Kapitel 6

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SUMI

Das Gespräch mit Yeon über meinen damaligen Stalker war zwar sehr unangenehm gewesen, weil ich Yeon von seiner wütenden Seite kennen lernen musste – das denke ich zumindest – und ich ehrlich dachte, ich müsse gleich sterben, aber im Nachhinein hatte es sich ganz gut angefühlt, diesen Abschnitt meiner Vergangenheit jemand anderem außer meinen Eltern anvertraut zu haben. Bisher musste ich es immer geheim halten und durfte niemandem davon erzählen, aber da Yeon ja mein Bodyguard ist, ist er die Ausnahme. Ich weiß nicht, ob er mir alles davon geglaubt hat, und ich könnte es sogar verstehen, weil sich alles etwas schräg anhört, aber ich hatte ihm alles erzählt, was ich weiß. Die restliche Fahrt haben wir schweigend verbracht – ich, weil ich Yeons bevormundende Art ätzend finde und er, weil er sehr wahrscheinlich noch sauer auf mich ist, dass ich diese Information nicht schon eher erzählt habe. Ich weiß immer noch nicht, was ich von ihm halten soll. Seine ganze Persönlichkeit macht mir Angst, aber andererseits auch den Menschen um mich herum und das sollte ich nutzen, um mir Störenfriede vom Leib zu halten. Eine innere Schwere legt sich auf meine Brust, als ich erneut darüber nachdenke, ob diese Entscheidung so klug war oder nicht. Immerhin ist er ein völlig Fremder, dem ich praktisch mein Leben anvertraue. Ich versuche in meinem Kopf ein klares Ja oder ein Nein festzumachen, doch es gelingt mir nicht. Wirr schwirren meine Gedanken umher und ich kriege sie nicht geordnet. Erst, als der Wagen hält und der Fahrer uns vor meinem Lieblingsrestaurant rauslässt, verfliegen alle Sorgen und machen aufgeregter Freude Platz. Ich war lange nicht mehr hier gewesen. Kurz blicke ich hinauf und sehe das Leuchtschild, auf dem mit verschnörkelten Buchstaben ‚Bellini' geschrieben steht. Ohne auf meinen Bodyguard zu warten, betrete ich das Restaurant und werde sofort vom Oberkellner und dem Besitzer Alfredo Bellini herzlich empfangen. Ich bitte um einen Tisch mit etwas Privatsphäre und Alfredo bittet um einen Moment, bevor er zwischen den besetzten Tischen hindurch wuselt, um nach einem freien Platz für mich zu suchen. Das Restaurant hat sich während der ganzen Zeit, die ich nicht hier war, so gut wie gar nicht verändert. Lediglich die Deko wurde etwas erneuert oder umgestellt. Die Wände haben noch immer einen beigefarbenen Anstrich, Ölgemälde mit der Landschaft Italiens hängen daran und die alten, klassischen Wandleuchten werfen warmes Licht nach oben. Die Tische sind mit typischen rot-weiß karierten Tischdecken, dem kleinen Salz- und Pfefferstreuer, einem Fläschchen Olivenöl und einer Kerze gedeckt. Ein uriges, kleines italienisches Restaurant, das man nirgendwo sonst in Seoul finden kann. Einst hatte ich mich mit Alfredo Bellini unterhalten und erfahren, dass er mit seiner Familie vor etlichen Jahren eingewandert war und seitdem dieses Restaurant führt. Lange lief es nicht sonderlich gut, weil sich diese Art von Restaurant und das Essen erst etablieren musste. Er brachte traditionelle Rezepte mit hierher, nach denen die Koreaner inzwischen so verrückt sind. Während ich geduldig warte und die neugierigen Blicke ignoriere, kann ich ein Gesicht jedoch nicht übersehen. Der Oberkellner, der weiterhin bei mir steht, zieht die Mundwinkel nach unten und macht große Augen, sein Blick geht hinter mich. Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Yeon hinter mir aufgetaucht ist.

„Er gehört zu mir. Ich hoffe, das ist kein Problem?" sage ich selbstbewusst und spüre Yeons Präsenz in meinem Rücken. Irgendwie gefällt mir das.

„N-Nein, keineswegs!" stammelt der Oberkellner wie aus der Pistole geschossen und im nächsten Moment kommt der Besitzer wieder zu uns und bittet mich, ihm zu folgen. Auch bei ihm bemerke ich einen leicht argwöhnischen Blick in Richtung meines Bodyguards. Ich frage mich, ob andere Leibwächter auch so angestarrt werden wie er.


Wir werden in den hinteren Teil des Restaurants geführt, wo noch ein einziger Tisch in einer Sitznische frei ist. An diesem Abend ist es besonders voll und laut und sofort fühle ich mich wohl und unbeobachtet. Wenn es so gut besucht ist, kommt niemand auf die Idee, mich anzusprechen, um keine Szene zu machen. Ich nehme Platz und sofort reicht mir der Besitzer die Speisekarte.

From Guardian to Lover -  A Korean LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt