Kapitel 28

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In der Nacht habe ich einen schlimmen Albtraum. Ich träume von Äxten mit mehreren Gliedmaßen, die nach mir greifen und mich umzingeln, sie haben verzerrte Grimassen als Gesichter und sie schreien nach mir. Sie drängen mich immer weiter zurück, packen mich an, überall ist Gewitter um mich herum und ich kann nichts sehen. Ich will schreien und mich wehren, doch mein Körper gehorcht mir nicht. Der Kopf meiner Mutter schwebt aus dem Nichts auf mich zu, lacht und verhöhnt mich. Ich möchte wegsehen, aber sie taucht immer wieder vor mir auf. Sie wirkt verstörend fremd und missgestaltet und als ihr plötzlich eine Axt als Körper wächst und sie schreiend ihre Klingenhände nach mir ausschlägt, wache ich schreckhaft auf. Bescheuerter Horrorfilm! Mein Atem geht schnell, mein Herz rast wie wild und ich spüre Schweiß auf meiner Haut. Es dauert einen Moment, bis ich die dunkle Zimmerdecke über mir wiedererkenne und ich mich daran erinnern kann, dass ich nicht zuhause bin, sondern bei Yeon. Da, wo es am sichersten ist. Yeon. Ich beruhige mich wieder und als ich mich endlich aus meiner Starre lösen kann, steige aus dem Bett, um leise ins Wohnzimmer zu tapsen. Der Fernseher läuft noch, aber er ist auf stumm gestellt und sein kaltes, flimmerndes Licht fällt auf Yeon, der tief und fest auf der Couch schläft. Er tut mir leid, dass er nicht in seinem Bett schlafen kann, das Sofa ist für ihn viel zu klein. Seine Füße hängen über die Armlehne hinaus. Ich sollte ihm anbieten, dass wir tauschen, immerhin würde ich viel besser auf die Couch passen. Ich seufze leise und nähere mich vorsichtig, um den Fernseher auszuschalten und Yeon etwas besser zuzudecken. Müde setze ich mich auf den Couchtisch und betrachte meinen schwarzhaarigen Bodyguard und Retter. Der Albtraum sitzt mir immer noch in den Knochen, an Schlaf ist so schnell nicht mehr zu denken. Außerdem rauschen mir viel zu viele Gedanken durch den Kopf, das mit meiner Mutter wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich es verkraftet habe. Es war ein beschissenes Gefühl, als Yeon mir davon erzählte. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber tief in meinem Inneren war ich dennoch nicht überrascht. Das würde meine nüchterne Reaktion erklären. Weh getan hat es trotzdem, wie ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Auch wenn ich Yeon sagte, ich würde nichts unternehmen, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht doch irgendwann wieder Kontakt zu ihr haben möchte. Komplett aus meinem Leben verbannen kann ich sie nicht. Ich betrachte Yeon weiter eingehend, ich fühle mich so entspannt und zufrieden bei ihm. Er weiß wahrscheinlich gar nicht, wie dankbar ich ihm bin. Ohne ihn würde es mir jetzt definitiv scheiße gehen! Ich beuge mich etwas vor und stütze meine Unterarme auf meinen Oberschenkeln ab. Mir wird wieder einmal bewusst, wie hübsch er doch eigentlich ist und dass er gerade sehr friedlich aussieht, auch wenn seine Augenbrauen leicht zusammengezogen sind. Seine Grummeligkeit wird er wohl nie ablegen können. Unbewusst rutsche ich noch ein Stückchen nach vorne, weil ich mir seine langen Wimpern genauer anschauen möchte.
„Wenn du noch näher kommst, musst du mich wachküssen," grummelt Yeon plötzlich verschlafen und im nächsten Moment blicke ich in zwei grün-graue Augen, die mich in der Dunkelheit an den tiefen Ozean erinnern. Ich zucke zusammen und eigentlich will ich zurückweichen, aber stattdessen sitze ich wie versteinert auf dem Couchtisch und starre Yeon einfach nur an. Auch er regt sich keinen Millimeter, sondern hält meinem Blick stand, sodass ich noch tiefer in seinen Bann gezogen werde. Meine Knie werden weich und mein Herz schlägt holprig in meiner Brust. Er macht rein gar nichts und trotzdem bringt er mich so aus dem Konzept? Ich verstehe es nicht. Langsam geht seine Augenbraue fragend in die Höhe.
„Ich ...ich wollte nur sehen, ob ...ob du auch wirklich schläfst," stammle ich wie ein bescheuerter Idiot und richte mich langsam auf. Wie awkward ist das bitte von mir?!
„Warum?" fragt Yeon in einer rauen, tiefen Stimme, die mein Herz noch einmal höher springen lässt. „Willst du mich ausrauben?"
Endlich kann ich mich von seinem Blick lösen und springe hektisch auf, um laut und gekünstelt zu lachen.
„Das habe ich nun wirklich nicht nötig!" rufe ich und gehe um den Couchtisch herum. „Ich habe genug auf der hohen Kante!"
„Ich weiß ja nicht. Dafür kenne ich dich nicht gut genug," grummelt er. Ich mache ein abschätziges Geräusch und winke ab.
„Was soll ich denn einem armen Schlucker wie dir stehlen? Deine letzte Würde?" Ich halte inne und schlucke. Bin ich jetzt vielleicht etwas zu weit gegangen? Doch statt böse zu werden oder fies zu kontern, lacht Yeon einfach nur und es scheint mir so, als würde es wirklich von Herzen kommen. Für einen kurzen Moment wirkt er unbeschwert und mir wird wieder bewusst, wie toll ich sein Lachen finde.
„Touché!" sagt er dann nur grimmig und richtet sich auf der Couch etwas auf, während er sich die welligen, schwarzen Haare aus dem Gesicht streicht. Das lockere, wellige Haar steht ihm besser als das streng zurückgekämmte. Ich lächle nur erleichtert zurück, dann gehe ich in die Küche an den Kühlschrank, um mir etwas zu trinken zu holen.
„Es tut mir leid, dass ich dich wach gemacht habe. Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte eigentlich nur schnell was trinken." Ich hole eine kleine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und drehe mich wieder zu Yeon um, der sich müde durchs Gesicht fährt und brummt.
„Ich habe eh nicht wirklich geschlafen."
„Ich kann auch auf der Couch schlafen, das weißt du, oder?" frage ich, weil sich mein Schuldgewissen wieder meldet. Das hier macht doch gar keinen Sinn! Ich bin bei ihm zuhause, ich bin sein Gast, also sollte ich doch eigentlich auf der Couch schlafen! Langsam steht Yeon auf und kommt zu mir in die Küche geschlurft. Erst jetzt bemerke ich, dass er nur ein lockeres, schwarzes Tanktop und eine Boxershort trägt. Zum ersten Mal sehe ich seine tätowierten Arme und Beine, seine Brust ist teilweise auch schon bedeckt. Ich bin so fasziniert von den Motiven und seiner ganzen Erscheinung, dass ich fast nicht mitbekomme, dass er weiterhin mit mir spricht.
„Das ist ja ganz süß, aber das kommt nicht in Frage," sagt er mit grimmiger Stimme und kommt mir noch ein Stück näher, „du bist der Popstar und nur du musst rund um die Uhr gut und ausgeschlafen aussehen. Niemand schert sich um irgendeinen übermüdeten Bodyguard. Also schläfst du im Bett und ich auf der Couch. Basta."
Plötzlich greift er seitlich über mich in den Schrank und holt ein Trinkglas heraus. Ich möchte zurückweichen und Platz machen, stoße aber gegen die Küchenzeile und sofort werden meine Knie weich, weil er mir so nahe kommt. Mein Blick hängt immer noch an seinen Tattoos und das scheint auch Yeon zu bemerken, denn er grinst mich an. Mein Herz schlägt wie verrückt und ich habe Mühe, nicht in hektisches Atmen auszubrechen. Verfluchter Yeon! Was macht er mit mir?!
Stumm hält er mir sein Trinkglas hin und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm etwas aus der Wasserflasche einschenken soll. Ich drehe den Verschluss ab, aber da sich plötzlich unsere Blicke treffen und ich sofort in ihren tiefen Bann gezogen werde, bleibt es bei der offenen Flasche. Gerade bin ich zu nichts mehr imstande und verliere die Kontrolle über meinen Körper. Kommt er mir gerade noch näher oder bilde ich es mir nur ein? Ich rieche seinen herben Duft, der mir einen warmen Schauer verpasst und meine Knie nun gänzlich zu Pudding werden lässt. Yeon lächelt und seine leicht spitzen Eckzähne kommen zum Vorschein und unweigerlich kommt mir die Frage in den Sinn, wie sie sich wohl auf meiner Haut anfühlen mögen. Erschrocken und schockiert über diese äußerst schmutzige Vorstellung verwerfe ich den Gedanken schnell wieder und schlucke schwer, meine Augen immer noch auf seine gerichtet. Nun kommt er aber wirklich ein Stück näher und murmelt mit einer besonders tiefen, rauen Stimme, die mir eine Gänsehaut verpasst:
„Ich mag dich."
Ich schlucke erneut und dieses Mal so laut, dass es selbst Yeon gehört haben muss. Was soll das bedeuten? Inwiefern mag er mich? Warum sagt er das? Tausend Fragen und Gedanken rauschen in meinem Kopf umher und ich bin mit einem Schlag dermaßen überfordert, dass ich diese Aussage komplett falsch einordne und ich das erstbeste sage, das mir in den Sinn kommt.
„Ich mag dich auch. Du bist ein richtig guter Kumpel geworden!" Ich schenke ihm etwas Wasser ins Glas, um ihn nicht anblicken zu müssen.
Yeon richtet sich auf und schenkt mir einen Blick, den ich nicht deuten kann und der mir einen heftigen Stich ins Herz verpasst. War es nicht das, was er erwartet hatte oder hören wollte? Ich weiß gerade gar nicht, was ich denken soll! Ich suche nach irgendwelchen Worten, die die Situation noch retten könnten, doch bevor ich etwas sagen kann, wendet Yeon sich mit einem kühlen Blick von mir ab und trinkt sein Glas aus.
„Klar, wir sind Kumpels."
Er stellt das Glas in die Spüle und geht zur Couch zurück, um sich wieder hinzulegen. Ich bleibe völlig überfordert und verdutzt in der Küche stehen. Mein Kopf ist voller Fragen und Gedanken und dennoch ist es gerade unmöglich, auch nur ansatzweise geradeaus zu denken. Oder überhaupt irgendetwas zu denken. Er mag mich? Was soll das heißen? Ich überlege, ihn zu fragen, doch ich habe das Gefühl, dass ich den richtigen Zeitpunkt dafür verpasst habe. Scheiße, was mache ich denn jetzt? Unsicher gehe ich um die Kücheninsel herum und räuspere mich. Was soll ich sagen? Soll ich überhaupt etwas sagen?
„Gute Nacht," sage ich und versuche, nett zu klingen. Von Yeon bekomme ich keine Antwort mehr, also gehe ich zurück ins Schlafzimmer und lasse mich aufs Bett fallen. Gerade könnte ich ganz laut schreien! Ich verstehe einfach nicht, was da gerade in der Küche passiert ist. Ist er mir mit Absicht so nahe gekommen oder habe ich es mir nur eingebildet? Es war sicher nur Einbildung! Er wollte doch nur an den Schrank hinter mir. Ich rede mir ein, dass da nichts war und dass Yeon es genauso gemeint hat wie ich. Dass wir nur sehr gute Freunde sind, die sich mögen. Was ist schon dabei? Ich versuche mir auszureden, dass ich so intensiv auf ihn reagiere und dass es etwas bedeuten könnte. Ich stehe nicht auf ihn. Das ist unmöglich. Ich stehe nicht auf Männer! Niemals! Außerdem ist Yeon doch auch nicht der Typ dafür, oder? Ich kann es mir nicht vorstellen. Immer wieder rede ich mir ein, dass nichts ist, dass nichts passiert ist und dass alles in Ordnung ist, um nicht völlig durchzudrehen. Irgendwann schaffe ich es, meine Gedanken zu beruhigen und endlich ins Bett zu gehen, dennoch liege ich die restliche Nacht komplett wach und grüble unbewusst über all die Situationen der vergangenen Wochen nach. Ich werde einfach nicht aus mir schlau.

Am frühen Morgen wache ich total müde auf, ich fühle mich wie gerädert, als hätte ich einen Marathon oder so hinter mir. Ich blicke hoch an die Zimmerdecke, die Sonne ist bereits aufgegangen, aber draußen ist es diesig und grau. Der Herbst hält endlich Einzug, eine Jahreszeit, die ich nicht sonderlich mag. Dann auf einmal habe ich ein seltsames Gefühl nach dem Aufwachen, wie wenn einem ein besonderer oder verrückter Traum nachhängt, an den man sich aber nicht mehr erinnern kann. Er verblasst viel zu schnell und man bekommt ihn nicht mehr zu fassen, egal wie sehr man versucht sich zu erinnern. Am Ende bleibt dieses intensive Gefühl, das der Traum zurücklässt. Ein Gefühl, das man im Traum selbst verspürt hat, als hätte man es in der Realität erlebt. Ich liege lange da und versuche mich zu erinnern, was ich geträumt habe, aber erfolglos. Gähnend blicke ich zu meinen Füßen und sehe, dass ich einen Ständer habe. Ich stöhne genervt und lasse den Kopf zurück ins Kissen fallen. Wieder suche ich nach der Erinnerung des Traums, doch er ist einfach weg. Dieses seltsame, intensive Gefühl aber bleibt und kriecht mir in die Knochen und ich kriege Gänsehaut davon. Es beißt sich in meinem Herzen fest und verursacht plötzlich eine unerträgliche Sehnsucht nach etwas Unbekanntem und mit einem Mal will ich mehr von dem, das ich nicht kenne. Ich weiß nicht, was es ist, doch das Gefühl und der Gedanke daran lassen mich noch härter werden. Unbewusst geht meine Hand unter die Bettdecke und in meine Boxershort und ich fange langsam an mich zu massieren. Es fühlt sich gut an und ich schließe die Augen, lasse mich von dem Gefühl komplett einnehmen und einhüllen. Es wird so stark, dass ich schneller mit der Hand werde und nicht mehr viel fehlt, bis ich komme.
Plötzlich geht die Zimmertür auf und Yeon erscheint im Rahmen, eine Tasse Kaffee in der Hand. Erschrocken und panisch quietsche ich auf und bedecke mich mit einem Kissen. Sofort spüre ich, wie mein Gesicht heiß wird und wahrscheinlich bin ich binnen weniger Sekunden rot wie eine Tomate. Yeons Blick verfinstert sich böse und am liebsten würde ich jetzt im Boden unter dem Bett versinken. Scheiße!
„Das ist wohl nicht dein fucking Ernst?" knurrt er mies gelaunt. Panisch stammle ich vor mich hin und suche verzweifelt nach einer Erklärung, während ich wie der letzte Volltrottel mit dem Kissen auf meinem Schritt im Bett liege und mit den Beinen zapple. Was für ein erbärmliches Bild ich wohl gerade abgeben muss.
„Du bist gerade mal eine Nacht hier! Und das in einem fremden Bett!!" sagt mein Bodyguard nun laut und mehr als verärgert. „Vielleicht sollte ich dich doch auf die Straße setzen!"
Zornig stellt er die Kaffeetasse neben der Tür auf die Kommode und verlässt das Zimmer wieder. Ich vergrabe beschämt mein Gesicht in den Händen und rolle mich auf die Seite. Verdammt! Wieso habe ich das gemacht? Das sieht mir doch sonst nicht ähnlich! Ich weiß doch, dass man so was nicht macht, wenn man zu Gast ist! Was hat mich da nur getrieben!? Und das Beunruhigendste daran ist, dass ich eine Sekunde lang erregt war, als ich Yeon gesehen habe.
„Zieh dich an und mach dich fertig! Du wolltest in die Stadt!" höre ich ihn noch aus dem Flur rufen. Was er jetzt wohl über mich denken mag? Wahrscheinlich habe ich unsere kürzlich aufgebaute Connection wieder zunichte gemacht.


From Guardian to Lover -  A Korean LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt