Kapiel 36 - Vertrauen

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Ich öffnete die Augen. Tränen rannen über mein Gesicht und ich spürte eine unbändige Wut in meinem Bauch.
Nicht auf Gilderoy, sondern auf mich.

Ich war wütend, dass ich ihn nicht aufgehalten hatte, dass ich es nicht bemerkt hatte, dass er unglücklich war.
Ich und mein Drang jeden zu beschützen, hatten Gilderoy das Gefühl gegeben, er wäre nur eine Randfigur.

Eine arme Seele, die zu zerbrechlich war um zu kämpfen. Dabei sah ich ihn nicht so, für mich war er so stark und mutig wie sonst keiner. Aber ich hatte es ihm zu selten gesagt, zu selten gezeigt.

Und jetzt befand sich Gilderoy auf einem Weg, bei dem ich ihm nicht helfen konnte. Doch vielleicht war gerade das der Grund für sein Handeln. Er wollte uns beschützen, einmal selbst den Weg bestimmen.

Ich konnte nur hoffen, dass er das Richtige tat, solange ich lebte, wusste ich zumindest, dass es ihm gut ging. Ein schwacher Trost.

Die Wut und der Schmerz in mir brodelten, alles, was sich die letzten Monate aufgestaut hatte, musste sich entladen. Ich schrie, ich fluchte, ich weinte und ich feuerte Zauber gegen jedes einzelne Möbelstück in diesem gottverdammten Zimmer.

Wilde Raserei überkam mich und ich war froh, dass William mich nicht so sah. Ich zerschmetterte mit einem Schwenk meines Zauberstabs eine der Lampen.

Ich zerfetzte Kissen und Vorhänge und schickte einen Fluch gegen den filigranen Nachttisch neben meinem Bett.

Die Beine knickten weg und die Schublade sprang auf. Heraus fiel etwas und zerbrach in tausend Scherben auf dem Boden.

Es war das Glas mit unserem Seelenfaden und als ich das erkannte, verpuffte meine Wut und wandelte sich in blankes Entsetzen und Panik.

„Oh nein, nein, nein!" rief ich und rutschte auf meinen Knien zu den zerstreuten Überresten. Der Seelenfaden schwebte knapp über dem Boden und begann durchscheinend zu werden.

Mit aufgerissenen Augen konnte ich nichts tun, als dabei zuzusehen, wie sich der goldene Faden mehr und mehr auflöste.

Schließlich verdampfte er vollkommen und war verschwunden. Nur kleiner Goldstaub war übrig geblieben.

Ich wusste, dass es im Grunde nur ein Duplikat war, nur ein Spiegelbild unserer wahren Seelenverbindung und hatte keinen Einfluss auf Gilderoy und mich.

Aber dennoch, seit mehr als fünf Jahren war dieses Glas unser Halt gewesen und hatte uns die Gewissheit gegeben, dass wir füreinander bestimmt waren. Es hatte mich durch die dunklen Monate begleitet und mir die Hoffnung geschenkt, dass ich Gilderoy wiedersehen würde.

Doch jetzt war es zerstört und es war meine Schuld.

Ich saß zwischen den demolierten Möbeln und wollte am liebsten nach Jasper rufen. Damit er zu Elphias Doge ging und mir die Sicherheit gab, dass alles in Ordnung war.

Aber Jasper hatte bereits zu viel für mich riskiert und ich wollte auch nicht in seine Augen sehen müssen und ihm erklären müssen, was geschehen war.

Also rappelte ich mich auf, klopfte mir Splitter und Staub von der Kleidung und ließ meinen Zauberstab erneut durch die Luft sausen. Diesmal um das Chaos zu beseitigen.

Keine zwei Minuten später sah das Zimmer genauso aus wie vorher und niemand würde auf den Gedanken kommen, dass ich hier gewütet hatte.

Nur das Glas ließ ich in Scherben und wickelte es vorsichtig in ein Handtuch und legte es wieder in den Nachttisch. So konnte ich mich wenigstens der Illusion hingeben, dass es noch genau an dem Platz war, wo es hingehörte.

Am Waschbecken spritzte ich mir Wasser ins Gesicht, um meine rotfleckige Haut etwas abzukühlen. In dem Moment öffnete sich die Tür und William kam mit einem Buch in der Hand hinein.

True Colors - SeelengebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt