46 Klinge

9 2 0
                                    

Orientierungslos kam ich zu mir. Nur langsam klärte sich meine Sicht. Mein Körper fühlte sich bleischwer an. Ich hatte keine Schmerzen, aber ich konnte die Wunde immer noch spüren, die nicht verheilt war. Sich aufzurichten, klappte nicht. Ich lag in einem weichen Bett in einem Raum, der nicht groß oder klein war. Die Wände waren aus knorrigem Holz. Entlang der Wand, wo sich auch die Tür befand, bedeckten Regale die Wände. Gefüllt mit Büchern und verschiedenen Fläschchen. Meine Sinne kehrten zu mir zurück. Ich atmete tief durch und stutzte. Es roch sehr vertraut nach frisch gefallenem Laub und wildem Lavendel.

Hätte ich es gekonnt, hätte ich gelächelt. „Vani?" Aus dem Nichts erschien sie an meinem Bett. „Ich bin hier." Ihre Stimme erwärmte mein Herz. Behutsam nahm sie meine Hand und kniete sich ans Bett. Sie hatte sich kaum verändert zu dem letzten Mal, als ich sie gesehen hatte. Ihre tannengrünen Haare fielen ihr lang bis über die Brust. Die blauen Augen loderten vor Wissensdurst, mit den winzigen silbernen Sprenkeln in ihnen. Sie trug eine Hose aus Leder. Ihr grünes Oberteil aus feiner Wolle reichte ihr bis zu den Knien herab. An dem Gürtel um ihre Taille hingen kleine Beutel und Kristalle. Wie früher gab sie mir ein Gefühl von Ruhe und wärme, der ich mich nicht widersetzen konnte.

„Es ist schön, dich zu sehen." Erwiderte ich. Ihre Unterlippe begann zu zittern. „Was soll ich da erst sagen? Seit Jahren hast du dich nicht einmal gemeldet und dann bringen dich deine Drachen halb Tod vor meine Haustür!?" eine Träne rann ihr über die Wange. „Weißt du eigentlich, was für eine Angst ich hatte? Ich dachte schon, du würdest nie wieder aufwachen!" Ihre Stimme versiegte zum Ende. Liebevoll hob sie meine Hand an ihre Wange, sie küsste meine Handinnenfläche und schmiegte sich an meine Hand.

„Tut mir leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe. Ich wusste nicht, dass du im Süden wohnst." Schniefend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. „Hast du etwa meine Briefe nicht bekommen?" „Ich... hatte nicht die Kraft sie zu öffnen." Gestand ich verschmitzt, worauf sie eine Augenbraue hob.

„Die große Talrah Grumk hat nicht die Kraft einen Brief zu öffnen?!" ich sah an die Decke und seufzte. „Lach mich aus, wenn es dir dann besser geht." „Du weißt, dass ich niemals über dich lachen könnte!", entgegnete sie felsenfest und ich sah wieder zu ihr. Ihre entschlossenen blauen Augen erinnerten mich nur zu sehr an früher.

„Wo sind Koka, Lapu und Tull?" wissend lächelte sie und hob die Hand. „Sie halten draußen Wache." Die Wand löste sich auf und der Blick auf eine dicht bewachsene Lichtung wurde freigelegt, in deren Mitte meine drei Drachen saßen, mit wachsam erhobenen Köpfen. Sie senkte die Hand und die Wand versperrte wieder den Blick nach draußen. „Und wie geht es den anderen?" Erleichterung flutete meinen Körper. „Bis auf dich ist keiner lebensgefährlich verletzt worden." Antwortete sie knapp. „Das war ein Stachelhorn. Das Drachengift sollte dir vertraut sein." Meine Lieder wurden immer schwerer. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, war ich wieder eingeschlafen. 

°~~~°

Alles Brannte. Schwarz verkohlte Wälder erstreckten sich vor mir. Tote Drachen und ihre Trainer lagen überall. Ihr Blut vermischte sich mit der Asche am Boden. Rauch stieg dick wie Nebel in den Himmel empor. Ich atmete schwer. Der Rauch kratzte in meiner Kehle. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Wir waren zu spät! Ich begann zu rennen. Panisch suchte ich nach Überlebenden. Plötzlich griff eine Hand meinen Fuß. Die Hand war noch warm. Der Ruß klebte dick auf ihrer Haut. Der Oberkörper des toten Trainers brach aus der Asche und Ruß hervor. Mein Herz setzte aus. Jamelli ergriff meine Hand mit ihrer anderen. Röchelnd rann ihr schwarzes Blut aus dem Mund. Ihr Gesicht war bereits schwarz verkohlt, ihre Augenhöhlen leer. Der Geruch ihres verbrannten Fleischs brachte Übelkeit in mir hervor. „Wo warst du, als wir starben? Wieso lebst du noch?" verzerrt erklang ihre Stimme. Die Hände von weiteren Toten packten meine Beine. Erstarrt stand ich reglos da. „Stirb mit uns! Stirb mit uns! Stirb mit uns!" Von überall ertönten die verzerrten Stimmen der Toten. Immer mehr Hände erfassten mich. Sie verschmolzen zu einer schwarzen Masse. Kraftlos schloss ich die Augen und die schwarze Masse verschluckte mich gänzlich...

„Talrah!" Nach Luft schnappend, wachte ich auf. Verwirrt sah ich auf. Vani saß neben mir. Besorgt strich sie mir das Haar aus der Stirn. „Du hast geschrien. Alles in Ordnung?" Behutsam legte sie meinen Kopf auf ihren Schoss, wo sie begann beruhigend über mein Haar zu streichen. Ich atmete tief durch und schloss die Augen für einen Moment. „Nur ein Traum." Ich öffnete die Augen wieder. Vani lächelte beruhigt. „Du bist bei mir sicher. Also schlaf und erhol dich." Sanft schwang ihre Stimme durch den Raum. Warm erfüllten ihre Worte meinen Körper und wiegten mich in den Schlaf.

•∆∆∆•

Your sword and my DragonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt