Kapitel 36

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Ihre Schritte waren gut zu hören als sie praktisch in den leeren Büroräumen, die beinahe im Dunkeln lagen, entlang schritt und an der angelehnten Tür nur kurz klopfte, bevor sie eintrat. Draco sah von einer Mappe auf und grinste dann.
„Und ich war mir sicher, dass du schon längst zu Hause bist nach diesem Tag."
Dieser Tag war der anstrengendste Tag seit Monaten gewesen und sie hatten seit Wochen darauf hingearbeitet. Es ging um einen Abschluss aus dem Ausland, der sich auf mehrere Millionen bezog. Ein guter Deal, denn sie jetzt in der Tasche hatten.
„Ich war schon so gut wie auf dem Weg", meinte sie und trat näher.
„Aber du hast dir gedacht, du siehst nach mir?"
„Ehrlich gesagt, habe ich geglaubt, dass du wieder das Licht vergessen hast", meinte sie lapidar und musste lachen als er sie kniff, als sie neben ihn stehen blieb.
„Freches Ding", murmelte er und unterschrieb erneut Unterlagen, die er vor sich hatte.

„Dein Vater ist schon vor zwei Stunden nachhause gegangen", erzählte sie und lehnte sich dabei an den Schreibtisch, neben ihn. „Ich mache mir Sorgen um ihn, Draco", fügte sie hinzu und Draco hielt inne und sah auf. „Er wirkt seit einigen Wochen etwas erschöpft. Weißt du?"
Draco seufzte und legte seinen Federkiel weg.
„Ja, ich weiß. Ich habe mit Mutter darüber auch schon gesprochen. Er hat nächste Woche einen Termin im Mungo, um sich einmal gründlich untersuchen zu lassen."
„Vielleicht wird ihm das einfach alles zu viel. Dein Vater ist sicher noch jünger als andere, aber vielleicht sollte er darüber nachdenken in den Ruhestand zu gehen."
Sie hatten darüber schon nach der Hochzeit gesprochen. Eine wunderschöne Hochzeit, aber mit wesentlich weniger Gäste als Blaise und Tracey sie gefeiert hatten. Unter anderen hatten Draco und sie weder Astorias Mutter und deren Mann, noch Pansy und deren Verlobten eingeladen. Sie wusste von Daphne, dass ihre Mutter sich unglaublich darüber aufgeregt haben musste. Es war Astoria schlichtweg egal gewesen. Ihre Mutter hatte sich entschieden und musste nun mit den Konsequenzen leben und diese Konsequenzen bedeuteten, dass ihre jüngste Tochter keinen Kontakt mehr zu ihr mochte.

Etwa ein Jahr nach der Eheschließung der Beiden, hatte sie schon einmal darüber in der Familie gesprochen, dass Lucius über den Ruhestand nachdenken sollte. Doch Lucius wollte davon immer nichts hören. Er schien mit seinem Schreibtisch verbunden zu sein.
„Tori", murmelte Draco und griff nach ihrer Hand, nur um ihre Fingerspitzen kurz zu liebkosen. „Du kennst doch meinen Vater. Er wird nie aufhören, zu arbeiten."
„Aber er könnte wenigstens seine Arbeitszeit reduzieren. Etwas mehr das Leben genießen und vor allem etwas kürzertreten."
Sie machte sich wirklich Sorgen um Lucius. Große Sorgen. Er war ihr mehr ein Vaterersatz als irgendjemand anderes. Das hatte sie an der Hochzeit mehr als deutlich wahrgenommen. Er hatte sie in den Arm genommen, bevor sie gemeinsam zu Draco und dem Zeremonienmeister geschritten waren. Sie väterlich auf die Stirn geküsst und ihr gesagt, wie unglaublich hübsch sie aussah und dass er stolz auf sie war. Sicher, sie hatte ihren Vater vermisst. Sie würde Hyperion immer vermissen. Aber es... hatte sich weniger schmerzlich angefühlt an diesem Tag durch ihn. Merlin, das Ganze war beinahe zwei Jahre her.

„Ich würde es schrecklich finden, wenn er seine kostbare Lebenszeit wegen einer Überarbeitung verkürzen würde."
Er musste Draco mehr ans Steuer lassen und zurücktreten. Draco schüttelte den Kopf.
„Er wird das niemals tun. Er sieht keinen Grund dafür. Du kennst ihn doch, Tori."
Sie verschränkte ihre Finger mit seinen. Fixierte ihrer beider Hände.
„Vielleicht wird er einsichtiger, wenn wir ihm einen Grund geben."
Draco lachte unsicher.
„Und was soll das sein?" Sie lächelte in sich hinein, bevor sie seine Hand losließ, nur um sie zu nehmen und an ihren flachen Bauch zulegen. Er starrte einen Moment verwirrt darauf, bevor ihm alle Gesichtszüge entglitten und er aufsprang.
„Bist du ... ich meine ... ist es sicher ... Seit wann?", überschlug sich seine Stimme und sie grinste breit.
„Ich weiß es offiziell erst seit gestern. Es ist noch viel zu früh und ..."
Sie keuchte auf, als Draco sie fest umarmte. Sie beinahe zerquetschte.

„Wieso hast du nichts gesagt?", fragte er und löste sich etwas von ihr.
„Weil es zu früh ist", betonte sie. „Und ich wollte dir nicht schon wieder Hoffnungen machen." Vor einem halben Jahr hatte sie auch schon mal gedacht, schwanger zu sein, was sich als Fehlmeldung erwiesen hatte. Sie hatten sich nie Druck gemacht, aber Astoria hatte sich Sorgen gemacht, weil einfach nichts passiert war, obwohl sie den Verhütungstrank abgesetzt hatte. Der Heiler hatte zwar Entwarnung gegeben, passiert war trotzdem nichts. „Wir sind gerade mal in der achten Schwangerschaftswoche, Draco", erklärte sie leise und er strahlte, fuhr erneut mit seiner Hand an ihren Bauch und küsste sie dann sanft.
Sie schloss die Augen, als er seine Stirn gegen ihre lehnte.
„Ich freue mich", flüsterte er leise und sie lächelte wieder.
„Ja, ich auch."
Sie würden ein Baby bekommen. Sie würde Mutter werden. Was für ein verrückter Gedanke.

„Wir müssen mit Lucius reden", sagte sie, als Draco sich etwas von ihr löste.
„Und du denkst, er wird auf uns hören, nur weil er Großvater wird?"
Sie nickte.
„Ja."
Er grinste breit.
„Du überschätzt diese Sache."
„Draco", sprach sie ernst. „Unsere Kinder werden nur einen Großvater haben."
„Kinder?", fragte er amüsiert nach und sie ging gar nicht darauf ein.
„Ich möchte, dass Lucius sie mit aufwachsen sieht und dass meine Kinder von ihrem Großvater etwas haben."
Er rollte etwas mit den Augen.
„Gut. Weißt du was, genau das sagen wir ihm morgen beim gemeinsamen Abendessen. Wenn er nicht vor Überraschung einen Infarkt erleidet."
Sie boxte ihn und er lachte rau, bevor er ihren Mund erneut mit seinen verschloss.

„Draco", seufzte sie als er sie weiter auf den Schreibtisch schob und seine Hand ungeniert ihr Bein entlang nach oben fuhr. Sie packte ihn an seiner Krawatte. „Ich habe dir gesagt, ich vögle nicht mit dir in der Arbeit."
Er grinste nur diabolisch.
„Damals waren wir nicht verheiratet."
Sie zog scharf die Luft ein, als er ihren Slip erreichte.
„Das ändert nichts", keuchte sie und er lachte leise gegen ihr Ohr.
„Das ändert alles, mein süßes Eheweib."
„Du bist manchmal so ein Schwein", wisperte sie und spürte, wie ihre Wangen glühten.
„Ja, aber dafür liebst du mich."
Viel zu sehr, aber das würde sie ihm hier und jetzt sicherlich nicht sagen.
„Uns könnte jemand sehen", warf sie schwach ein.
„Keiner ist noch da und selbst wenn, wir sind ihre Vorgesetzten."
Idiot. Aber ihr Idiot.






Lucius fühlte sich irgendwie in der Zeit zurückversetzt und konnte kaum glauben, dass es Jahre her war, als er Draco als Säugling in den Armen gehalten hatte und das gleiche jetzt mit seinem ersten Enkelkind tat. Er musterte dieses winzige Leben voller Faszination in seinen Armen.
„Er sieht aus wie Draco", wisperte er leise und spürte, wie Narzissa ihre Hand auf seine Schulter legte, während sie neben dem Sessel stand, in dem Lucius saß.
„Ja", meinte diese sanft.
„Nur die Nase ist ein wenig kleiner", fügte er hinzu. „Und die Mundpartie ..."
Er brach ab und lächelte sanft auf das Kind hinab, das einfach seelenruhig schlief.
„Er hat Astorias Augen", warf Draco ruhig ein und Lucius hob den Blick, um seinen Sohn anzusehen, der bei Astoria am Bett saß.
Diese wirkte erschöpft, aber glückselig. Nun ihr erstes gemeinsames Kind hatte sich gestern Nachmittag angekündigt und war mitten in der Nacht im St. Mungo auf die Welt gekommen. Das hatten zwar Narzissa und er bereits in der Nacht erfahren, aber sie waren erst jetzt am späten Nachmittag ins Mungo gekommen, um die drei zu besuchen.

„Tatsächlich?", hakt er nach und Draco nickte.
„Ja. Die Hebamme hat das überprüft. Es scheint zwar so, als hätte er blaue Augen, aber sie werden mit der Zeit dunkler werden."
Lucius lächelte und sah dann wieder auf seinen Enkelsohn.
„Er ist einfach nur wunderbar."
Wunderbar und ein kleines Wunder. Denn wer hätte damals gedacht, dass Draco und Astoria sich jemals so nahekommen. Er sicher zuerst nicht. Sie hatten sich ja beinahe die Köpfe eingeschlagen und gegenseitig verflucht. Und sie wäre beinahe gestorben. Merlin, es war genug für ein Leben, dachte er mit Wehmut daran. Er hielt hier die Zukunft in seinen Händen. Die nächste Generation.
„Wir würden ihn Scorpius nennen", meinte Astoria gelassen und nicht nur er sah verwundert auf, sondern auch Narzissa. Sie beide kannten den Namen. Hätte Draco noch Geschwister gehabt, einen Bruder, dann wäre das der Name gewesen, denn sie gewählt hätten. „Scorpius Hyperion", fügte sie hinzu.

„Das ist wirklich ein schöner Name, Tori", sprach Narzissa leise und berührten Scorpius, der immer noch sanft in Lucius Armen lag.
„Ich hoffe, du bist nicht böse", sagte Astoria und Lucius lächelte sie liebevoll an und schüttelte den Kopf.
„Ach was." Wieso sollte er deshalb böse sein? „Scorpius Hyperion passt wirklich besser als Scorpius Lucius."
Und es war doch egal, wie sein Enkel hieß. Sie würden ihn lieben, egal wie er genannt wurde. Er würde wohlbehütet aufwachsen. Lucius würde sich viel Zeit für ihn nehmen. Sehr viel. Denn die hatte er seit einigen Monaten. Er hatte seine Stunden in der Firma reduziert. Zuerst eher unfreiwillig, wenn er auch die Sorge seiner Familie verstand. Doch mittlerweile genoss er es, etwas mehr Zeit für sich und für seine Frau zu haben. Und er würde viel Zeit für seinen Enkel haben.

Narzissa klopfte ihm auf die Schulter.
„Gib ihn mir, ja?" Er zog seine Arme weg und Narzissa verzog ihren Mund. „Lucius."
„Nein, ich will ihn dir noch nicht geben."
„Du hast ihn schon die ganze Zeit", nörgelte Narzissa und Lucius drehte sich noch etwas mehr von ihr weg.
„Ich habe ihn vielleicht mal zehn Minuten, Zissy."
Sein Sohn gluckste.
„Euch ist klar, dass uns Scorp ein ganzes Leben lang bleibt, ja?"
Das war ihm egal. Jetzt gerade, hatte er seinen Enkelsohn und er wollte ihn noch ein wenig mehr bei sich behalten. Er war wunderbar. Ein Geschenk und ein kleines Wunder. Er liebte ihn jetzt schon.
„Fünf Minuten", drohte die Blondine. „In fünf Minuten, darf ich ihn halten, Lucius."
Er nickte stumm und grinste sein Enkelkind wieder an.

Er gab Scorpius natürlich Narzissa irgendwann, nur um mit Draco den Platz zu wechseln, der sich zu seiner Mutter setzte. Lucius fuhr Astoria sanft über den Kopf, die in den Kissen lehnte.
„Wie geht es dir, Liebes?"
„Gut", meinte sie knapp und lächelte. „Müde. Aber gut."
Er lächelte zurück.
„Ich bin sehr stolz auf dich, Kleines."
Das war er schon immer. Ihre braunen Augen wanderten zu dem Baby.
„Ist er nicht schön?"
„Er ist perfekt", bestätigte Lucius und drückte ihre Hand. „Perfekt und wunderschön."
Er beugte sich vor und küsste sie väterlich auf die Stirn. Sie war die Tochter, die er nie gehabt hatte. Sie war ein wichtiger Bestandteil seiner Familie und er liebte sie, so wie er seinen Sohn liebte. Den Deal, denn sie damals vorgeschlagen hatte, als Kind, war das beste, was passieren konnte aus dieser schrecklichen Sache. Sie hatte sein Leben verändert. Das seines Sohnes. Seiner ganzen Familie.
„Wir werden ihm eine gute Familie sein", sagte sie leise und Lucius drückte ihre Hand weiterhin.
„Ja, Astoria. Das werden wir."
Weil es nichts Wichtigeres gab als Familie.

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