𝐊 𝐀 𝐏 𝐈 𝐓 𝐄 𝐋 𝟎 𝟔

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M     I     N     H     O
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UNGEDULDIG WARTETE ICH darauf, dass unsere Trainingsstunden zu einem Ende kommen würden. Noch nie wollte ich so schnell aus diesem Raum hier verschwinden wie heute. Mein Kopf hatte sich in den letzten Stunden zu einem kompletten Karussell entwickelt, in dem sich schon allmögliche Szenarien ausmalten.

Wenn Dongho davon Wind bekommt, wie verdächtig ich mich gemacht habe. Wenn Jisung die Nachricht verstanden und mich verraten wird. Wenn meine Mutter mich nun komplett verachtet, weil ich wieder einmal nicht zu meinem Vater ins Krankenhaus kommen konnte.

Alles kochte sich immer mehr zu einem undurchschaubaren Dilemma in meinem Kopf zusammen. Das breitete sich so stark in mir aus, dass selbst mein Körper nicht mehr in der Lage war, die Choreografie so auszuführen, wie ich es selber eigentlich immer von uns allen verlangte. Und es brauchte wirklich eine Menge an negativen Einflüssen, um mich beim Tanzen aus dem Konzept zu bringen.

Daher wurden auch Felix und Hyunjin darauf aufmerksam, als wir unseren letzten Durchgang geschafft hatten und uns gerade so noch am Stehen erhalten konnten.

»Was ist denn heute mit dir los?«, fragte Hyunjin verwirrt und stämmte die Arme in seine gebeugten Knie, während er nach Luft rangte und einmal laut aufschniefte. Auch Felix musste seinen Kommentar dazu abgeben:»Erst kommst du zu spät und jetzt bist du kaum bei der Sache.«

Ich versuchte, bei meiner Ruhe zu bleiben, und seufzte:»Es waren höchstens zwanzig Minuten, die ich zu spät war. Das ist keine große Sache, passiert uns allen doch mal.«

Aus irgendeinem Grund zogen die Jungs daraus ihre eigenen Schlüsse, brauchten wieder nur einen einzigen Blick auszutauschen und trugen dann beide exakt dieselbe Mimik. »Hattest du gestern etwa noch ein Date?«, fragte Hyunjin dann, um ihrer Vermutung einen Ausdruck zu geben.

Am liebsten hätte ich jetzt einen Witz gemacht, mir eine ganze Geschichte ausgedacht und sie damit ordentlich auf den Arm genommen, aber mir fehlte die Motivation dafür. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich selber zu beruhigen.

»Nein«, hauchte ich genervt und packte meine Sachen zusammen. Ich nahm den letzten Schluck aus meiner Wasserflasche und sah sie währenddessen abwartend an, da ich mit Nachhaken ihrerseits rechnete. Aber ihre Mimik hatte sich schlagartig verändert.

»Ist alles okay mit deinem Dad?«, stellte Felix dann die nächste Frage, jedoch dieses Mal durchaus vorsichtiger und definitiv besorgt. Seine Augen strahlten die Trauer aus, die ich nicht einmal wagte zu fühlen. Also sagte ich nur ein:»Ihm geht's gut, schätze ich.«

»Schätzt du? Bist du überhaupt mal wieder bei ihm gewesen?«, machte Hyunjin mir dann den Vorwurf, der uns allen im Kopf schwirrte. Meine Mutter hatte ebenfalls einen guten Draht zu den beiden und was bei mir nicht ankam, erzählte sie ihnen. Mittlerweile wussten sie bestimmt besser über seinen Gemütszustand Bescheid als ich es tat. Und ich hasste mich dafür.

Mit einem erneuten Aufseufzen schmiss ich die Flasche in den Mülleimer und ging zur Tür. Nebenbei murmelte ich noch ein:»Was geht's dich an?« bevor ich den Raum verließ. Ich bekam keine Antwort und, ehrlich gesagt, wollte ich auch keine bekommen. Viel mehr wollte ich alles wieder geraderücken und aus dieser verdammten Zwickmühle entfliehen, die ich mir selber eingebrockt hatte.

Obwohl ich ziemlich müde und geschafft war, war ich noch nie so schnell aus dem Studio verschwunden und hatte mich auf den Weg zu meinem kleinen Apartment gemacht, das nicht allzu weit von hier entfernt war. Auf halbem Wege hatte ich auch schon mein Handy hervorgeholt und die ganzen Nachrichten weggewischt, die ich von tatsächlichen Zielen erhalten hatte.

𝗙𝗔𝗞𝗘 | 𝖬𝖨𝖭𝖲𝖴𝖭𝖦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt