Auf den neusten Stand kommen

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Andys Sicht:

«Ich geh mich umziehen», sagte ich und schnappte mir die zurechtgelegten Sachen und verschwand ins Bad. Schnell waren der Rock und die Schuhe aus. Ich zog die Strumpfhose nach unten, setzte mich danach auf die Toilettenbrille und zog die Strumpfhose ganz aus. Schliesslich nahm ich auch die Prothese ab und zog die drei Paar Socken davon runter. Nachdem ich kurz meinen Stumpf betrachtet hatte, ob irgendwelche Rötungen entstanden waren – zum Glück nicht, aber ich war auch nicht lange auf den Beinen, bin mehrheitlich gesessen –, zog ich die Hose und den Hoodie an, um schliesslich mein linkes Hosenbein hochzukrempeln und die Prothese wieder anzuziehen. Warum zum Teufel habe ich die Socken ausgezogen? Diese muss ich morgen nur wieder über die Prothese stülpen. Grossartige Andy, da hast du mal wieder nicht viel überlegt. Ich liess das Hosenbein über die Prothese gleiten, stand auf und betrachtete mich im Spiegel. Das Outfit war super, eine viel zu grosse Hose und ein viel zu grosser Hoodie. Beides gehörte eigentlich Shawn, aber durch die Hose erkannte man meine Prothese so gar nicht. Ich wusch mir noch den Lippenstift ab und band mir meine Haare zu einem Dutt. So lief ich dann wieder raus. Beide sahen mich an, auch sie hatten etwas Bequemeres angezogen. Margo eine stylische Leggings und Tabea eine geblümte Pyjamahose. «Sagt nichts zu meinem Outfit, die Sachen gehören eigentlich meinem Bruder», sagte ich und legte meine Schuluniform auf den Stuhl, der wohl auch mir gehörte. Das war schon damals so, dass man einen Stuhl zur Verfügung hatte. «Und warum trägst du die Sachen deines Bruders?» fragte Tabea mich. «Trennungs- oder Verlustängste», sagte ich, die Wahrheit. Seit Isi gestorben ist, habe ich schreckliche Angst, noch ein Familienmitglied zu verlieren. «Wenn du sprechen möchtest, wir hören dir gerne zu», sagte Margo einfühlsam. «Danke», sagte ich nur und lief aus dem Schlafsaal nach unten in den Gemeinschaftsraum. Dort kam mir sofort Owen entgegen. Er sah mich von oben bis unten an, sagte jedoch nichts dazu. Gemeinsam liefen wir in eine abgelegene Ecke. «Wie schon gesagt, du musst nicht», sagte er. «Doch, dich, ich will», sagte ich und atmete tief durch. «Du weisst ja, wir haben viele Tiere, gefährliche oder weniger gefährliche. Auch wenn sie an uns gewöhnt sind, sind es dennoch wilde Tiere. Wir kennen sie und wissen, wie ihre Jagdinstinkte sind. Das Problem ist, dass wir sie zu sehr lieben und als Familie ansehen.

Im Sommer vor zwei Jahren drehte eine Chimäre durch. Sie sprang wild herum und verletzte sich dabei selbst. Meine Schwester Isi... Isabelle.» Ich schluckte schwer. «Sie versuchte, Toma, also das Chimärenmännchen, von Weitem zu beruhigen. Dies half jedoch nichts. Sie sagte mir, ich solle hier warten. Das tat ich. Sie ging auf ihn zu, versuchte, ihn zu beruhigen. Toma sprang auf Isi. Sie konnte nicht mehr ausweichen. Ich sah, wie sie zu Boden fiel, voller Blut.» Ich strich mir eine Träne weg. «Andy...», fing Owen an, doch ich hob eine Hand, um ihn zu stoppen. «Ich wollte ihr helfen, rannte auf sie zu, um Isi da raus zu holen. Ich umgriff ihre Arme, wollte sie weg von Toma schleifen. Da schnappte er zu, und ich schrie auf. Shawn und Chris hörten mich, rannten auf mich zu. Chris liess Flüche auf Toma los, ununterbrochen, und Shawn nahm mich auf seine Arme und trug mich weg. Er versuchte, die Blutung zu stoppen. Da fiel ich in Ohnmacht. Ich wachte im Mungos auf, Shawn und Chris bei mir, beide blutüberströmt und mit Tränen in den Augen. Als sie bemerkten, dass ich wach war, waren sie so erleichtert. Ich fragte natürlich nach Isi, doch sie war schon bei Toma tot. Wir haben unsere Schwester verloren, die Schwester, die uns alle aufgezogen hat, die mit 20 die Familie und das Erbe übernommen hat, ohne zu zögern. Wir wussten, dass die nächste Zeit schwierig wird. Und am liebsten wäre ich an ihrer Stelle gestorben. Das war auch deutlich erkennbar. Ich hasse mich dafür, was ich alles gesagt und getan habe. Ich quälte meine Brüder nur damit. Und sie taten schliesslich alles für mich», sagte ich weinend, und Owen zog mich in seine Arme. «Es tut mir so unfassbar leid», sagte er. Er löste sich von mir, und wir beide schwiegen.

«Darf ich fragen, wo er dich erwischt hat?» fragte Owen zögernd. Ich bückte mich und fing an, mein linkes Hosenbein hochzuziehen. Owen riss die Augen auf. Ich schob das Hosenbein wieder beschämt nach unten. «Nein, das wollte ich dir nicht vermitteln», sagte er sofort. «Ich... Es ist nichts Schlimmes, doch es ist schlimm, dass dir das passiert ist. Aber es ändert nichts an dir, oder doch schon. Aber du bist noch immer du, und... Nochmal von vorne. Du bist meine beste Freundin, egal ob mit einem oder zwei Beinen. Egal, wie du aussiehst, du bist du. Und dass du mit all dem, was dir passiert ist, klar kommst, ist bemerkenswert. Ich glaube kaum, dass irgendjemand sonst hier damit klar käme. Da käme auch der mutigste Gryffindor nicht klar», sagte er. «Ich komme nicht damit klar. Es ist einfach so, und ich kann es nicht ändern», murmelte ich. «Ich bin bei dir, egal, was geschieht», versicherte er mir. «Danke», sagte ich leise.

«Und wie willst du es handhaben? Es wirkt so, als wolltest du nicht, dass man weiss, dass du ein Bein weniger hast», sagte er. Ich seufzte. «Ich möchte es auch nicht, dass es jeder weiss. Sie würden mich nur bemitleiden und als Freak ansehen. Ich versuche einfach so unauffällig zu sein wie möglich», sagte ich erklärend. Er nickte.

«Tut es weh?» fragte er dann vorsichtig. «Was?» fragte ich nach. «Dein Stumpf. Also mit der Prothese zu laufen.» «Es drückt manchmal, je nachdem, wie gut ich die Prothese anziehen und wie viel Zeit ich mir dafür nehme. Manchmal bekomme ich noch so Anfälle, wo mein linkes Bein anfängt zu schmerzen. Also, mein nicht vorhandenes Bein. Sogenannte Phantomschmerzen. Aber am meisten schmerzt es, dass es mich daran erinnert, was passiert ist. Und es ist einfach verdammt abstossend», erzählte ich. Er nickte nur wieder. «Aber jetzt du, was ist so passiert? Was habe ich verpasst?» fragte ich und grinste.

«Hmm, lass mich kurz überlegen. Snape ist noch immer ein Idiot, McGonagall noch immer streng, Flitwick ist gleich gross geblieben, Sprout noch immer extrem nett, Dumbledore...» «Halt, ich kann mir gut vorstellen, dass die Professoren gleich geblieben sind, aber was ist es sonst so, unsere Mitschüler?» unterbrach ich ihn. «Du wurdest als Streichekönigin abgelöst», sagte er dann. «Was? Nein! Wer wagt es?» murrte ich. «Fred und George Weasley. Die Weasley-Zwillinge. Sie sind wirklich witzig. Sind zwei Jahre unter uns», erklärte er. «Die können sich auf was gefasst machen. Jetzt ist Andrea Griven wieder auf Hogwarts», schmunzelte ich. Owen schüttelte belustigt den Kopf. «Quidditch-technisch sind wir relativ gut unterwegs. Die Slytherins sind noch immer brutal. Flint ist der Captain. Die Ravenclaws sind auch nicht schlecht, die meisten im Team sind Siebt- oder Sechstklässler. Also sind sie nächstes Jahr wieder auf der Suche und sicherlich schwächer. Aber dieses Jahr demnach noch relativ stark und aufeinander abgestimmt. Gryffindor wird wohl ein Durcheinander sein. Sie brauchen noch einen Sucher und einen Jäger. Ausserdem haben sie einen neuen Captain; der vorherige kam letztes Jahr raus. Ich weiss leider noch nicht, wer es ist. Und bei uns sieht es auch nicht übel aus. Luke ist der Captain, du weisst schon, er aus der Sechsten, welcher mit dir Treiber wurde. Simon wurde letztes Jahr Hüter. Dann ist da noch Cedric...» Ich unterbrach ihn. «Diggroy, er ist der Cousin von Angi Diggory aus Ravenclaw, anscheinend ziemlich gut aussehend», sagte ich. Owen zog eine Augenbraue nach oben. «Was? Ich sass mit Ravenclaws im Zugabteil, die über ihn gesprochen haben und wie es ist, etwas mit Jüngeren anzufangen», erklärte ich. Er schüttelte grinsend den Kopf. «Also Cedric spielt auf welcher Position?» fragte ich. «Er ist Sucher. Und dann wäre da noch Thomas Cadwallder, ein Jäger aus der Siebten, zusammen mit Gabriel Turman», den letzten Namen knurrte er beinahe. «Was hast du gegen Gabriel?» fragte ich. «Er ist ein Idiot, hält sich für den Coolsten. Hatte letztes Jahr was mit der kleinen Schwester von Simon. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er sie bedrängt hat. Sie war in der Zweiten und war am Boden zerstört. Simon hat sowas von auf ihn eingeschlagen. Anscheinend hat die kleine Lucy seitdem Angst vor Männern. Sie geht jetzt nach Beauxbatons», erzählte Owen. «Aber Beauxbatons ist nicht anders als Hogwarts, es ist auch eine gemischte Schule.» meinte ich. «Aber strenger, so viel ich gehört habe. Ausserdem meinte Simon, dass sie einen Neuanfang benötigte und es tat ihr gut. Er hat mir gerade eben im Zug erzählt, dass sie diesen Sommer nach einem Jahr Frankreich kaum mehr Angst vor ihm hatte.» «Was? Sie hat Angst vor ihrem eigenen Bruder? Was hat Gabriel nur getan?» sagte ich schockiert. «Wie gesagt, Gabriel ist ein Arschloch, und ich muss mit ihm einen Schlafsaal teilen.» «Ja, aber nicht nur mit ihm», munterte ich ihn auf. «Wir sind nur zu viert. Ich habe noch Ed und Simon, mehr auch nicht.» «Ach, so schlimm kann es nicht sein, du hast schon vier Jahre mit ihm ausgehalten», meinte ich.

Ja, wir haben uns eigentlich ganz gut verstanden zu viert, bis Gabriel vor einem halben Jahr so einen Mist abziehen musste», sagte Owen. «Hat er jetzt keine Freunde mehr?», fragte ich mitleidig. «Hey, was soll das, ReRe? Er ist der Böse. Kein Mitleid mit den Bösen», versuchte mich Owen zurechtzuweisen. «Ich kann nicht anders, so ist nun mal ein Wesen. Muss schliesslich einen Grund haben, wieso ich in Hufflepuff bin. Ausserdem steht dir dieser böse Blick überhaupt nicht», verteidigte ich mich. Er lachte kurz auf. «Der böse Blick muss auch nicht gut aussehen», lachte er. «Wirkt aber authentischer, wenn er gut aussieht», argumentierte ich und lachte auch. «Aber jetzt mal im Ernst, hat er noch Freunde?» fragte ich nach. Owen zuckte mit den Schultern. «Ich glaube, er versteht sich ganz gut mit Henry und Ted, genauso wie mit Roger Davis aus Ravenclaw, viertem Jahr, und Robert Hilliard in unserem Jahrgang, auch Ravenclaw. Er hat also Freunde», sagte Owen. Dieses Mal nickte ich. «Warte... Dann gibt es keine Mädchen bei uns im Quidditch-Team?» fragte ich verblüfft. «Nein, du warst die Letzte.» «Ich hoffe mal schwer, dass das nur Zufall war», murrte ich. Owen lachte. «Andrea Griven, die für Gerechtigkeit kämpft, aber sich nicht vor Regelverstössen scheut», «So ungefähr, ja, Mr. Cauldwell», lachte auch ich.

Andrea Griven - Nichts läuft wie geplantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt