Reise zu den Wrights

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Andys Sicht:

Die Weihnachtsferien stehen vor der Tür, und ich bin bei Simon eingeladen. Da wir Weihnachten nicht mehr feiern, seit Isi tot ist, verbringen wir die Feiertage zusammen. An Silvester kommt die ganze Gruppe zu mir, und wir feiern gemeinsam das neue Jahr. Es wird viel besser als letztes Jahr, als Chris und ich nur gelangweilt zuhause sassen. Wir setzen uns zusammen in ein Abteil im Hogwarts-Express.

«Oh, ich freu mich so, Mike endlich wiederzusehen», schwärmt Margo. Auch die anderen sind begeistert, bis auf Luke. Ich sehe zu ihm. «Alles gut, Luke?» frage ich vorsichtig. Er schüttelt den Kopf. «Willst du darüber reden?» frage ich weiter. Die anderen schweigen und schauen zu ihm. «Ich kann das nicht», sagt er und verlässt das Abteil.

Ich stehe auf und folge ihm. Er geht auf die Herrentoilette, aber ich lasse mich nicht beirren und folge ihm. «Andy, das ist das Jungsklo», sagt Luke überrascht. «Mir egal. Was ist los? Ist es wirklich so schlimm, zurück zur Familie zu gehen? Wenn ja, wieso gehst du überhaupt zurück? Vielleicht kannst du auch mit mir zu Simon kommen oder zu Owens Familie, die sind auch sehr nett, dort bist du bestimmt willkommen oder...» «Lass es, Andy. Ich muss nach Hause, auch wenn nur Hass auf mich wartet», sagt er.

«Ist es wegen der nächsten Liebe? Von wegen», beginnt Luke. «Verstehen sie noch immer nicht, dass du ein Zauberer bist?» frage ich vorsichtig. «Am liebsten würden sie mich wohl auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ich bin ein Sünder. In jeder Hinsicht. Und jetzt haben sie auch noch herausgefunden...» fängt er an. «Was haben sie herausgefunden?» frage ich nach. Er seufzt, «dass ich eine Beziehung mit einem anderen Zauberer führe», sagt er nun leise. «Und zu ihm kannst du nicht?» frage ich. «Nein. Heute habe ich den Brief erhalten, dass er sich von mir trennt», murmelt er. «Das einzig Gute an Zuhause», sagt er traurig, und ich nehme ihn in den Arm. «Ich werde wohl gar nicht aus dem Sündern herauskommen», sagt er. «Du hast rein gar nichts falsch gemacht, Luke. Rein gar nichts, okay? Du bist hervorragend, so wie du bist. Und du hast nichts falsch gemacht», sage ich.

Er lehnt seinen Kopf an meine Schulter, und ich umfasse seine Hand. «Du hast keinen Grund zu sündigen», sage ich. «Keinen einzigen», wiederhole ich. Er hebt seinen Kopf hoch und sieht zu mir. «Kann ich nach Silvester bei euch bleiben? Ich glaube, ich schaffe es, ihnen vorzumachen, dass die Schule früher beginnt», fragt er. «Natürlich. Du kannst auch schon früher kommen», meine ich. Dann schweigen wir wieder. «Darf ich dich etwas fragen?» frage ich, und er nickt an meiner Schulter. «Warum hast du uns oder den Jungs nie erzählt, dass du auf Männer stehst?» frage ich. Er hebt seinen Kopf hoch und sieht zu mir. «Weil es falsch ist. Oder weil mir immerzu das Gefühl vermittelt worden ist, dass es falsch ist», sagt er. «Es ist nicht falsch, das ist dir bewusst», sage ich. Er nickt. Er seufzt und steht auf. «Wir sollten wohl zurück», meint er und zieht mich auf die Beine. «Wenn du soweit bist, dann ja», sage ich. «Ja, und könntest du es für dich behalten? Ich sage es ihnen bestimmt noch, wohl vor dem Abschluss, damit ich nach der Enttäuschung nicht jeden Tag sehen muss oder...» «Sie werden nicht enttäuscht sein. Ausserdem weiss es Margo auch schon. Hat dich und ihn in London gesehen», sage ich und laufe los. «Ist mir gar nicht aufgefallen, Tabea verhält sich sonst immer auffällig», meint er. «Margo weiss es, Tabea nicht. Wenn sie es unbedingt jemandem erzählen musste, aber wusste, dass Taby nicht damit umgehen kann, hat sie es mir erzählt», sage ich. «Klug», murmelt er nur. «Sag es ihnen bitte früher, ja?» frage ich. «Okay», meint er, und wir gehen wieder ins Abteil. Wir setzen uns hin, als wäre nichts passiert.

«Ist es falsch, dass ich mich am meisten darauf freue, Andys Brüder zu sehen?» fragt Ed. «Es wirft so einige Fragen auf, ja», sagt Luke dazu. «Kannst ja dein Glück bei Chris versuchen, der steht auch auf Männer. Obwohl du ihm wohl zu jung bist», sagt Owen. Wir lachen, genauso wie auch Luke. «Kommt schon, ihr wisst, dass ich auf Frauen stehe», sagt Ed. «Ja, nur zu gut», meint Owen und verzieht das Gesicht. «Wenn du schon Andy und mir verbietest, du weisst schon, dann solltest du auch Rücksicht auf uns nehmen», sagt Simon. Ich sehe fragend zu ihm. «Ich hätte eine Lektion davon auch frei. Aber die beiden sind ja schon beschäftigt», sagt Luke grinsend. «Können wir das Thema bitte wieder auf Ed lenken?» sagt Simon. «Ihr habt es doch nicht in unseren...» fängt Ed an. Ich und Simon sehen uns nur an. «Nein, ernsthaft. Wieso?» jammert er. Simon zuckt mit den Schultern. «Weil wir es können», sagt er. Und wir alle lachen.

Wirstiegen schliesslich aus, und ich klammerte mich an Simon fest, nachdem wir unsvon unseren Freunden verabschiedet hatten. Ich sah mich suchend um, obwohl ichwusste, dass weder Chris noch Shawn hier waren. «Du zerquetschst meine Hand»,murmelte er. «Tut mir leid», sagte ich. «Meine Familie wird dich lieben. Ach,und sie wissen ... nun ja, von deinem Bein. Ich musste darüber sprechen», sagteer. «Schon okay», meinte ich. «Ah, dort sind sie», sagte er und wies in eineRichtung. «Deine Schwester ist auch da?» fragte ich verwundert. «Ja, sie konnteeinen Tag früher von der Schule. Und sie konnte es wohl nicht erwarten, dichkennenzulernen», meinte er schmunzelnd. «Simon, mein Junge», sagte die Frau undumarmte Simon. «Hey Mom», meinte dieser nur. «Und du musst Andy sein», sagtesie und wandte sich mir zu. «Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Wright»,sagte ich. «Ach, nenn mich ruhig Anna, und das ist mein Mann Hugo», sagte sie. «Freutmich», sagte Hugo und schüttelte meine Hand. «Mich auch», erwiderte ich. «Ichbin Lucy. Schön, dich endlich kennenzulernen. Ich freu mich so», sagte Lucyfreudenstrahlend und umarmte mich. «Wollen wir? Das Auto steht draussen», sagteHugo, und wir liefen nach draussen. Als wir vor dem Auto standen und Simonseinen Koffer hineinwarf, blieb ich stocksteif stehen. «Alles gut bei dir,Andy?» fragte Anna mich. «Mom, sie kennt das vielleicht gar nicht», meinte Lucyund kam auf mich zu. «Keine Sorge, Andy. Autos sind ganz sicher, und mein Dadist ein super Fahrer. Wir werden in kürzester Zeit zuhause sein», versuchtemich Lucy zu beruhigen. «Sie weiss, was ein Auto ist», sagte Simon und kam aufmich zu. «Warst du in den letzten acht Jahren mal in einem Auto?» fragte ermich sorgenvoll. Ich nickte. «Wir hatten dasselbe», murmelte ich in Trance. «Hey,Andy, sieh mich an. Komm, sieh zu mir», sagte Simon und nahm mein Gesicht inseine Hände und drehte meinen Kopf zu ihm. «Wir kommen heil an. Das versprecheich dir. Und selbst wenn etwas passieren würde, wir sind hier, und wir beidekönnen zaubern. Wir sind auf alles vorbereitet. Dieses Auto fährt sehr gut,genauso wie das Auto von Shawn. Es wird nichts passieren», sagte Simon. Ichnickte. Er verstaut meinen Koffer, nahm mich bei der Hand, und wir setzten unsins Auto. «Macht dir das Autofahren Angst?» fragte Hugo, als wir losfuhren undich mich verkrampft an Simon festhielt. «Meine Eltern hatten einen Unfall ingenau so einem Auto», sagte ich. «Oh, das tut mir leid. Wie geht es ihnenjetzt?» fragte Anna und sah zu mir nach hinten. «Ich war die einzige, die denUnfall überlebt hat», sagte ich und spürte, wie Simon mir eine Träne aus demGesicht wischte. «Das tut mir unfassbar leid. Wenn du eine Pause benötigst, sages ruhig, und ich halte an. Dann kannst du frische Luft schnappen», sagte Hugo.«Wie lange fahren wir denn?» fragte ich. «Rund zwei Stunden», antwortete Anna.Ich atmete tief durch. «Du, Andy, ich schreibe ja dieses Jahr meine ZAGs, auchin Kräuterkunde, aber ich verstehe die Pflanzen nicht wirklich. Unser Professorspricht immer davon, dass «dies dazu gehört, auch wissen, wie man sie pflegt»,aber ich habe keine Ahnung, was er damit meint. Es sind schliesslich komplettandere Pflanzen. Und Simon hat mir gesagt, du kennst dich mit Pflanzen aus»,sagte Lucy und sah neugierig zu mir. «Das hat mit der Pflanzensystematik zu tun»,meinte ich. «Ach ja, wie genau?» fragte Lucy.

Andrea Griven - Nichts läuft wie geplantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt