augen. „Nichts, egal", sagte er dann. Scheiße, ich war gerade dabei, es aus ihm herauszukitzeln.
„Erzähl", drängte ich schließlich. „Es ist nichts", versuchte er zu lügen, aber er konnte echt nicht gut lügen. Als wir ankamen und er das Auto stoppte, entschied er sich anscheinend doch, es mir zu erzählen. „Heute ist der Todestag meiner Mutter", sagte er. Ich blieb sprachlos. Meine Vermutung war richtig gewesen. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. „Es ist -", begann er, aber seine Stimme versagte. Irgendwie spürte ich Mitleid. „Es ist schon ein Jahr her", fuhr er fort. Es ist also noch frisch. „Ein verdammtes Jahr ohne sie."
Ich wollte ihm helfen, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Can fragt ständig nach ihr, weißt du. Er fragt mich ständig, wo sie ist, und ich habe immer wieder keinen Antwort darauf", sagte er mit schwerem Herzen. Eine Träne rollte aus seinen Augen. Was sollte ich tun? „Mein Vater interessiert sich seitdem überhaupt nicht mehr. Er zieht einfach seine verdammte Arbeit durch und hat, glaube ich, mittlerweile vergessen, dass er noch zwei Söhne hat", seufzte er. Dann sprach er weiter: „Ich kann diese Verantwortung nicht tragen. Vor drei Monaten hatte Can Fieber, und ich war einfach nur da und fühlte mich so hilflos, dass ich komplett in Panik geriet. Ich kann einfach nicht auf ihn aufpassen... es ist nicht leicht, ich-"
„Du hast schon genug für ihn getan, und ich habe gesehen, dass du alles richtig machst", sagte ich, um ihn zu beruhigen. „Was ist, wenn ihm wegen mir etwas passiert? Allein das mit heute hat schon bewiesen, dass ich nicht auf ihn aufpassen kann", sagte er verzweifelt. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, hör zu. Kinder sind manchmal so aufgedreht. Manchmal passieren solche Dinge, weil sie unaufmerksam sind, nicht weil du nicht auf ihn aufpassen kannst", versuchte ich, ihn etwas zu beruhigen. Er sah mir in die Augen. „Weißt du, Ayla", begann er und hielt eine Weile inne, bevor er weiter sprach. „Meine Mama mochte dich schon immer." Bei diesen Worten wurden meine Augen etwas feucht. „Sie hat immer gesagt, dass du eine schöne Ausstrahlung hast", fügte er hinzu und lächelte leicht.
„Jetzt sehe ich es auch."
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i hate you
Roman d'amourAyla durchlebte eine anspruchsvolle Schulzeit, in der jemand, den sie zutiefst liebte, ihr Herz Stück für Stück brach. Im Laufe der Zeit wandelten sich ihre Gefühle zu Hass, und sie setzte alles daran, ihn in der Zukunft zu vermeiden. Dennoch hatte...