Kapitel 65

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Ich konnte gar nicht glauben, was ich da beobachten musste. Toshiros Haut verfärbte sich fleckig schwarz, seine Augen begannen, blutrot zu schillern. Sein Körper zuckte, wuchs an und fiel dann wieder in sich zusammen. Ein Blitz erhellte die dunkle, verregnete Szenerie, unterstrich seine Gesichtszüge, die von unsäglichen Qualen sprachen, ein animalischer Schrei kam über seine Lippen, Blut lief ihm über die Wangen, als sich, wie bei mir, zwei schmale Schlitze für das zweite Paar Augen öffneten. Erneut schrie er, es fiel mir schwer, in der sich krümmenden Gestalt vor mir noch einen Menschen zu erkennen. Geschockt wich ich einige Schritte zurück, kurz flutete mich die Hoffnung, Toshiro hätte bei seiner Arbeit doch geschlampt und würde jeden Moment tot umfallen. Doch wenn ich etwas wusste, dann, dass man Toshiro nicht unterschätzen durfte. Er war genauso brillant wie wahnsinnig.

Immer wieder überrascht es mich, wie nahe diesen beiden Eigenschaften doch beieinander liegen.

Ich wusste, wenn ich das alles beenden wollte, dann war das hier womöglich meine letzte Chance. Der Wind rauschte laut in meinen Ohren, machte es mir schwer, mich selbst denken zu hören. Toshiro war nie angreifbarer gewesen als in diesem Moment. Mit einem Satz sprang ich ihn die Luft, bündelte so viel Fluchkraft wie nur möglich in meiner Faust, bereit, ihm den Todesstoß zu versetzen. Doch alles, was unter meiner Faust zersplitterte, war der dunkle Asphalt. Toshiro war im letzten Moment aus dem Weg gesprungen, ich hörte ihn lachen. Vor mir teilte sich die Menge der missgebildeten Menschen, ich schaffte es nicht, meine Ungläubigkeit zu verstecken. Toshiro war sicher um einen Kopf gewachsen, vier strahlend rote Augen blickten hämisch auf mich herab. „Ich muss schon sagen," Toshiro schlenderte auf mich zu und betrachtete dabei der Reihe nach seinen mit schwarzen Malen übersäten Körper, „das hat was, Adelina. Das hat was."

Ich ging einige Schritte zurück. Aber nicht, um wegzulaufen, sondern um Anlauf zu nehmen. Mit einem donnernden Schlag prallten unsere Fäuste aufeinander, seine Fluchkraft vibrierte durch meinen Körper und ließ mich Blut spucken. Mit einem gezielten Tritt in den Bauch beförderte Toshiro mich über die Köpfe der restlichen deformierten Menschen hinweg, die mit gierigen Händen nach mir griffen und nach und nach von meinen Freunden ausradiert wurden. Ich war noch nicht mal am Boden aufgeschlagen, da tauchte Toshiro bereits wieder unter mir auf, ein weiterer Tritt folgte, ich sah Sternchen. Doch diesmal sah ich ihn rechtzeitig, drehte mich im Flug und landete donnernd an der maroden Wand der Fabrik stand in seiner Faust. Die instabile Wand fiel unter dem Aufprall in sich zusammen, Staub wirbelte auf und verschleierte die Sicht. Viel Zeit hatte ich nicht, Toshiro konnte meine Fluchkraft genauso spüren wie ich seine.

Toshiros Augen glühten durch den Staub hindurch, ich wusste genau, wo er war. Ich hörte ihn schreien, als die Sezierung ihn traf, Blut spritzte, färbte den Boden vor mir rot. Meine Schadenfreude wurde mir jedoch zum Verhängnis. Toshiro raste wie der Wind durch die Staubwolke hindurch, offenbar unbeeindruckt von der tiefen Wunde, die seine Brust zierte. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich, sein Herz durch den Schnitt hindurch schlagen zu sehen. Zähneknirschend hob ich den Kopf, sah Toshiro auf mich zufliegen. Und mir fiel etwas auf. Er hatte nach wie vor nur zwei Arme.

Er war nach wie vor ein Mensch!

Doch ich, ich war kein Mensch mehr. Ich war ein Fluch, dank ihm. Ein breites Grinsen trat auf mein Gesicht.

Wenn er sich damit mal nicht sein eigenes Grab geschaufelt hatte.

Das volle Potential wartete nur darauf, dass ich es ergriff, kochte unter meiner Haut, streckte seine Hände nach mir aus. Blitzschnell rollte ich mich auf die Füße, riss Toshiro im Flug aus der Luft, packte ihn am Kopf und donnerte sein Gesicht mit aller Kraft, die ich hatte, in die Trümmer der Ziegelwand, spürte meine Haut reißen, als sich aus meinem Rumpf ein weiteres Paar Arme schälte. Plötzlich riss mich jemand von hinten weg. Ich hatte Dagon gar nicht bemerkt, der mich von Toshiro wegzog und einen Schwall an Piranhas in meine Richtung schickte, die mit einem Wink meiner Hand zuckend zu Boden fielen. Ich streckte das zweite Paar Arme weit aus, spürte die Kraft in ihnen. Unbeeindruckt sah ich Dagon entgegen, der auf mich zugestürmt kam und kurz darauf mit meiner Hand zusammenstieß. Ich hatte ihn mit einer Hand gestoppt, der Aufprall hatte es nicht mal geschafft, mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Ich zog ihn nah an mich ran, hielt ihn fest, sah amüsiert dabei zu, wie er versuchte, sich zu befreien.

Plötzlich Fluch (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt