Kapitel 37

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SUMI

Spät in der Nacht sitzen wir völlig erledigt und müde auf dem Boden meiner frisch gestrichenen Wohnung und essen die letzten Stücke Pizza, die ich mittags für alle bestellt hatte. Die anderen sind bereits seit über einer Stunde weg und Yeon und ich sitzen einfach nur da und genießen die Stille. Der Tag war erfolgreich und wir konnten alles erledigen, was in der Wohnung zu tun war. Streichen, Steckdosen reparieren, Waschbecken und Toilette austauschen, alle Lüftungen reinigen und bereits einige Räume putzen. Das macht sich jetzt als Muskelkater bei mir bemerkbar. Ich hätte niemals gedacht, dass Renovieren so anstrengend sein kann. Aber ich bin überglücklich und zufrieden und freue mich inzwischen sehr auf meinen Einzug. Auch wenn Yeon und ich uns endlich ausgesprochen haben und mir ein kleiner Stein vom Herzen gefallen ist, ließ mich das Ganze dennoch den ganzen Tag über nicht los. Die Schuldgefühle in mir sind weiterhin sehr groß, auch wenn ich mir etwas anderes einzureden versuche.

„Es tut mir wirklich leid," sage ich nach einer langen Zeit des Schweigens. „Ich habe mich echt wie ein Idiot aufgeführt, als ich abgehauen bin, statt mit dir zu sprechen. Reden hätte vieles einfacher gemacht."
Yeon stöhnt wie ein alter Mann, als er sich nach hinten lehnt, um sich auf den Boden zu legen und streckt alle Viere von sich wie ein platter Seestern. Gelassen mampft er weiter sein Stück Pizza, das er immer wieder auf seiner Brust ablegt, statt es in der Hand zu halten. Der Anblick ist einfach zu köstlich und ich muss schmunzeln. Es tut gut, ihn wieder so entspannt zu sehen.
„Ja, du bist ein Idiot," stimmt er mir gespielt hochnäsig zu.
„Ich habe gesagt, ich habe mich wie ein Idiot verhalten, nicht, dass ich einer bin!" empöre ich mich, muss aber belustigt grinsen. Yeon grunzt amüsiert.
„Das kommt aufs selbe hinaus," meint er und lacht, als er mein gekünsteltes Schmollen sieht.
„Es ist ja sehr schön, dass dich deine Beleidigungen gegen mich amüsieren!" Und ich muss selbst lächeln, als Yeon nur noch mehr zu lachen beginnt. Es klingt sehr kehlig und rau und schallt durch den ganzen Raum, doch es ist auch sehr ansteckend und lässt mein Herz höherschlagen. Als sich der Schwarzhaarige wieder etwas beruhigt hat, dreht er sich auf die Seite und stützt seinen Kopf auf der Hand ab. Wie er da liegt und mich ernst anschaut, könnte er auch als Model durchgehen und das macht mich ziemlich an.
„Egal, wie du dich entscheiden wirst, ob du das hier willst oder nicht, du kannst mit mir über alles reden. Ich werde weder böse mit dir sein, noch werde ich dich anderweitig für deine Entscheidung verurteilen. Ich möchte nur, dass du offen mit mir sprichst, das ist das Einzige, was du mir versprechen sollst. Okay?"
„Dabei habe ich dich doch für so lakonisch gehalten," scherze ich neckend. Yeons Miene verfinstert sich und er verzieht genervt das Gesicht.
„Dieses Scheiß Wort!"
Wir grinsen uns frech an, doch ich kann sehen, dass sich etwas in seinen grau-grünen Augen verändert hat. Sie haben mich plötzlich fest im Griff, scheinen mich tief zu durchdringen und in meine Seele zu blicken und irgendwie wirken sie wieder so dunkel und gefährlich wie in jener Nacht. Eine heftige Gänsehaut überkommt mich und ich spüre regelrecht, wie es mich auf einmal zu ihm zieht. Als würde dieser unsichtbare Bann kräftig an mir zerren und mich zu Yeon holen zu wollen. Ich gebe mich dieser Versuchung hin und krabble auf allen Vieren über den Boden zu ihm hin, während ich Yeons Blick keine Sekunde ausweiche. Nun sitze ich vor ihm und schaue auf ihn hinab, seine Augen funkeln dunkel und langsam verstehe ich, was dieser Blick zu bedeuten hat. Er will mich.

„Ich weiß gar nicht, wie das alles läuft. Sich richtig kennen lernen, Dates und der ganze ...Sexkram," murmle ich schüchtern. „Ich hatte noch nie so etwas in der Richtung."
Yeon verzieht das Gesicht.
„Bitte nenn es nie wieder Sexkram." Ich lache unsicher und kratze mich an der Stirn.
„Ich habe aber keine Ahnung davon. Schon gar nicht mit ...M-Männern."
Yeon legt eine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich runter, sodass ich mich zu ihm vorbeuge und seinem Gesicht nahe bin.
„Hör auf, dir so viele Gedanken zu machen. Lass es einfach auf dich zukommen. Du gibst das Tempo vor," raunt er leise und blickt mir dabei ernst in die Augen. Ich spüre, wie meine Knie weich werden und würde ich nicht schon auf dem Boden sitzen, wäre ich wahrscheinlich umgefallen. Ich blicke ihn kurz an, kann seinem intensiven Blick aber nicht standhalten. Meine Augen wandern hungrig zu seinen hübschen, vollen Lippen und ich muss mir unweigerlich auf meine beißen. Verdammt!

„D-Darf ich dich jetzt küssen?"
Als Antwort zieht mich Yeon das letzte Stück zu sich heran, dass ich nach vorne überkippe und mich halb über ihn stützen muss, um nicht komplett auf ihn drauf zu fallen. Wir küssen uns und sofort ist diese heftige und intensive Energie von jenem Abend zurück. Yeon gibt mir einen kleinen Ruck und ich verstehe, dass ich mich auf ihn setzen soll. Mit einer schnellen Bewegung schwinge ich mein Bein über ihn und setze mich auf seinen Schoß, während wir unsere Lippen nicht voneinander trennen. Sofort spüre ich Yeons harte Erektion, was mich ebenfalls total scharf macht.
„Das hier habe ich irgendwie vermisst," hauche ich zwischen zwei Küssen und als Antwort gibt Yeon mir einen Zungenkuss und drückt seine Hüfte von unten gegen meine. Es bringt mich um den Verstand, so nah bei ihm zu sein, seine Hitze und Härte zu spüren und ich schiebe meine Zunge etwas weiter in seinen Mund. Yeon richtet sich mit dem Oberkörper auf, sodass er nun auf dem Boden sitzt und drückt mich mit seiner Umarmung fest an sich. Wir küssen uns heftig, seine Lippen gehen immer wieder an meinen Hals und ich kralle mich in seinen Haaren fest, während er meinen Hintern packt und knetet. Für diesen einen Moment ist der Zweifel vergessen, ob es das Richtige ist. Alles mit ihm fühlt sich so gut an und es ist, als wäre es schon immer so gewesen. Ich fühle mich einfach gut bei und mit ihm. So falsch kann es also nicht sein, oder?

Ich weiß nicht, wie lange wir auf dem kalten Boden sitzen, uns küssen und befummeln, als ich mich irgendwann schwer atmend von ihm löse und ihn anblicke. Yeons Wangen sind leicht gerötet und ich kann in seinen Augen das pure Verlangen sehen. Mist! Ich beiße mir kurz auf die geschwollenen Lippen und überlege, ob ich jetzt wirklich aufhören will. Ich könnte wahrscheinlich noch eine halbe Ewigkeit mit ihm hier verbringen, aber langsam werde ich müde.
„Wir sollten mal allmählich heim. Es ist schon spät und es war ein langer Tag," murmle ich. Yeon streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, küsst mein Kinn und nickt dann zustimmend, wenn auch bedauernd.



YEON

Am nächsten Morgen komme ich müde aus dem Badezimmer ins Wohnzimmer. Der gestrige Tag war zwar anstrengend, aber da jeder fleißig angepackt hat, konnten wir alles erledigen. Sumi und ich ließen den Abend sogar ganz nett miteinander ausklingen. Gerne hätte ich noch etwas weiter gemacht, aber da ich ihm das Tempo überlasse, in dem wir weitermachen, musste ich es wohl oder übel akzeptieren, dass er irgendwann aufhören wollte. Verdammt, wenn er mich nicht bald lässt, platze ich noch!
Als ich Sumi in der Küche stehen sehe, wird mir sofort heiß. Er bereitet gerade das Frühstück zu und sieht dabei verboten süß aus mit seinen zerzausten Haaren, dem großen Shirt und der eng sitzenden Boxershort. Ich liebe seinen kleinen Knackarsch. Seine Wangen sind leicht gerötet und ich werde fast schwach bei diesem Anblick. Ich komme näher und stütze mich dicht hinter ihm stehend an der Küchenzeile ab.
„Ich weiß nicht, ob ich mich lange zurückhalten kann, wenn du so durch meine Wohnung läufst," murmle ich ihm mit verschlafener Stimme ins Ohr. Sumi zuckt zusammen und stößt mit dem Hinterkopf gegen meine Brust, während er fast das Messer fallen lässt.
„Du kannst mir sowas doch nicht sagen, während ich schneide!" stammelt er und wird sofort knallrot. Ich rieche sein Parfüm und seine frisch gewaschenen Haare und am liebsten würde ich ihn hier und jetzt sofort vernaschen, doch ich halte mich zurück.
„Wann soll ich es dir denn sonst sagen?" frage ich und grinse verschmitzt.
„Spar dir deine Sprüche! Ich weiß, dass du an was versautes denkst!" zischt Sumi und fuchtelt mit dem Messer herum. „Außerdem haben wir keine Zeit für heiße Flirts, auch wenn sie verdammt sexy sind!"

Auch wenn Sumi weiterhin mit dem Rücken zu mir steht, kann ich sehen, dass er immer mehr errötet, und in seiner Stimme kann ich hören, dass er erregt ist. Das weckt einen gewissen Jagdtrieb und es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte ihm die Klamotten vom Leib gerissen. Ich will endlich mehr von ihm. Aber ich schlucke dieses Verlangen runter und richte mich auf, um ihm wieder etwas Platz zu lassen.
„Was ist denn geplant für heute?" frage ich stattdessen und Sumi reicht mir einen vollen Teller mit Reis und jeder Menge gebratenem Gemüse. Das ist das Einzige, was er imstande ist zu kochen. Aber besser als nichts.
„Ich konnte gestern ein Umzugsunternehmen erreichen und habe für heute einen Termin ausgemacht, um meine Sachen aus dem Haus zu holen," meint mein blonder Star und zusammen gehen wir an den Esstisch, wo wir zu essen beginnen. „Wir werden also gleich zum Haus meiner Eltern fahren, bevor die Möbelpacker kommen."
Ich verziehe missbilligend das Gesicht.
„Das ist verdammt spontan, Sumi!" Ich stopfe mir eine Ladung Reis in den Mund und trotzdem rutscht meine Laune in den Keller. Der Morgen hätte so schön anfangen können. Und irgendwie habe ich sofort eine schlimme Vorahnung, die sich in meiner Magengegend ausbreitet. Das heißt nichts Gutes.
„Ich musste schnell zusagen, denn der nächste freie Termin wäre erst in zwei Wochen gewesen und so lange will ich nicht warten." Ich schenke Sumi einen vielsagenden Blick. Sofort fuchtelt er mit den Händen in der Luft herum und ringt nach Worten.
„D-Das ist auf keinen Fall wegen dir! Ich habe die Zeit bei dir sehr genossen, das weißt du! A-Aber ich kann deine Gastfreundlichkeit nicht noch länger in Anspruch nehmen. Ich habe keinen Grund, das noch länger zu tun. Außerdem freue ich mich so langsam auf meine eigene Wohnung."
Ich nicke verstehend, auch wenn es mir einen kleinen Stich ins Herz verpasst. Gerade, als wir angefangen haben, uns besser zu verstehen und uns endlich näher zu kommen, muss sich Sumi räumlich wieder von mir trennen. Diese Erkenntnis bessert meine Laune nicht gerade. Auch wenn ich weiß, dass er nicht ewig bei mir wohnen bleiben kann und ihm eine eigene Wohnung guttun wird, bin ich trotzdem irgendwie verletzt, auch wenn es nichts mit mir zu tun hat. Gerade denke ich ziemlich egoistisch und das ärgert mich.

Am frühen Vormittag fahren wir mit Sumis Wagen gerade auf das Anwesen seiner Eltern, als uns beiden der Atem stockt und wir fassungslos durch die Frontscheibe starren.
„Scheiße!" stöhnt Sumi und mir kommt genau derselbe Gedanke. Das Umzugsunternehmen ist bereits da und macht Sumis Plan, vorher nochmal mit seinen Eltern reden zu wollen, sofort zunichte.
„Du hast deine Eltern doch vorgewarnt?" raune ich und parke das Auto an der Seite, damit es nicht im Weg steht, falls der LKW wenden muss.
Just in diesem Augenblick kommt eine aufgebrachte Mrs. Kwon auf die Veranda gestürmt und schnauzt die Möbelpacker wütend an, die gerade erst aus dem Transporter gestiegen sind und gar nicht wissen, was los ist.
„Anscheinend nicht," knurre ich und beantworte meine Frage damit selbst. Ich seufze und fasse mir an den Nasenrücken. Sumis Zeitmanagement lässt wirklich zu wünschen übrig.
„Ich regle das," sagt er taff und steigt aus, „bleib du nur bitte in der Nähe!"
„Ich werde deine Seite nicht verlassen," knurre ich ernst und folge ihm aus dem Auto zur Villa hinüber.

Bereits aus der Entfernung können wir das wilde Gekreische von Sumis Mutter hören und ich muss nüchtern feststellen, dass sich meine üble Vorahnung von heute Morgen gerade bewahrheitet. Ich lasse Sumi ein paar Schritte Vorsprung und er eilt die wenigen Stufen hoch zu den völlig verwirrt dreinblickenden Männern und seiner hysterischen Mutter, die sie immer noch ankeift. Als sie ihren vermissten Sohn erblickt, hält sie kurz inne und starrt ihn mit großen Augen und offenem Mund an und kurz habe ich die Hoffnung, dass sie sich über sein Erscheinen vielleicht freuen könnte. Doch stattdessen setzt sie zu einer weiteren Schimpftirade an.
„Was soll das hier werden, Sumi?! Du tauchst hier einfach so nach Wochen ohne ein einziges Lebenszeichen auf!! Was fällt dir ein?!"
Ich komme hinter Sumi auf die Veranda getreten und als sie mich sieht, wirkt ihr Blick im ersten Moment verängstigt und unsicher, dann funkelt sie mich wütend an und kommt einige Schritte auf uns zu.
„Das ist alles deine schuld, Arschloch!" Sie zeigt mit dem nackten Finger auf mich. „Du hast meinen Sohn verdorben und ihn von mir gerissen!! Bist du dir dessen Schaden bewusst?!"
„Ihren finanziellen Verlust, meinen Sie," sage ich trocken. Das bringt Mrs. Kwon nur noch mehr zur Weißglut und ich kann ihre Ader an der Stirn bereits gefährlich pochen sehen. Ihr Gesicht läuft rot an vor Wut und sie hört gar nicht mehr auf zu schimpfen. Ich blicke sie nur unbeeindruckt an und merke wieder einmal, wie sehr ich diese Frau verabscheue. Plötzlich geht Sumi zwischen uns und hebt beschwichtigend die Hände. Völlig verdattert bleibt seiner Mutter das letzte Wort im Hals stecken und sie blinzelt ihn sichtlich überrascht an.
„Der ganze Aufstand bringt nichts, Mutter. Es ist beschlossene Sache, dass ich ausziehe! Mach es uns nicht schwerer, als es ohnehin schon ist. Beruhige dich und lass die Männer ihre Arbeit machen."
Noch immer steht Mrs. Kwon wie versteinert da und starrt ihren Sohn sprachlos an. Es ist wohl das eine von wenigen Malen, wo Sumi es wagt, sich ihr zu widersetzen und damit weiß sie nicht umzugehen. Ich verspüre eine regelrechte Genugtuung und muss aufpassen, nicht breit zu grinsen.
„Ich ...aber ..." stottert sie konsterniert.

Sumi dreht sich zu mir um, ohne seine Mutter weiter zu beachten, obwohl sie gerade dabei ist, ihre Stimme wiederzufinden.
„Würdest du mit den Möbelpackern schon mal reingehen und ihnen meine Zimmer zeigen?"
Ich blicke ihn lange und zweifelnd an. Alles sträubt sich in mir, dieser Bitte nachzugehen. Ich kann und möchte ihn ungern mit seiner Mutter allein lassen, zu groß ist die Gefahr, dass sie wieder auf ihn losgeht. Zudem habe ich es ihm doch versprochen, seine Seite nicht zu verlassen! Doch Sumis ernster und selbstbewusster Blick sagt mir, dass er alles im Griff hat. Die kurze Zeit, die er nicht in diesem verseuchten Haus gewohnt hat, hat ihm unheimlich gutgetan und ich freue mich auf den Moment, in dem er der ganzen Sache endlich den Rücken zudrehen kann und sich endlich von diesem Scheiß erholen kann. Na prima, was mache ich denn jetzt? Halte ich mein Versprechen oder höre ich auf die Anweisung meines Chefs, der er nun einmal immer noch ist.
„Ich komme gleich nach," meint er noch einmal, um mir die Sicherheit zu vermitteln, dass alles gut ist. Ich zögere noch immer und blicke ihn an, er nickt mir kaum merklich zu und ich erwidere diese kleine Geste, dann gehe ich voran ins Haus. Die Männer der Umzugsfirma folgen mir, froh, der unangenehmen Situation entfliehen zu können.


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