Ruf des Meeres

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Ayumi Jackson starrte in ihren Tee. Er war nicht besonders interessant. Nur gefärbtes Wasser mit Geschmack.
Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen, dann nahm sie einen Schluck. Sofort schoss ein Kribbeln durch ihren Körper, sie fühlte sich wacher. Aber da war noch etwas. Ein Drang. Nein, ein Ruf. Ein Ruf, der sie lockte, einfach ans Meer zu gehen und sich mit den tobenden Wellen zu vereinen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Der Schmerz half dem Ruf zu widerstehen. Eine Hand legte sich auf Ayumis Schulter.

„Lass das lieber, Kleine", hörte sie Cookies ruhige Stimme. „Damit ruinierst du dir nur deine wunderschöne Aura."
„Ich weiß." Ayumi seufzte. „Es ist nur, immer wenn ich mit Wasser in Berührung komme, ist da dieser Ruf. Und das gefällt mir nicht."
„Hat es etwas mit...du weißt schon, deinen Mitbewohnern zu tun?" Cookie senkte seine Stimme. „Das ganze hat doch erst angefangen, nachdem sie da waren."

Sie nickte. Vor Cookie konnte man einfach nichts geheim halten. Er hatte sofort die Veränderungen in ihrer Aura bemerkt, als sie ihn vor ein paar Monaten besuchen kam. Und deshalb war er auch der einzige, der von ihren Mitbewohnern wusste.
„Ich oder wir denken, dass es etwas damit zu tun hat. Aber jeder hat eine unterschiedliche Theorie dazu." Sie rieb sich die Schläfen. „Und nun habe ich Kopfschmerzen."

„Warte einen Augenblick." Der Aurenleser verschwand kurz und kehrte gleich darauf mit einer dampfenden Tasse auf. „Geht aufs Haus." Er ließ sich neben Ayumi auf einen Stuhl plumpsen.
„Heiße Schokolade?" Fragend beäugte sie die Tasse. Cookie grinste. „Schokolade hilft gegen alles."
Seufzend nahm sie einen Schluck. Sie würde ihn nicht von seiner Überzeugung, Schokolade sei ein Allheilmittel, abbringen können.

Aber diese Tatsache machte ihn noch liebenswerter. Cookie tätschelte ihr den Kopf. „Geht doch. Deine Aura funkelt wieder." Jetzt lachte sie. Cookie war einfach der Beste. Dann saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander. Ayumi trank ihre Schokolade. Cookie genoss das Funkeln ihrer Aura.

„Also", sagte er, nachdem Ayumi ihre Tasse ausgetrunken hatte. „Was habt ihr denn für interessante Theorien, dass du dir deinen kleinen Kopf zermarterst?"
„Rhea denkt, dass die Macht von ihnen zu viel für meinen Körper ist und deshalb mein göttlicher Teil zu meinem Vater will, damit er mich anerkennt."
Cookie nickte verständnisvoll. „Eine Anerkennung wirkt als Stabilisator für die göttlichen Kräfte eines Halbbluts. Sobald du anerkannt wurdest, kannst du deine Wassermagie bestimmt noch besser kontrollieren."
Sie zog eine Grimasse. „Nenn es nicht Wassermagie. Jedenfalls denkt Tartarus, dass wir irgendjemand auf uns aufmerksam gemacht haben, mein Unterbewusstsein es bemerkt hat und mir Signale sendet, damit ich mich in Sicherheit bringe. Und was wäre da sicherer als das Meer, wo ich am stärksten bin?"
„Klingt einleuchtend."

„Und Gaia denkt, dass es eine Falle ist. Aber jeder von ihnen ändert seine Meinung mindestens fünfmal am Tag."
„Dann ist es kein Wunder, dass deine Aura so trüb war. Mich allerdings interessiert, wie du darüber denkst."
„Ich?" Unruhig trommelte Ayumi mit ihren Fingern auf den Tisch. „Es nervt, schätze ich. Ich kann nicht in Ruhe meinen Tee trinken, habe Kopfschmerzen und versuche, mich von jeglichen Flüssigkeiten, die zu viel Wasser enthalten, fern zuhalten. Ich habe meist schlechte Laune und bin meist unkonzentriert. Also wenn du mich gern töten würdest, wäre jetzt die Gelegenheit."
„Du siehst das alles viel zu negativ", sagte Cookie. „Finde das Gute im Schlechten."

„Er hat recht", erklang Tartarus Stimme in ihrem Kopf. „Nichts ist nur gut oder nur böse. Es kommt auf die Perspektive an."
Er hatte recht, wurde sich Ayumi bewusst. Tartarus musste es schließlich wissen, denn er wurde von allen als böse wahr genommen. Deshalb versteckte er sich ja auch in ihr. Aber trotzdem konnte sie nichts gutes an diesem Ruf erkennen.
„Es ist nicht nur der Ruf", meinte Rhea. „Du hast es doch bemerkt. Das Kribbeln als du den Tee getrunken hast. Es stärkt dich."

„Normalerweise könnte ein sterblicher Körper nie die Macht von zwei Urgöttern und einem Titanen ertragen. Er würde in Flammen aufgehen", erklärte Gaia. „Was auch immer es ist, es hilft dir."
„Allerdings solltest du herausfinden, was es ist und was es von dir will", sagte Tartarus. „Alles hat seinen Preis."

So blieb Ayumi noch eine Weile sitzen, um zu grübeln. Cookie machte sich wieder an die Arbeit. Das Café führte sich schließlich nicht von allein. Kunden kamen und gingen. Einige blieben länger als andere. Ayumi beachtete sie nicht, bis sich eine Gruppe verhüllter Gestalten an den Nebentisch setzte. Das war an sich nichts besonderes. Cookies Laden war neutraler Boden. Monster, Götter und sogar einzelne Halbblute kamen hierher. Sie durften bleiben solange sie die Hausregeln nicht verletzten oder Cookie verärgerten. Und irgendwie wollte niemand Cookie verärgern.

Die verhüllten Gestalten flüsterten untereinander. Ayumi schnappte die Wörter „Camp", „Angriff" und „Lord Kronos" auf. Mit einem kalten Lächeln wandte sie sich an die Gestalten, vier an der Zahl, und sagte: „Das klingt ja höchst interessant. Erzählt mir doch mehr." Die Gestalten fuhren zusammen.
„Erzählen? Was den erzählen?", stotterte ein Monster. „Genau! Wir wissen von nichts. Gar nichts!", sagte ein anderes.
„Überhaupt nichts! Schon garnicht über einen vergifteten Baum und schwächer werdende magische Grenzen um ein Halbgott Camp herum. Auch nichts über einen Angriff oder den Rausschmiss von einem gewissen Zentauren. Wir wissen schon garnichts über ein Goldenes Vlies. Und natürlich wissen wir nicht, dass das alles mit Lord Kronos großartigem Plan zu seiner Wiederauferstehung zu tun hat", plapperte das dritte Monster. „Idiot", zischte das Vierte.

„Nun", sagte Ayumi mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen. „ Ich bin mir sicher, ihr werdet euch gleich wieder erinnern und mir alles sagen, was ihr nicht wisst." Sie beugte sich bedrohlich vor. „Ansonsten wäre ich nämlich gezwungen Cookie zu sagen, dass sein Café für eine kriegsstrategische Planung missbraucht wird." Die Monster quietschten ängstlich.
Fünf Minuten später verließ Ayumi Jackson das Café. „Na dann, auf nach Camp Halfblood."

Ayumi Jackson - Die Schwester von Percy JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt