Als Sumi zurück ins Wohnzimmer kommt, merke ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich beobachte ihn aufmerksam, als er sich die Schuhe anzieht, sein Gesicht ist ganz blass, seine Augen blicken ins Leere, seine Hände zittern und er wirkt seltsam abwesend. Was ist in der kurzen Zeit, in der er weg war, passiert?
„Was ist los?" frage ich streng und kann meine Sorge nur mit Mühe verbergen. Der blonde Popstar ignoriert mich oder scheint mich nicht gehört zu haben, also gehe ich auf ihn zu.
„Sumi?"
Immer noch keine Reaktion. Ich versuche, ihm ins Gesicht zu blicken, das er immer wieder von mir wegdreht. Als er aufsteht, um seine Jacke von der Garderobe zu holen, packe ich ihn an den Schultern und drehe ihn zu mir um.
„Sumi!"
Dieser murmelt nur unverständliches Zeug vor sich hin und blickt mich weiterhin nicht an. Hatte er gerade, als er im Badezimmer war, eine Panikattacke? Mein Herz rast und Angst steigt mir in die Brust. Scheiße, was mache ich denn jetzt?
„Sumi! Was ist los? Bitte rede mit mir, verdammt!"
Der Hellhaarige scheint etwas zu sich zu kommen und wehrt sich nun gegen meinen Griff, dann plötzlich reißt er sich mit einem aggressiven Ruck los und funkelt mich wütend an, wie eine Katze, die einen Buckel macht und sich sträubt.
„Lass mich! Das ist mir gerade alles zu viel!" schreit er laut und ballt die Fäuste. Verwirrt starre ich ihn an, so laut habe ich ihn bisher noch nicht erlebt und es stößt mir völlig unerwartet gegen den Kopf.
„Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist! Mir scheint einfach alles zu entgleiten und alles gerät außer Kontrolle! Ich habe den Halt verloren und verliere gerade den Boden unter den Füßen!! Ich ..."
Sumi starrt mich mit großen Augen an und atmet schwer, ich wage gerade kein Wort von mir zu geben. Es tut weh, ihn so zu sehen, doch ich fühle mich zeitgleich auch so machtlos, weil ich nicht weiß, wie ich ihm helfen kann. Doch gerade bekomme ich den Eindruck, als würde seine eiserne Fassade Risse bekommen.
„In letzter Zeit ist so viel auf einmal passiert, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich fühlen oder denken soll. Verstehst du das denn nicht? Der Ärger mit meiner Mutter, der Auszug, der ganze Trubel in den Medien, der Stalker und Saejin wühlen alte Geschichten wieder in mir auf, die ich vergessen will und dann noch du, bei dem ich gar nicht mehr weiß, was ich tun oder lassen soll. Mit alledem komme ich gerade einfach nicht klar und dann soll ich auch noch meine Karriere voranbringen? Das ist einfach zu viel! Das schaffe ich nicht! Ich bin wirklich am Ende," sagt Sumi dann schließlich in einem etwas ruhigeren Ton.
Wir blicken uns lange an, bis Sumi seine Augen von mir abwendet und sie zu Boden richtet. Offensichtlich plagen ihn irgendwelche Schuldgefühle, die ich nicht ergründen kann. Aber warum sollte er sich mir gegenüber schlecht fühlen? Dafür hat er doch eigentlich keinen Grund.
„Vielleicht bin ich der Falsche für das Problem mit deiner Mutter oder den unverarbeiteten Gefühlen und Traumata in der Vergangenheit, weil ich es selbst nicht erlebt habe und dir dabei nur gering helfen kann. Vielleicht solltest du dir dafür ...professionelle Unterstützung holen. Aber was den Stalker und deine Karriere angeht, werde ich mein Bestes geben, um dir zu helfen und dich zu unterstützen. Egal, was ist und wie lange," sage ich nach einem weiteren Moment der Stille sanftmütig, „ich verstehe sehr gut, dass es dir gerade alles zu viel wird und dafür habe ich volles Verständnis. Mir und anderen würde es genauso ergehen wie dir. Bitte glaube mir, wenn ich dir das sage. Ich verstehe dich. Vielleicht habe ich nicht dieselben Dinge durchgemacht wie du, aber auch ich habe eine schwierige Vergangenheit hinter mir, auch ich wusste teilweise nicht, was ich tun soll, und alles fühlte ich so an, als würde es auf mich einprasseln. Ich war hilflos und verzweifelt und wusste nicht mehr weiter, es war wie ein Strudel, der mich immer weiter nach unten zog. Meine Mutter war machtlos und ich hatte sonst niemanden, der mir helfen konnte. Aber du ...du bist nicht allein, hörst du? Auch wenn es nicht viel ist, aber ich bin da und ich werde deine Seite nicht verlassen. Ich hoffe, das hast du langsam begriffen."
Sumi blickt mich wieder an, seine blau-grünen Augen wandern über mein Gesicht, dann nickt er leicht, aber ich bezweifle, dass er sich meine Worte zu Herzen nehmen wird. Die vergangenen Tage und Wochen haben leider bereits das Gegenteil gezeigt. Ein kurzes, trauriges Lächeln huscht über seine Lippen und er blickt mich lange an.
„Es tut mir leid, dass ich nicht der Mensch bin, den du verdienst."
Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen, aber ich nehme Sumi in den Arm und drücke ihn fest an mich. Gerade ist Trost das Einzige, das ich ihm geben kann.
„Du sollst erst einmal an dich selbst denken und mit dir ins Reine kommen, alle Probleme nach und nach aus der Welt schaffen, damit es dir wieder gut geht. Alles andere ist jetzt nicht wichtig. Danach kannst du dich immer noch um andere kümmern."
Sumi löst sich von mir und lächelt mich dankbar an, dieser Blick wühlt meine Gefühle und Gedanken nur noch mehr auf. In meinem Kopf rauscht es und mein Herz schlägt schmerzhaft in meiner Brust. Es tut weh, ihm nicht mehr und besser helfen zu können. Inzwischen bin ich an dem Punkt angelangt, an dem es für mich kein Zurück mehr gibt und ich ihm Hals über Kopf verfallen bin. Wenn ich könnte, würde ich ihm die Welt zu Füßen legen und ich wäre bereit, alles auf mich zu nehmen, nur um ihn gesund und glücklich zu wissen. Ein Wunschdenken, das in der Realität ganz anders aussieht. In Wahrheit bin ich völlig machtlos und es liegt nicht in meiner Hand, seinen seelischen Schmerz zu heilen. Stattdessen kann ich nur danebenstehen, ihm dabei zusehen und das Beste hoffen. Und praktisch nichts tun zu können, ertrage ich nur schwer.
Später sitze ich im Flur der Polizeistation, während Sumi gefühlt schon seit Stunden in einem der Büros verschwunden ist und eine Anzeige gegen Unbekannt aufgibt. Ob es wirklich etwas bringt, weiß ich nicht, doch es ist besser, als tatenlos rumzusitzen. Ich mag mir kaum ausmalen, wie es ihm gerade ergeht. Nachdenklich drehe ich mein Handy zwischen den Fingern und denke über das von vorhin nach. Es ist kaum auszuhalten, dass ich für Sumi praktisch nichts tu kann, außer für ihn da zu sein und ihm Beistand zu leisten, zu gerne würde ich mehr tun als nur das. Doch aufgrund meiner Hilflosigkeit und der Machtlosigkeit gegenüber seiner aktuellen Situation sind mir die Hände gebunden. Wüsste ich eine Lösung oder einen Ausweg, würde ich nicht zögern. Ich schlucke die Enttäuschung hinunter, die sich erneut in mir ausbreiten will, als ich daran denken muss, dass aus uns beiden nichts wird und versuche, so gut es geht, meine Gefühle hinten anzustellen und den Fokus einzig und allein auf Sumis Wohl zu richten.
Als der Blondhaarige wenig später das Büro verlässt, wirkt er bedrückt und müde und ich kann nur erahnen, was das Prozedere wieder in ihm ausgelöst haben muss. Ein älterer Polizeibeamter erscheint hinter ihm im Türrahmen und spricht zu ihm, als sich dieser noch einmal zu ihm umdreht.
„Rufen Sie bitte sofort an, wenn die Person noch einmal auftauchen sollte! Wir werden dann sofort einen Streifenwagen schicken."
Ich stehe auf und komme zu den beiden Männern, verbeuge mich höflich vor dem Polizeibeamten und bedanke mich für seine Hilfe.
„Können wir noch etwas tun?" frage ich dann.
„Sie sollten die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen, so gut es geht. Öffentliche Präsenz vermeiden, den Social Media-Verkehr minimieren," sein Blick geht kurz besorgt zu Sumi, „eventuell sollten Sie auch darüber nachdenken, für eine Weile unterzutauchen."
Ich nicke nur verstehend und betrachte Sumi neben mir, er wirkt wieder recht teilnahmslos und als sei ihm die Situation sehr unangenehm.
„Wir werden unser Bestes geben."
„Es ist gut, dass Sie gekommen sind und Anzeige erstattet haben, auch wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, dass wir den Mann finden werden. Wir können nichts unternehmen, wenn keine Beweise vorliegen."
Auf dem Weg zum Auto ärgere ich mich über den Polizeibeamten, oder besser gesagt, über die Polizei an sich. Sumi hatte ganz eindeutig eine fremde Person in seiner Wohnung, die bereits seine Sachen durchwühlt hatte. Das sollte doch Grund genug sein, zumindest schonmal einen Streifenwagen oder Zivilpolizei vor dem Haus zu positionieren, um den Stalker abzuschrecken. Immerhin weiß er, wo Sumi wohnt und wie man in seine Wohnung gelangt und vor meiner Tür hatte er auch bereits gestanden. Er wird uns also überall finden, egal wo wir uns verstecken und untertauchen. Da aber nichts gestohlen und sonst nichts beschädigt wurde, wird nur von Hausfriedensbruch oder ähnlichem gesprochen.
Als wir im Wagen sitzen, schweigen Sumi und ich eine Weile, bis ich den Motor starte und vom Parkplatz fahre. Ein ungutes Gefühl überkommt mich, als würde der Stalker uns jede Sekunde überwachen und mir sträuben sich die Nackenhaare. Eine Vorahnung? Ich frage mich wirklich, woher der Stalker unsere Adressen kennt und wie zum Teufel er in Sumis Wohnung kam, ohne ein Fenster oder die Tür aufzubrechen. Das Rätseln über all diese zermürbenden Fragen bereitet mir Kopfschmerzen.
„Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann ja schlecht alle Termine absagen!" sagt Sumi irgendwann und klingt sichtlich verzweifelt.
„Nein. Du wirst deine Termine weiterhin wahrnehmen. Ich werde dir nicht von der Seite weichen und wenn du möchtest, kann ich noch einen befreundeten Bodyguard dazu holen."
Kurz blickt mich Sumi ungläubig an, dann starrt er aus dem Fenster.
„Ein Bodyguard reicht. Ich habe für den einen ja schon lange genug gebraucht, um ihm zu vertrauen," höre ich ihn murmeln. Wir schweigen wieder und fahren durch die volle Innenstadt, der Mittagsverkehr staut sich und wir stehen ewig lang an ein und derselben Kreuzung fest, weil nichts vorwärts geht. Nervlich bin ich langsam am Ende und sehne mich nach einer Mütze Schlaf.
„Ich will heute Abend eine Party veranstalten," sagt Sumi plötzlich aus heiterem Himmel, „ich brauche Ablenkung."
Fassungslos und zugleich ungläubig starre ich meinen blonden Popstar an. Das kann er jetzt nicht wirklich ernst meinen, oder? Was soll die Scheiße!
„Was zum Fick? Du hattest heute Morgen einen beschissenen Stalker in deiner Wohnung und einen halben Nervenzusammenbruch! Und jetzt willst du eine beknackte Party feiern?! Samma, geht's noch? Etwas Ruhe wäre da angebrachter!" schimpfe ich aufgebracht und wie zu erwarten war, stoßen meine Worte auf taube Ohren.
„Ich brauche aber jetzt keine Ruhe! Ich brauche Zerstreuung, sonst denke ich nur noch an den Scheiß von heute Morgen! Kannst du das nicht verstehen?!" blafft mich Sumi wütend an.
„Ich verstehe dich sehr wohl! Aber du kannst dir die Bude doch jetzt nicht mit hundert Menschen vollladen, wo du nicht kontrollieren kannst, wer alles in deine Wohnung kommt! Was ist, wenn sich der Stalker unter die Gäste mischt? Und außerdem glaube ich, dass eine Party jetzt nicht das Richtige für dich wäre. Du stehst offenbar noch unter Schock."
„Ich bin erwachsen und kann meine eigenen Entscheidungen treffen, also hör auf, mich zu bevormunden! Außerdem will ich nur ein paar Leute einladen, mehr nicht. Der Stalker wird sich wohl kaum unter Murdoc und Sammy und die anderen mischen, oder?"
Endlich geht es im Straßenverkehr voran und ich biege die nächste Kreuzung ab, um zu Sumis Wohnung zu fahren. Als ich den Wagen vor dem Wohnhaus parke und die Handbremse anziehe, blicke ich Sumi wütend, aber beherrscht an. Ich kann einfach nicht verstehen, wie er jetzt auf diese beschissene Idee kommt. Was denkt er sich denn dabei? Brennen die Leitungen langsam bei ihm durch? Er kann doch nicht den letzten Funken gesunden Menschenverstand verloren haben! Ich mustere ihn, während der Popstar mich eingeschnappt anfunkelt und wäge meine Chancen ab, ihn von seiner bescheuerten Idee abzubringen. Doch ich sehe meine Möglichkeiten gegen Null und kenne Sumi inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er sich von nichts abhalten lässt, wenn er sich einmal eine Idee in den Kopf gesetzt hat.
„Mach, was du willst. Es ist deine Wohnung und ja, du bist alt genug."
Ohne ein weiteres Wort schnallt sich Sumi ab, steigt aus dem Wagen und knallt die Autotür lautstark zu. Wie ein bockiges Kind stampft er zur Haustür und ich blicke ihm nur kopfschüttelnd und fassungslos hinterher. Was mag ihn bei dieser total beknackten Idee nur geritten haben? Mich beschleicht ein extrem beschissenes Gefühl und ich habe bereits jetzt Angst, dass es sich auch bewahrheiten könnte.
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From Guardian to Lover - A Korean Lovestory
RomanceWährend Yeon sein Dasein als Gelegenheitsbodyguard mit einem ziemlich brutalen Ruf fristet, lebt Sumi als weltbekannter Kpop-Star und regelrechter Strahlemann ein Leben in übermäßigem Reichtum. Unterschiedlicher könnten die beiden also nicht sein. D...