𝐊 𝐀 𝐏 𝐈 𝐓 𝐄 𝐋 𝟐 𝟒

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M     I     N     H     O
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KONZENTRIERT UND OHNE weitere Hintergrundgedanken beobachtete ich mich selbst im großen Spiegel. Jede einzelne Bewegung musste sitzen. Ich hatte nach dem zehnten Mal aufgehört zu zählen, wie oft ich die Choreografie nun wiederholt hatte. Felix und Hyunjin waren danach schon auf dem Boden zusammengebrochen und röchelten vor sich hin. Zwischendurch bekam ich Rufe von ihnen wie:»Ruh' dich mal aus!« oder »Das reicht doch für heute.« Aber es reichte nicht aus. Nicht im Geringsten.

Der Song endete ein weiteres Mal und startete direkt erneut. Ich war körperlich darauf vorbereitet, das Ganze noch einmal zu machen, aber mein Geist machte mir einen Strich durch die Richtung. Jeder Versuch von Bewegung war ein Fehlschlag.

Ich stand einfach nur da und sah ins pure Nichts. Felix stützte sich auf, stolperte seinen Weg zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. »Ey, man. Ist alles okay? Mach mal eine Pause«, hauchte er angestrengt. Ich stämmte die Hände in die Hüften und nickte nur laut aufatmend. Jedoch war es nicht genug, um meinen Kumpel von meinem Wohlbefinden zu überzeugen.

Weiterhin besorgt betrachtete er mich mit gerunzelter Stirn. Also betonte ich es nochmal mit Worten:»Wirklich, es ist alles okay. Ich möchte einfach nur mithalten können. Ich war die letzten Male nicht bei der Sache und jetzt muss ich das wieder aufholen.« Hyunjin lachte verhöhnend auf und meinte direkt:»Mithalten? Das ist deine eigene Choreografie, du hast die größte Ausdauer von uns und allgemein die beste Kondition.« Felix machte eine zustimmende Handbewegung in seine Richtung und ließ seine Hand genauso schnell und achtlos wieder gegen seinen Schenkel schlagen.

Mit schwachen Schritten lief ich zur nächstbesten Bank und ließ mich dann auf dieser nieder, die zwei Jungs mir dicht auf den Fersen. Ich konnte das Zögern in Hyunjins Gesicht sehen, bevor er vorsichtig weitersprach:»Außerdem... überarbeitest du dich immer selbst, wenn dich irgendetwas beschäftigt.«

Ein Lächeln geprägt von Ungläubigkeit kam auf meine Lippen und ich meinte:»Nein? Ich will einfach nur, dass es sitzt, bevor wir uns anmelden können.« Ein Blickaustausch zwischen Felix und Hyunjin. Ersterer fuhr fort, derselbe behutsame Ton in seiner Stimmlage:»Also ist alles in Ordnung bei deiner Mutter und dir?«

»Ja, sicher. Wieso sollte es das nicht sein?«, fragte ich nach und runzelte verwirrt meine Stirn. Wieso, um alles in der Welt, sollte etwas nicht in Ordnung sein? Meine Mutter hätte mich schon längst selbst darauf angesprochen. »Nun ja, sie hat uns beide angerufen und gefragt, ob es dir gut geht. Du hättest dich wohl lange nicht mehr gemeldet«, erklärte Hyunjin.

Ach, verdammt nochmal. Natürlich hatte ich den wichtigsten Menschen vergessen, über meine Abwesenheit aufzuklären. Sie hatte ich sogar noch länger zappeln lassen als Felix, Hyunjin oder Jisung. Wenn ich ehrlich war, waren meine Gedanken seitdem aber auch überall außer bei ihr, und der angestaute Scham floss nun über mich wie Wasser. Angesetzt überlegend versuchte ich mich an einer neutralen Erklärung:»Ich war einfach mit meinem Kopf ganz woanders. Dasselbe wie bei euch. Ich war einfach nicht... in der Lage.«

»Was auch immer es ist, du kannst es uns erzählen, ja?«, versicherte Hyunjin mir. Erschöpft seufzte ich hörbar und strich mir mit beiden Händen über mein Gesicht. Ich konnte es nicht nochmal aussprechen. Meine Offenlegung gegenüber Jisung war schon nervenaufreibend genug. Aber von der Sache mit Jisung selbst wussten sie nichts. Vielleicht war das meine Chance auf einen Rat. Denn den könnte ich gerade sehr gut gebrauchen.

Seit dem Kuss mit Jisung sind knapp drei Tage vergangen und wir hatten kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen. Ich hatte ihm Nachrichten hinterlassen, mich immer wieder entschuldigt und gesagt, wie leid es mir tat. Aber er antwortete nicht. Ich konnte es ihm auch nicht übel nehmen. Immerhin war ich derjenige, der gesagt hat, dass er Zeit zum Nachdenken braucht. Und ich hatte nachgedacht. Sehr viel sogar. Tief im Inneren wusste ich auch, was ich wollte, aber ich konnte nicht dazu stehen.

𝗙𝗔𝗞𝗘 | 𝖬𝖨𝖭𝖲𝖴𝖭𝖦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt