Mein Revier

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Andys Sicht:

Chris verschwand, und ich sah zu Charlie. «Eh... also...» fing ich zögernd an. Andy, das ist dein Revier; du bist der Boss. «Also, die Mondkälber, Hippogreife, Prolocks, Runespoor, Thestrale, Horklump, Occamy, Niffler und die Demiguise sind noch nicht gefüttert. Such dir aus, zu welchen du gehst. Ich nehme an, Chris hat dich über ihr Fressen informiert die letzten Tage», sagte ich schliesslich.

«Eh ja, die Runespoor habe ich noch nie gefüttert, aber Chris hat es mir erzählt. Sonst kann ich im Ordner nachsehen – diese hat er mir gezeigt. Es gibt nur ein Problem bei den Thestralen», erzählte er. Ich sah verwirrt zu ihm. Wieso sollte es ein Problem geben? «Wieso?» fragte ich deshalb, aber als er gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, schlug ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn. «Dumme Frage. Du siehst sie nicht. Tut mir leid, ich bin es mir gewöhnt, sie zu sehen. Ich übernehme in diesem Fall dieses Gehege, und wenn du möchtest, die Runespoor auch», sagte ich.

«Nein, ich gehe gerne zu den Runespoor. Aber ich wäre froh, wenn du mir das Wichtigste zu ihnen erzählen könntest», sagte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Ist ja schon beinahe normal mit ihm zu sprechen. «Okay. Also, der mittlere Kopf ist der harmloseste. Wenn der dich anstarrt, keine Panik. Sehr wahrscheinlich nimmt er dich gar nicht wahr. Wenn dich der linke Kopf anstarrt, ist es auch nicht so schlimm. Das heisst wohl einfach, dass er auf dich zukommt. Und wenn dich der rechte Kopf anstarrt, ist es erst gefährlich, wenn der Runespoor in deiner Nähe ist. Der rechte ist giftig. Und nicht erschrecken, fünf von ihnen haben nur noch zwei Köpfe», erzählte ich.

«Also, links Navigation, Mitte dumm und rechts giftig», wiederholte Charlie. Ich schmunzelte, bis mir wieder bewusst wurde, wer mir gegenüberstand. «Genau», sagte ich, «danke.» Meinte Charlie und verschwand.

Mürrisch stellte ich fest, dass Charlie schneller arbeitet als ich. Wir waren gerade mit dem Ausmisten fertig, als ich in die Küche ging und anfing zu kochen. Schliesslich ging ich wieder zurück. Er war gerade am letzten Gehege und schaufelte zu Ende. Ich schnappte mir die Schubkarre und wartete, bis er die letzte Schaufel in die Schubkarre tat, und rollte dann mit dieser weg. «Danke, dass du mich die restlichen Gehege selber ausmisten lassen hast», rief er mir hinterher. Ich ignorierte ihn; sonst endet das in einem Streit. «Nichts zu sagen?» fragte er nach. Ich leerte die Schubkarre auf den Misthaufen aus und klopfte mir die Hände auf den Hosen ab. «Ich habe Mittag gemacht», murrte ich und lief in die Küche. Er folgte mir, und ich stellte den Flammkuchen aus dem Ofen auf den Tisch. Ich schnappte mir zwei Stück und verschwand dann ins Büro, wo ich während dem Essen die Rechnungen durchging. Ich drehte beinahe durch. Da hörte ich das Telefon. Man, das klingelt oft in letzter Zeit. Ich rutschte das Geländer hinunter und lief zum Telefon, das in der Küche hängt, wo Charlie die Sachen abspült. «Griven» nahm ich ab. «Hey Andy, hier ist Simon», hörte ich.

«Oh, hey Simon», sagte ich und drehte Charlie den Rücken zu. «Ich habe gehört, was passiert ist.» «Margo?» fragte ich. «Ja, sie dachte, dass du reden möchtest.» «Es ist viel und schwierig», seufzte ich. «Versteh ich. Bitte sag nicht, dass du die Schule schmeisst.» «Das habe ich nicht gesagt», sagte ich. Mir war bewusst, dass Charlie mir zuhört. «Gesagt nicht, aber du denkst es. Lass das.» «Simon... Shawn liegt im Krankenhaus. Und er wird am Ende der Ferien nicht wieder gesund sein. Ich kann Chris nicht alleine lassen. Simon, sag mir, was bringt es, wenn ich wieder zurück nach Hogwarts gehe? Was bringt mir der Abschluss? Ich werde danach sowieso hier arbeiten. Mir bleibt nichts anderes übrig», sagte ich. «Andy...» fing er an, doch ich unterbrach ihn. Mir war alles zu viel, und mir liefen Tränen übers Gesicht. Es war einfach zu viel, ich. «Nichts da, Andy. Was bringt mir dieses halbe Jahr noch? Ich hätte schon gar nicht wieder zurück nach Hogwarts gehen sollen. Es war ein Fehler. Ich...» Mir brach die Stimme ab. Vor zwei Monaten habe ich noch genau dagegen gehalten, als Chris mich mitnehmen wollte. «Wir hätten uns nie kennengelernt», hörte ich ihn. «Simon, das wollte ich nicht sagen. Das meinte ich ganz bestimmt nicht so. Du weisst, dass du mir wichtig bist und dass ich verdammt froh um die Zeit mit mir war. Aber...» «Andy, eine Ausbildung ist wichtig. Was ist, wenn du irgendwann etwas anderes machen möchtest?» «Auch wenn ich etwas anderes machen möchte, wird es nicht geschehen. Ich liebe Tiere, habe mir nie was anderes vorgestellt zu tun», ich schluchzte auf. Ich sah kurz zu Charlie, was soll»s. «Ausserdem, wo würde ich eine Anstellung finden? Wer würde schon einen Krüppel...» sagte ich. «Nein, hör auf. Andy, was würde Shawn zu dieser Entscheidung sagen?» fragte Simon. «Er ist nicht ansprechbar», fing ich an. «Was würde Shawn sagen?» wiederholte Simon. Ich schwieg. «Andy, deine Brüder hatten einen Grund, dich wieder in die Schule zu schicken. Sie hätten dir alles beibringen können, was du können musstest. Was haben Chris und Shawn dir deswegen gesagt?» sprach Simon weiter. «Auch Krüppel müssen zur Schule», murmelte ich. «Shawn würde mich höchst persönlich wieder nach Hogwarts schleifen», sagte ich dann. «Genau, und ich wette, nicht aus, dass Shawn dich nicht zurechtweisen kann. Weil wir beide genau wissen, dass du Chris überreden kannst», sagte er eindringlich. «Andy, ich schwöre dir, wenn du nach den Ferien nicht auftauchst, komm ich dich höchstpersönlich holen. Ich, Owen und Ed, ich würde mich sogar mit Gab verbünden, um dich zu holen», sagte er, und ich lachte auf, was komisch klang, weil ich noch immer weinte. «Klar? Wir sehen uns am Bahnhof.» «Wir sehen uns am Bahnhof», sagte ich und legte schliesslich auf. «Ich fange an, das Futter vorzubereiten, wenn das in Ordnung ist. Du bist wohl noch an den Rechnungen», sagte Charlie. Woher weiss er, dass ich an den Rechnungen bin? Da bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit ein Pergament in den Händen hielt. «Ja, das... Danke», sagte ich, nickte und verschwand. Ich atmete tief durch und machte mich an die Rechnungen.

Seit dem Tag wechseln Chris und ich immer ab. Charlie und ich ignorierten uns meistens und kommunizieren nur das Nötigste. Chris schaffte es tatsächlich, mit Zaubersprüchen Shawn immer wieder zu heilen; seine Werte haben sich verbessert. Er ist noch nicht über dem Berg, aber auf dem Weg zur Besserung. Und genau deswegen musste mich am Ende der Ferien Chris aus dem Zimmer tragen. «Chris», fing ich an. «Nein, Kleine, du gehst nach Hogwarts», sagte er und stellte mich vor der Haustür ab. «Aber du brauchst Hilfe», versuchte ich noch immer. «Ja, ich benötige Hilfe von einer Hogwarts-Absolventin. Ausserdem bleibt Charlie noch eine Weile. Also bin ich nicht alleine. Shawn geht es immer besser; sie rechnen damit, dass er schon bald aufwacht, also müssen wir nicht ständig bei ihm sein. Es wird alles gut», sagte er und drückte mir den Koffer in die Hand. «Du kommst mich holen, wenn er aufwacht.» «Ja, tu ich. Andy, es ist Viertel vor Elf, du musst gehen.» «Auch wenn es nicht funktioniert?» «Es wird funktionieren», sagte er. «Aber...» «Geh jetzt endlich», sagte er und schob mich aus der Tür. Ich lachte kurz und apparitierte. Ich beeilte mich, den Zug zu erreichen, und schaffte es noch knapp. Schliesslich schleppte ich meinen Koffer durch den Zug und fand dann endlich das Abteil mit meinen Freunden. «Andy», sagte Margo begeistert. Ich wurde nacheinander von ihnen umarmt. «Wir haben schon die Entführungsaktion angefangen zu planen, wie wir dich holen kommen», sagte Ed. «Nicht nötig», schmunzelte ich. «Wie geht es Shawn?» fragte Owen. «Besser. Und jetzt möchte ich den Klunker sehen», sagte ich und sah zu Margo, diese streckte mir freudig die Hand entgegen.

Andrea Griven - Nichts läuft wie geplantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt