Kapitel 38

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Als Yeon nach einigem Zögern mit den Männern der Umzugsfirma ins Haus gegangen ist, bleibe ich mit meiner Mutter allein auf der Veranda zurück. Mein Herz schlägt rasend schnell und Adrenalin schießt durch meine Adern, alles schreit in mir, von hier abzuhauen, als sei es eine bedrohliche Situation und ich würde mich in Gefahr befinden. Aber ich weiß, dass es nichts bringt und dass ich mich der Konfrontation stellen muss, und sei sie noch so schwierig. Ich packe meine Mutter an den Schultern und blicke sie ernst und durchdringend an.
„Reiß dich zusammen. Das hier ist sinnlos." Wütend schlägt sie meine Hände weg und geht einen Schritt zurück.
„Wie kannst du mir das nur antun! Du lässt mich völlig allein und hintergehst mich, indem du einfach solche Aktionen machst! Was habe ich dir getan, dass du so mit deiner Mutter umgehst?" In ihren Augen kann ich nichts außer Falschheit, Wut und Täuschung erkennen. Nicht, dass ich aufrichtige Worte des Bedauerns erwartet hätte. Ich straffe meine Haltung, das hier muss ich auch ohne Yeon schaffen! Ich kann es schaffen! Ich weiß es. Ich sammle all meinen Mut zusammen und atme einmal tief durch.
„Nein. Du bist nicht allein. Du hast Vater, die Bediensteten im Haus und deinen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Wenn hier jemand allein ist, dann bin ich das. Ich habe bisher niemanden gehabt außer dich, weil du nie etwas wie Freundschaften oder ähnliches zugelassen hast. Ich durfte mir nie Freunde machen, durfte nie jemanden kennen lernen. Ich bin also derjenige, der ein komplett einsames Leben beginnen wird.."

Meine Mutter starrt mich wutentbrannt an, unfähig etwas zu sagen. Ihre Hände zittern und ihr Gesicht ist immer noch rot. Ich muss schwer schlucken, weil mir dieser Anblick weh tut. Als sie scheinbar nichts mehr zu sagen hat, ergreife ich erneut das Wort.
„Yeon hat Recht. Der finanzielle Verlust schmerzt dir mehr als der Verlust deines einzigen Sohnes. Vielleicht wirst du ja eines Tages erkennen, dass ich weitaus mehr bin als nur eine Geldmaschine." Ich will an ihr vorbei ins Haus, doch meine Mutter stellt sich mir in den Weg und funkelt mich wütend, ja fast schon wahnsinnig an.
„Geh ruhig zu diesem Teufel! Lass dich von ihm ins Verderben stürzen! Du wirst deine Fehler schon bald erkennen!!"
„Ich habe meinen Fehler schon längst eingesehen. Nämlich, dass ich so lange bei dir geblieben bin und all deine toxischen Spielchen mitgemacht habe." Ich drücke sie sanft, aber bestimmt von mir weg und schaue nun abschätzig auf sie hinab. Irgendwie fühle ich gerade gar nichts mehr. Ich sollte bestürzt und verletzt über ihre Worte sein und es sollte mir schwerfallen, mich so von ihr zu verabschieden, doch das tut es nicht. Vielleicht zeigt mir dieses Gespräch wieder nur einmal mehr, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Ich war naiv zu glauben, sie würde es bedauern, sich entschuldigen und mir um den Hals fallen, mich vielleicht anbetteln, doch nicht zu gehen. Aber das hier war das allerletzte Mal!
„Wenn du noch einmal so über Yeon redest, lernst du eine ganz andere Seite an mir kennen!" fauche ich sie an, gehe an ihr vorbei und verschwinde im Haus.

Der restliche Tag verläuft ohne weitere, größere Auseinandersetzungen. Yeon muss noch einige Male eingreifen und meine Mutter aus dem Weg bringen, damit sie mich und die Möbelpacker nicht stört. Irgendwann gibt sie es dann auf und zieht sich in ihr Schlafzimmer zurück. Kurz habe ich wieder ein schlechtes Gewissen, das ich aber schnell wieder runter schlucke. Sie hat mein Schuldgewissen nicht länger verdient und ich versuche, nicht weiter darüber nachzudenken. Ich leite die tatkräftigen Männer an, welche Sachen und Möbel eingepackt und mitgenommen werden müssen und bereits nach einigen Stunden sind meine Zimmer komplett leer geräumt und befindet sich bereits in meiner neuen Wohnung. Nicht nur mein Schlaf- und Ankleidezimmer habe ich ausnahmslos leerräumen lassen, ich habe auch einige Möbel aus diversen anderen Zimmern mitgenommen. Zum einen, weil die etlichen Gästezimmer eh nie benutzt werden, und zum anderen, weil ich die Möbel und die Einrichtung aus eigener Tasche bezahlt habe. Meine Eltern können sich selber was neues kaufen. So kommt es, dass ich für meine eigene Wohnung bereits die erste Ausstattung an Möbelstücken zusammen bekomme, lediglich ein paar Einzelteile und diverse Utensilien für die Küche fehlen mir noch. Als ich ein letztes Mal in meinem alten Schlafzimmer stehe und mich im leeren Raum umschaue, wundert es mich nicht, dass sich meine Mutter lange nicht mehr hat blicken lassen, geschweige denn, dass sie nicht mehr kommt, um sich zu verabschieden. Eigentlich erwarte ich gar nichts mehr von ihr und so fällt es mir leichter, diesem Haus den Rücken zu kehren. Lediglich der Abschied von Mrs. Yoon schmerzt sehr und ich verspreche ihr, mich mal bei ihr zu melden. Als ich mich bei ihr bedanke und mich verbeuge, hat sie dicke Tränen in den Augenwinkeln und schnieft leicht. Sie ist tatsächlich die Einzige, die ich aus der Villa wirklich vermissen werde.

Es ist früher Abend und Yeon und ich sind noch dabei, in meiner neuen Wohnung ein wenig zu räumen. Die Möbelpacker haben zwar sehr gute Arbeit geleistet und alles heile hierher gebracht, aber sie haben sich nicht die Mühe gemacht, die Kartons in die richtigen Zimmer zu stellen. Also übernimmt Yeon diesen Part, während ich mein Schlafzimmer ein wenig aufräume, damit ich später direkt schlafen gehen kann. Es muss noch einiges getan werden, aber ich fühle mich bereits jetzt schon sehr wohl und ich kann es kaum erwarten, hier zu wohnen. Als ich das Bett gerade frisch beziehe, kommt Yeon aus dem Nebenzimmer, das ich eigentlich als Arbeitszimmer nutzen wollte.
„Hat der einfach wieder ein komplettes Ankleidezimmer," murmelt er, mehr zu sich als zu mir. Ich grinse ihn an und schließe die letzten Knöpfe an der Bettdecke. Er setzt sich in den großen Sessel, der auch in meinem alten Zimmer gestanden hatte und beobachtet mich eine Weile, wie ich die Decke ordentlich falte und die vielen Kissen auf dem Bett platziere. Eigentlich Schwachsinn, wenn ich es gleich eh wieder durcheinander mache.

„Wie geht es dir?" fragt mich Yeon und ich bin wieder einmal überrascht, wie emphatisch Yeon sein kann. Ich drehe mich zu ihm um und zögere mit der Antwort, während ich an einem Dekokissen herum friemle.
„Ich weiß es nicht," gebe ich ehrlich zu, „auf der einen Seite scheiße, weil das mit meiner Mutter sehr unschön verlief. Auf der anderen Seite geht es mir gut und ich bin erleichtert, dass ich das hier nun endlich geschafft habe und nach vorne blicken kann." Yeon blickt mich verstehend an, was mir unheimlich guttut.
„Ich habe mir überlegt, wenn meine Wohnung soweit eingerichtet und vorzeigbar ist, möchte ich deine Freunde einladen, praktisch nochmal als kleines Dankeschön und als kleine Einweihungsfeier." Yeon steht plötzlich auf und kommt zu mir hin und blickt zu mir hinab.
„Sie würden sich bestimmt über eine Einladung freuen," meint er, dann kommt er noch ein Stück näher. „Geht es dir wirklich gut?" flüstert er, während seine Augen aufmerksam auf mich geheftet sind. Ich seufzte und lasse das Kissen los.
„Nein, nicht wirklich. Es tut mir in der Seele weh, meine Mutter so zu sehen und ihr so verletzende Dinge sagen zu müssen, aber ...so ist es das Beste für mich."
Yeon streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, was mir eine Gänsehaut verpasst und ich blicke zu ihm hoch. Sofort fesseln mich seine schönen Augen und ich kann mich nicht mehr von ihnen lösen.
„Soll ich bei dir bleiben?" fragt Yeon weiterhin flüsternd. „Die erste Nacht allein in der ersten Wohnung kann furchtbar sein."
„I-Ich bin mir nicht sicher," sage ich rau, auch wenn ich dankbar lächle.
„Ich schlafe auf der Couch," raunt Yeon und ein leichtes, aufmunterndes Lächeln legt sich auf seine Lippen. Ich zögere kurz, dann nicke ich.

In der Nacht kann ich nicht wirklich schlafen, weil mir noch zu viele Dinge durch den Kopf rauschen, wie ein Zug, der unaufhörlich voran fährt und in keinem Bahnhof Halt macht. Wieder kommen Zweifel in mir hoch, ob mein Auszug eine gute Entscheidung war und ob ich nicht vielleicht anders hätte handeln können. Zudem behagt mir die neue, unbekannte Umgebung noch nicht ganz. Auch in Yeons Wohnung musste ich mich erst an die neue Geräuschkulisse gewöhnen und auch in dieser Wohnung sind die Geräusche anders als in meinem alten Zimmer in der Villa. Ich höre hier und da den Holzfußboden leise knacken, die Heizung gluckert leicht und von draußen kann ich den entfernten Stadtverkehr hören, irgendwo auf der Straße unten unterhält sich eine Gruppe Jugendlicher, die aber irgendwann weiterziehen. Sonst ist alles ruhig, aber ich muss mich dennoch erst daran gewöhnen. Das Licht der Straßenlaternen scheint durch die großen Fenster und lässt die fremden Umrisse meines neuen Schlafzimmers erkennen. Ich muss dringend die Gardinen aufhängen.
Ich drehe mich seufzend auf die Seite und blicke auf mein Handy, 02:47. Wirklich schlafen konnte ich bisher noch nicht, auch wenn der Tag echt anstrengend war. Um mich etwas von meinen negativen Gedanken abzulenken, mache ich in meinem Kopf eine Liste, was ich noch alles einkaufen muss und beschließe, so viel zu kaufen, bis ich mich gänzlich und zu hundert Prozent in dieser Wohnung wohlfühle.
Plötzlich höre ich ein leises Klopfen, ganz zaghaft und kaum hörbar. Hellwach setze ich mich im Bett auf und lausche.
„Yeon?" flüstere ich, weil ich glaube, dass er an meine Tür geklopft hat und kurz schlägt mein Herz höher. Doch die Schlafzimmertür steht auf und es steht niemand im Rahmen. Als ich keine Antwort bekomme und kurz darauf das Klopfen erneut vernehme, läuft es mir kalt den Rücken hinab. Das hier erinnert mich sehr an den einen Abend, als ich allein in Yeons Wohnung war. Als ich das Klopfen wieder leise und rhythmisch höre, stehe ich auf und schleiche leise durch den Flur ins offene Wohnzimmer. Der Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos unten auf der Straße beleuchtet für einen Moment die Umrisse der wild herumstehenden Möbel und von Yeon, der auf dem großen Sofa liegt und tief und fest schläft. Von ihm ist ein leichtes Schnarchen zu hören. Jetzt, wo ich weiß, dass es nicht er ist, der da klopft, wird mir schlagartig übel. Mein Blick geht nach links zur Wohnungstür. Das Klopfen ertönt wieder, es ist wirklich ganz leise und ich frage mich, wie ich es von da hinten aus meinem Schlafzimmer hören konnte. Habe ich so leicht geschlafen?
Langsam pirsche ich auf die Tür zu und meine Nackenhaare stellen sich auf. Da ist es wieder, ganz zaghaft und rhythmisch, als wollte es auf sich aufmerksam machen. Es ist so leise, dass ich fast glaube, es mir einzubilden. Soll ich die Tür aufmachen und nachsehen? Den heimlichen Klopfer vielleicht zur Rede stellen? Was ist, wenn es ein Einbrecher ist, oder ein Mörder? Der Gedanke daran lässt mich in meiner Bewegung erstarren und erschauern. Ich bekomme es mit der Angst zu tun und mit einem Mal weiß ich nicht, was ich tun soll. Was jetzt das Richtige wäre. Panisch blicke ich auf die Tür.
Plötzlich geht ein Licht an und ich wirble erschrocken herum, mir entfährt ein spitzer Schrei und meine Muskeln verkrampfen sich schmerzhaft. Ich sehe Yeon, der sich auf der Couch halb aufrichtet und die kleine Lampe auf dem Beistelltisch angemacht hat. Sie beleuchtet das große Wohnzimmer und die offene Küche mit ihrem warmen Licht gerade so viel, dass es ausreicht, um alles erkennen zu können. Müde, aber auch besorgt blickt mich mein Bodyguard an und ich kann mir nur vorstellen, was ich gerade für einen seltsamen Eindruck mache.
„Was machst du da?" fragt er in einer rauen, verschlafenen Stimme.
„I-Ich hab gedacht, ich habe ...da was gehört. War wahrscheinlich nur Einbildung." Nervös und immer noch etwas zittrig fahre ich mir durch die Haare, die mir sofort wieder widerspenstig ins Gesicht fallen.
„Ich habe dir ja gesagt, die erste Nacht ist etwas gruselig," grummelt Yeon und gähnt schwer. Sofort habe ich wieder ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn geweckt habe.

„Magst du mit ins Bett kommen?" frage ich unüberlegt. Irgendwie mag und kann ich gerade nicht allein sein und vielleicht ist es etwas egoistisch, doch ich brauche ihn gerade an meiner Seite. Yeon wirkt kurz etwas überrascht, dann nickt er aber, steht auf, macht das Licht aus und folgt mir ins Schlafzimmer. Im Bett merke ich, dass er ziemlich nah an der Kante liegt, um mir genügend Platz zu lassen und mir wird bewusst, dass er es wirklich ernst meint mit dem Zeit und Raum lassen. Relativ schnell höre ich sein regelmäßiges, tiefes Atmen, das bald in ein leichtes Schnarchen übergeht. Er muss wirklich todmüde sein, wenn er so schnell wieder einschlafen kann. Es beruhigt mich irgendwie sehr und es dauert nicht lange, da fallen auch mir die Augen endlich zu. Immer wieder werde ich in der Nacht wach, weil ich es einfach nicht gewohnt bin, dass jemand neben mir liegt. Doch jedes Mal, als mir bewusst wird, dass es Yeon ist und ich in Sicherheit bin, geht es mir gut und ich schlafe wieder ein. Seine Anwesenheit und Nähe tut mir so unheimlich gut und lässt mich letztendlich tief und fest durchschlafen.

Nach dieser Nacht kehrt Yeon in seine eigene Wohnung zurück und wir sehen uns in der nächsten Zeit nur noch, wenn ich ihn arbeitsmäßig brauche. Ich schleppe ihn noch zu diversen Möbel- und Einrichtungshäusern, wo ich mich ausgiebig mit allen möglichen Möbeln und anderen Dingen eindecke, die ich noch brauche und bestehe darauf, den Rest in der Wohnung allein zu machen. So kommt es, dass ich sehr viel allein bin, ich mich aber durch das Aufbauen der restlichen Möbel und dem Einrichten der Wohnung gut ablenken kann. Wenn Yeon nicht da ist und ich länger nichts mehr zu tun habe, vermisse ich ihn tatsächlich sehr, aber ich traue mich nicht, ihn zu fragen, ob wir uns sehen können. Ich habe ihn die letzten Wochen schon genug in Anspruch genommen, Arbeit hin oder her. Er hat auch mal etwas Auszeit verdient und irgendwann beschleicht mich das unschöne Gefühl, dass ich ihm vielleicht auf die Nerven gehen könnte, wenn ich ihn schon wieder sehen möchte. Also belasse ich es dabei, obwohl ich innerlich die Hoffnung habe, dass er sich vielleicht meldet und mich nach einem Treffen fragt.


From Guardian to Lover -  A Korean LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt