𝐊 𝐀 𝐏 𝐈 𝐓 𝐄 𝐋 𝟎 𝟐

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M     I     N     H     O
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GRELLE LICHTER ERFÜLLTEN unseren kleinen Tanzraum, als wir uns alle mit verschwitzten Gesichtern im Spiegel dabei beobachteten, wie wir jeden Move genauestens verfolgten. Obwohl — ich war wahrscheinlich der Einzige, der sich wirklich jeden einzelnen Move genau anschaute. Felix und Hyunjin waren zwar auch aufmerksam, aber sie sagten beide oft genug, dass ich ihr inoffizieller Tanzlehrer und -mentor war.

Der Song kam erneut zu seinem Ende, und Felix ließ sich mit einem gewollt lauten Aufstöhnen auf den Boden fallen, den Hintern voran. Auch Hyunjin und ich stämmten keuchend die Hände in die Hüften, aber ich war sofort davon überzeugt, dass wir noch mindestens einen Durchgang schaffen müssten. Wenn nicht, sogar zwei.

»Können wir nicht eine kurze Pause machen? Bitte?«, fragte Felix in die Runde, wobei er erst Hyunjin und dann mich mit seinen großen, tiefbraunen Augen ansah. Der Schwarzhaarige wollte gerade nicken, da hatte ich schon ein entschlossenes:»Nein«, gesagt, was beide in Erschöpfung noch einmal Luft ausstoßen ließ.

Während ich mich hinüber zur Bank schleppte, wo mein Handy lag, um den Song erneut zu starten, hatte Hyunjin in der Zeit dem Jüngsten von uns wieder auf die Beine geholfen.

Ich verstand ihre Müdigkeit natürlich nur zu gut, aber mein Perfektionismus und mein Drang, immer und überall mein Bestes zu geben, sprach, bevor ich ein zweites Mal nachdenken konnte. Wir waren nur eine kleine Gruppe von Tänzern, deren Traum es war, bald Hintergrundtänzer für eine Gruppe zu sein. Wir alle teilten diesen Traum, aber nach über fünf Jahren hatten meine zwei Kollegen angefangen, dem Ganzen mehr Zweifel als Glauben zu schenken.

Wer konnte es ihnen auch verübeln? Wir arbeiteten uns jeden Tag mehr als zehn Stunden den Arsch ab und bekamen gerade mal so viel Geld, dass wir nur bis zum Nötigsten davon leben konnten. Und dabei kam das Geld nicht mal von der Company, die uns ausbildete. Oft arbeiteten wir noch einige Tage in der Woche in Jobs, die uns das Überleben ermöglichten. Was man nicht alles für seinen Traum tut. Aber ich bin nach wie vor guter Dinge, dass wir eines Tages auf einer großen Bühne stehen, egal ob im Hintergrund oder vielleicht sogar vorne, mit dem Mikrofon in der Hand.

»Einmal noch, Jungs. Okay?«, sagte ich zu ihnen und sah sie abwartend an, aber ihre Blicke sprachen Bände. »Als ob du uns die Chance geben würdest, 'Nein, nicht okay' sagen zu können«, lachte Hyunjin auf, wobei sein Lachen eher einem Aufatmen glich. Ich musste schmunzeln und murmelte:»Gut erkannt«, bevor ich mich wieder zu ihnen begab und wir die Choreografie ein weiteres Mal durchtanzten.

Meine Augen verfolgten jede einzelne Bewegung genauestens, sowohl meine eigenen als auch die meiner Freunde. Der Bass dämmerte unter unseren Füßen, die Musik schallte lauter als nötig in unsere Ohren, und Felix war mit seinem energielosen Stöhnen im harmonischen Einklang mit dem Gesang. Und doch waren wir in perfekter Synchronisation, flogen quasi von der einen Position in die andere und spürten die Verbundenheit in der Passion zum Tanzen und der Musik.

Das Beste kam sowieso erst nach den ganzen Stunden voller Übung und täglichem Austesten von Grenzen — der Moment, wo wir uns zusammen etwas zu Essen in den Magen stopften und dann nichts mehr ersehnt wurde, als zufrieden ins Bett zu fallen und, wie auf Knopfdruck, die Augen zu schließen, verloren in einer sorgenlosen Traumwelt.

»Felix, du fällst aus dem Rhythmus«, ertönte Hyunjins hauchende Stimme, die nur schwer unter der Lautstärke der Musik zu verstehen war. Aber es reichte aus, um mich aus meinen eben genannten Sehnsüchten nach Essen und Schlaf herauszuholen. Für die letzten Momente ruhten meine Augen auf dem Jüngsten unserer Gruppe, der noch ein letztes Mal sein Bestes gab, um mithalten zu können.

𝗙𝗔𝗞𝗘 | 𝖬𝖨𝖭𝖲𝖴𝖭𝖦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt