43 Kralle

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Ein stechender Schmerz riss mich aus meinen Träumen. Augenblicklich war ich hellwach. „Es ist fertig!" Schmunzelte ich und richtete mich auf. Ich hob den Kopf und öffnete den Mund. Eklig bitter stieg der Geruch aus meinem Inneren in meine Nase. Ich verzog das Gesicht, als es meinen Hals hinauf kletterte. Mühsam unterdrückte ich den Reflex zu würgen. Langsam kletterte das kleine Wesen aus meinem Mund hervor auf meinen Kopf. Hustend beugte ich mich vorne über. Ich würgte und spuckte Blut zusammen mit fleischigen Klumpen und Knochenresten auf den Boden.

Ich atmete tief durch und richtete mich wieder auf, während der bittere Geschmack auf meiner Zunge verweilte. „Öffne die Kette!", befahl ich dem kleinen Wesen. Gehorsam kletterte es zu meinen Händen hoch und versuchte sich am Schloss. Die kleine Gestalt besaß einen dürren schuppigen Leib mit knochigem langen Schwanz. Der Kopf war ein bloßer Vogelschädel, der auf den Schuppen direkt aufsaß. In seinen leeren Augenhöhlen saßen zwei funkelnde rote Lichter, die seine Augen bildeten. Seine Klauen waren hinten aus den Schuppen geformt, während seine Vorderklauen feine lange Knochen bildeten, mit denen es in dem Schloss herumstocherte. Es gab keinen Laut von sich außer, dass aneinander scharben seiner Schuppen, während es nicht größer als eine Hand war.

Es klackerte zweimal und ich war meine Ketten los. Augenblicklich kehrte die verdrängte Drachenkraft zu mir zurück. Mein Körper wurde erfüllt von neuer Kraft. Ich knackte mit meinem Nacken und streckte mich ausgiebig. „Das hat länger gedauert als gedacht." Nebenan raschelte es. „Was war das für ein Klackern?" Träge erklang die Stimme von Melion. Ich hatte ihn wohl geweckt. „Ich schick dir meinen Helfer rüber. Er wird deine Ketten öffnen, also erschreck dich nicht." Erwiderte ich knapp. Mit einem Satz saß der kleine Helfer am Boden und lief eilig auf zwei Beinen durch das Fenster in die andere Zelle. „Oh du..." es raschelte und rasselte viel, als Melion sich erschreckte, aber er schaffte es nicht lauter zu sein. Da klapperte es an der Tür. Schnell trat ich zurück an den Fels und legte mir die offenen Ketten wieder um die Handgelenke.

Das Licht erhellte meine Zelle und der Ziegenbart trat ein. Geblendet wandte ich das Gesicht ab. „Drei Tage sind um und wie steht es mit deiner Meinung?" Blinzelnd sah ich zu ihm auf. Drei Tage ohne Essen oder Wasser waren selbst für mich hart, aber vertraut. Wie oft hatten wir im Krieg Tage lang ohne Pausen oder Aussicht auf Verstärkung kämpfen müssen? In Schlamm. Bei Gewitter. In eisigster Kälter gegen die grausamsten Monster, die es gab. Drachen wie auch Menschen!

„Ich wollte eh schon lange mal eine Diät machen." Erwiderte ich schelmisch, was ihm das Grinsen raubte. „Ihr von der Kriegs-Generation seid wirklich nicht ohne, ich gebe zu, das habe ich unterschätzt." Finster verdunkelte sich sein Blick, als er sein Schwert zog. „Aber selbst du wirst dich mir beugen, wenn ich dir deine Beine abschlage!" mit abgrundtiefem Zorn richtete er sein Schwert auf mich. „Ihr Drachentrainer habt meinen Meister getötet. Dafür werde ich mich rächen und du darfst dich glücklich schätzen mein erstes Ziel zu sein!" Schnell kam er näher und hob sein Schwert.

Er steckte all seinen Hass in diesen einen Hieb. Schwarz bedeckten meine Schuppen meinen Körper, klirrend zerbrach sein Schwert und meine Krallen gruben sich in seine Kehle. Röchelnd rang er nach Luft. Blut rann aus Hals und Mund. Schmunzelnd trat ich von der Wand, wo die Ketten offen baumelten. „Wie... hast du... wie..." krächzte er überrascht und versuchte meine Klaue aus seinem Hals zu lösen. Heiß floss das Blut meinen Arm herab. Blutrot glühten meine Augen auf. Mein Schweif fegte über den Boden. Meine Flügel brachen aus meinem Rücken hervor. „Hüterin des uralten Wissens der Drachen..., schon vergessen?" seine Augen weiteten sich kurz bevor ich zudrückte und ihm so das Genick brach. Leblos fiel er zu Boden.

Ungerührt stieg ich über ihn hinweg und trat raus in den Gang. Fackeln brannten an den Wänden und erhellten den Gang. Drei Wachen erschraken, als sie mich erblickten. Einer von ihnen rannte los, um Alarm zu schlagen. Ich hob die Arme. Erschrocken zogen die beiden zurückgebliebenen Wachen ihre Schwerter. Ich ballte die Fäuste und die Fackeln erloschen. Funken tanzten durch die Luft, die Fackeln explodierten. Flammen strudelten aus ihnen hervor und fluteten den Gang. Jede Fackel in direkter Nähe wurde zur Explosion gebracht. Als Kettenreaktion wallte die Flammenbrust durch die Gänge des Berges.

Ich griff in die Flammen und erhielt so eine grobe Karte der Gänge. Abrupt wurden die Flammen gestoppt. Kurz hingen sie noch in der Luft, dann kehrten sie zurück zu den Fackeln. Als wäre nichts gewesen, erhellten sie den schwarz verkohlten Gang. Von den Wachen war nicht mal Asche zurückgeblieben. Ich atmete tief aus und löste die Verwandlung auf. „Melion lebst du noch?" Ich klopfte an die Zellentür, hinter der ich ihn vermutete. „Ja, ich lebe noch, aber was war das für ein Lärm? Und die Hitze?" rief er zurück. „Warte kurz ich hole dich hier raus." Ich wollte schon nach der Klinke greifen, aber die war einfach weggeschmolzen. Genervt brummte ich. Ich griff in den Sichtschlitz und mit ein paar mal kräftig zieh, holte ich die Tür aus ihrem Rahmen. Krachend landete sie am Boden.

Geblendet hielt Melion sich eine Hand vor die Augen, als er ins Licht trat. Er war ein großer junger Mann mit einem freundlichen Gesicht. Das braune Haar hing ihm strähnig in der Stirn und im Gegensatz zu mir trug er noch Hemd, Hose und Stiefel. „Wieso bist du in Unterwäsche?" Verwirrt senkte er die Hand. „Das ist ernsthaft deine erste Frage? Wirklich?" Abwehrend hob er die Hände. „Mir macht das nichts aus, du bist schließlich schön anzusehen, aber es ist doch eine berechtigte Frage." Entgegnete er vollkommen ernst.

Ich konnte nicht anders als zu schmunzeln. „Wir sollten uns lieber beeilen, bevor neue Wachen kommen. Ich weiß, wo unsere Sachen sind." Der kleine Helfer sprang mir ans Bein, um flink auf meine Schulter zu klettern. „Sie haben dir also deine Sachen auch abgenommen." Schlussfolgerte er und rannte mir nach. Schnell rannten wir den Gang entlang, um zwei Ecken, bis wir in eine Sackgasse gelangten. Ich nahm ein paar Schritte Anlauf, bündelte meine Kraft in meiner Faust und mit einem kraftvollen Schlag brach die Wand in sich zusammen. Dahinter befand sich eine große Kammer mit vielen Kisten und Regalen.

Meiner Nase folgend führte ich uns zielsicher zu einer Kiste. Eilig drückte ich Melion seine Rüstung in die Hand und zog mir meine Sachen wieder an. „Ist das dieser super Sinn der Drachentrainer?", fragte Melion während er die Riemen seines Brustpanzers festzog. „Genau! Endlich mal einer mit Allgemeinwissen." Jubelte ich und durchwühlte die Kiste. Ich fand einen Beutel, in den ich die Rüstung von Leris hineinsteckte und zusammen mit den Wintermänteln von ihr und Calen. „Sind da auch die Sachen von Prinz Meron?" „Ich weiß leider nicht wie er riecht, deshalb musst du mir helfen. In der Kiste sind mehr als nur unsere Sachen. Beeil dich und hilf mir suchen." Er nickte und half mir, die Kiste zu durchwühlen.

Schnell erkannte er die Sachen des Prinzen, die auch in den Beutel wanderten. Auf den Regalen lagen unsere Waffen. „Der Prinz und Leris müssten gen Osten in einer der Zellen sein." Zuletzt steckte ich das Kristallschwert an meinen Gürtel. Melion schulterte den Beutel und folgte mir zurück in den Gang.

„Woher weißt du das?", fragte er, während wir wachsam nach möglichen Wachen Ausschau hielten, von denen die meisten in den Flammen verschwunden waren. „Ich habe mit Calen eine Krallenschuld geschlossen, ich weiß daher ungefähr, wo er sich befindet. Es ist allerdings nur eine Vermutung, dass Leris oder Meron in seiner Nähe sind, da sie das Kopfgeld für die Drei zusammen einheimsen wollen." Erklärte ich knapp. „Verstehe. Ich suche also im Osten und du in der anderen Richtung?" ich nickte und streckte den Arm zu ihm. „Ich werde für Ablenkung sorgen, um dir Zeit zu verschaffen. Ich gebe dir meinen Helfer mit, falls du auf ein besonders schweres Schloss triffst, kann er es knacken." Die kleine geschuppte Gestalt lief über meinen Arm und sprang zu Melion auf die Schulter.

Etwas unbehaglich, mit der Kreatur auf der Schulter, betrachtete er es kurz. „Dieses Ding ist wirklich gruselig." Klagte er schaudernd. „Pass einfach gut auf ihn auf. Er ist quasi nur eine Puppe und leicht zu zerbrechen." Warnte ich ihn noch vor. „Alles klar. Ich werde aufpassen." Versicherte er mir mit einem zuversichtlichen Blick und kameradschaftlichem Grinsen. Wir reichten uns noch ein letztes Mal die Hände. Ein stummes viel Glück und unsere Wege trennten sich.   

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Your sword and my DragonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt