𝐊 𝐀 𝐏 𝐈 𝐓 𝐄 𝐋 𝟐 𝟔

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M     I     N     H     O
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GELERNTE HANDGRIFFE VERDECKTEN die kleine Tüte gefüllt mit Tabletten, die ich dem Typen vor mir in die Hand drückte. »Und vergiss nicht, sage Niemandem etwas hiervon!«, sagte ich mit ruhiger Stimme, aber ernste Mimik schmückte mein Gesicht. Mir war bewusst, dass ich nur Transporter für sie war und keiner, vor dem sie Angst haben müssten. Immerhin wäre ich genauso am Arsch, wenn Donghos Machenschaften doch irgendwann auf dem Tisch der Polizei landeten.

Trotzdem zeigte meine Warnung immer wieder Wirkung und so nickte auch der junge Mann vor mir mit einer ungewöhnlich schnellen Kopfbewegung.

Sofort drehte er sich von mir weg, die Hände angespannt in die Jackentaschen gesteckt, und ging schnellen Schrittes von meiner offenen Tür weg. Zugegeben, es war auch ziemlich unüberlegt von mir, es im Hausflur zu tun, aber da er ein Stammkunde war, brauchte er nur die Tüte und ich das Geld. Kein unnötiges Geschnacke, keine Erklärungen von Wirkungen oder Gefährdungen — nur ein einziges Hin und Her und das war's.

Es war ausgesprochen traurig, mitanzusehen, wie jede einzelne Seele so unaussprechlich gebrochen war, die zu mir kam. Entweder zitterten sie alle von ihrem Entzug oder zeigten mir ganz offensichtlich, dass sie Waffen bei sich tragen würden und sie auch zum Einsatz bringen würden, wenn ich ihnen nicht das Versprochene aushändigen würde. Natürlich besaß der Großteil von ihnen in Wirklichkeit keine Waffe, aber ich hatte auch nicht sonderlich Lust, es auf die Probe zu stellen. Allerdings war es ziemlich zerbrechend und auch beängstigend, zu was Menschen in der Lage sind, nur für eine kleine Packung an Lebenszerstörern.

Mit einem Seufzen beobachtete ich ihn noch dabei, wie er durch die große Haustür ging. Er hielt die Tür für eine ältere Dame auf, welche das Gebäude mit unsicheren Schritten betrat. Den Kopf wandte er prüfend von links nach rechts und lief dann durch die Dunkelheit. Ich wollte gerade selbst einen Schritt zurückgehen, da kam die Frau genau auf meine Tür zu und als sie ihre Kapuze abnahm, erkannte ich sie als meine Mutter.

Verdammt, das hatte ich schon wieder total vergessen. Ich hatte sie gestern noch direkt angerufen und sie gefragt, ob sie zu mir kommen möchte. Natürlich hat sie direkt zugestimmt.

»Minho, mein Kind«, sagte sie und blickte zu mir auf. Ihre Hände legten sich behutsam auf meine Wangen. Ihre Augen scannten jeden Zentimeter von mir ab, und als ihr der noch leicht blaue Fleck auf meiner rechten Gesichtshälfte auffiel, schnappte sie erschrocken nach Luft. »Wer hat dir das angetan?«

Ich setzte ein Lächeln auf und beruhigte sie:»Das ist nichts. Ich war nur tollpatschig. Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.« Danach nahm ich ihre Hände in meine und sagte:»Ich habe dich nicht so früh hier erwartet.« In Enttäuschung presste sie ihre Lippen zusammen und schüttelte ihren Kopf. Sie zog ihre Hände wieder in Freiheit und ging an mir vorbei, in die Wohnung hinein. »Ich bin genau pünktlich. Du hast nur wieder die Zeit vergessen!«, rief sie vom Flur aus, während ich noch einen letzten Blick zur Eingangstür machte. Sie war geschlossen und der Kunde verschwunden. Also machte ich kehrt und folgte meiner Mutter in meine Wohnung, welche schon komplett aus meinem Sichtfeld verschwunden war.

Es brauchte auch nicht lange, bis ich sie gefunden hatte. Ihre Stimme war ziemlich deutlich aus dem Wohnzimmer zu hören:»Minho, wie sieht das denn hier aus? Hast du in den letzten Tagen überhaupt mal aufgeräumt?« Eigentlich sollte ich mich schämen oder so etwas in der Art, aber je näher ich an den großen Rahmen kam, der Flur und Wohnzimmer voneinander trennte, desto mehr kam das Gefühl von Deja-Vu in mir auf. Ich sah Jisung vor meinen Augen, wie er sich mit mir auf das Sofa gesetzt hatte. Wie alles passiert war und wie ich es wieder versaut hatte.

𝗙𝗔𝗞𝗘 | 𝖬𝖨𝖭𝖲𝖴𝖭𝖦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt