Kapitel 44

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Immer wieder wanderte mein Blick zu Getos Brust, an die Stelle, an der er die Finger in seinem üppigen Kimono eingepackt hatte, während wir weiter durch das weitläufige Labyrinth an Gängen liefen. Es musste ein riesiges, unterirdisches Netz sein, ich war mir sicher, dass es ganz Tokyo unterlief. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Wie lange waren wir schon hier unten? Eine Stunde? Zwei? Die ganze Nacht? Ich wusste es nicht. „Das war viel Arbeit, Addie." Geto klopfte sich auf die Brust, direkt auf die Tasche und sah mich an. Er musste meine Blicke bemerkt haben. „Aber das war es uns wert. Unser Ziel war es wert." „Das ist total krank." Flüsterte ich. „Ihr seit total krank." Geto verzog das Gesicht. „Aber aber. So harsche Worte." „Das ist sogar noch untertrieben." Meldete sich Megumi zu Wort. Ich riss den Kopf herum, um ihn besser sehen zu können, Getos Griff an meiner Schulter wurde fester. Megumi schien aufgewacht zu sein. Wütend riss er an Chosos Händen und schrie kurz darauf auf, als ein Pfeil aus Blut seinen Arm aufschlitzte. „Es tut euch allen gut, wenn ihr kooperiert. Ihr wisst ja gar nicht, was für eine Ehre euch zuteilwird." Meinte Geto und machte eine lapidare Geste, ohne sich umzudrehen. „Ihr solltet das schätzen." Toge warf mir einen besorgten Blick zu den ich erwiderte, ohne etwas zu sagen. Vorerst war keiner von uns in der Lage, etwas auszurichten. Die Bannseile schnitten tief in meine Haut, ein Wunder, das Sukuna das so lange hatte ertragen können. Doch ich biss die Zähne zusammen und ging weiter.

Die Glasfronten, deren leeren Inhalt wir bisher schon einige Male hatten bestaunen dürfen, säumten auch jetzt unseren Weg. Doch diesmal waren sie nicht leer. Hinter ihnen waren, eingesperrt wie Tiere, missgestaltete Menschen, ganz so, wie es bei Yatsuda der Fall gewesen war. „Ihr seht, den richtigen Weg haben wir trotz der Proben noch nicht gefunden." Geto tippte an eine der Scheiben, der Fluch darin drehte sich daraufhin um, rannte an die Scheibe und schlug so lange seinen Kopf dagegen, bis der Schädel aufplatzte und Blut an der Scheibe herunterlief. „Aber wofür testet man denn!" lachte er. „Was sind das für Leute?" fragte Megumi entsetzt. „Das sind alles Obdachlose gewesen." Sprang Mahito ein, Geto nickte. „Penner vermisst keiner."

Nach einigen Minuten, die zu unserem Glück ohne weiteres Geschwätz von Geto vergingen, blieben wir schließlich vor einem Aufzug stehen, mit einem leisen Ping öffneten sich die Türen. Unsanft schoben Choso und Jogo Megumi und Toge in den Aufzug, dicht gefolgt von Mahito, Geto und mir. Mahito beugte sich zu mir herunter, als sich die Türen schlossen und sich der Aufzug in Bewegung setzte. „Du weinst ja gar nicht mehr." Seine Finger strichen über meine blutverkrustete Wange. „Dabei war das schon zu amüsant, als der 7:3 Jujuzist gestorben ist. Wie ein verwundetes Tier hast du geheult." Ich musste meine ganze Kraft aufbringen, Mahito nicht hier und jetzt mit den Bannseilen zu erwürgen. Nicht das ich das auch wirklich geschafft hätte, mich zu befreien. Aber die Vorstellung gefiel mir, dass konnte ich nicht leugnen. Stattdessen setzte ich einen leeren Gesichtsausdruck auf und starrte die metallenen Aufzugtüren an. Hätte nur noch so lächerliche Aufzugmusik gefehlt, um diese Szenerie noch grotesker zu machen, als sie es eh schon war.

Der Aufzug wurde langsamer. „Oh, ganz vergessen. Sorgt euch nicht allzu sehr um euren pinkhaarigen kleinen Freund. Hanami war so zuvorkommend, Yuji abzufangen, ehe er eure Freunde in der Akadmie verständigen konnte." Megumi hinter mir schnappte nach Luft. Das war also Yuji gewesen, dessen Schritte ich gehört hatte. Er wollte Hilfe holen. Leider erfolglos. „Also läuft alles nach wie vor nach Plan. Welch Erleichterung!" Mahito klatschte freudig in die Hände, die Fahrstuhltüren öffneten sich. Sofort strömte kalte Luft herein, mir fröstelte. Von meinem Kleid war nicht mehr allzu viel übrig. Geto schob mich aus dem Fahrstuhl, schnell sah ich mich um. Wir waren auf einem Dach eines Hochhauses am Rande Tokyos. Hier war der verlassene Bezirk, niemand kümmerte sich um diesen Teil der Stadt, der langsam, aber sicher vor sich hinvegetierte. Aber jetzt war auch klar, warum sich niemand kümmerte. Sicher gehörte das Land hier Toshiro. Mein Blick blieb an der kleinen Gruppe von Personen hängen, in deren Mitte Yuji stand und uns mit offener Trauer aus einem Auge ansah. Das andere war bereits zugeschwollen und schillerte lila unter dem hellen Mondlicht. „Entschuldigt bitte. Ich habe es nicht rechtzeitig geschafft." Murmelte er. „Schon gut, Yuji. Du hast es versucht." Meinte ich, Toge neben mir nickte zustimmend. Megumi schloss die Augen und blickte dann in den Himmel. Der Wind frischte auf, zauste mir das Haar und ließ Gänsehaut über meine Haut rieseln. „Darf ich vorstellen: Meine Freunde dort drüben sind Hanami und Haruta." Der blonde Junge mit den langen Haaren hob lachend die Hand und winkte uns zu und wirkte etwas enttäuscht, als es keiner von uns erwiderte. Wie auch, mit gefesselten Händen. Schnell kam er auf uns zu und musterte mich. „Das ist sie also. Hatte dich mir hübscher vorgestellt." Mit aller Kraft holte ich aus, schwang meinen Kopf in sein Gesicht und hörte zufrieden, wie seine Nase unter meinem Stoß brach. Heulend zog er sich zurück, Blut lief ihm über das Gesicht und besudelte seine Kleidung. Ich kam nicht drumherum, dass mit einem Lächeln zur Kenntnis zu nehmen. „Vorsicht, Haruta. Man sieht es ihr vielleicht nicht an, aber unsere Addie hier ist keine leichte Gespielin." Lachte Geto. „Aber keine Sorge, dass wird ihr gleich vergehen."

Das klang gar nicht gut. Erst jetzt fiel mir die große Blumenwiese auf, die hier oben auf dem Dach wuchs. Wie ging das denn? „Hanami, wärst du so gütig?" der Fluch mit den Astaugen nickte, die Wiese verschwand. War wohl eine Illusion gewesen. Entsetzt schrie ich auf als ich sah, was die Illusion verborgen hatte. Schnell versuchte ich, mich von Geto zu lösen, doch genauso schnell griff auch Choso mit ein und dünne Seile aus Blut hielten mich zurück. Dort, am Boden kniete Sukuna, gehalten wurde er lediglich noch von den Bannseilen, die seinen Körper umschlangen, er schien bewusstlos zu sein. Gehalten wurden diese Seile von einem Fluch, den Geto uns als Dagon vorstellte. Sukunas Kleidung war zerrissen und unter all den Bannseilen kaum noch zu sehen. Sein Gesicht sah übel aus. Nachdem die Bannseile verhinderten, dass man Fluchkraft nutzen konnte, hatte er sich nicht heilen können. Geschweige denn überhaupt irgendwas groß tun können. Das sah man schon allein daran, wie tief sich die Bannseile bereits in sein Fleisch gefressen hatten. „Siehst du, Haruta? Schon ist das selbstzufriedene Grinsen verschwunden." Haruta lachte bloß und nickte. „Dagon war so frei und hat Sukuna mit den Bannseilen eingefangen, als du gerade deinen kleinen mentalen Kollaps hattest, Addie. Du machst es einem aber auch leicht. Keiner von euch hat es gemerkt." Mehrstimmiges Lachen ertönte.

„Dann wollen wir mal anfangen." Geto ließ mich in Hanamis Händen, zückte die Tasche und begann, die Finger zu lösen, ehe er vor Sukuna in die Hocke ging und sein Gesicht anhob. „Das kannst du nicht ernst meinen!" Megumi riss an Jogos Händen, um sich zu befreien. Auch Yuji gab sich alle Mühe, freizukommen. Doch vergebens. „Jetzt, da Sukuna einen eigenen Körper hat, ist die Chance sehr hoch, dass er in eine Raserei verfällt, wenn er die restlichen Finger auf einmal zu sich nimmt." Geto warf uns über die Schulter ein unschuldiges Lächeln zu. „Wer könnte es ihm verdenken? So einen plötzlichen Kraftzuwachs verarbeitet man nicht binnen Sekunden." Er schnipste mit den Fingern, um uns die Kürze eines Momentes zu verdeutlichen, dann nahm er den ersten Finger in die Hand.

„Lang lebe der König."

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Kapitel 44!

Ich muss sagen, ich bin selbst ganz gespannt, wie es weitergeht!

Eure Erin xx

Plötzlich Fluch (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt