39 | Das Meer

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Nur flüchtig sah ich zu ihm rüber. Er starrte vor uns aufs Meer. Ich betrachtete seine Wange, die von einem Kratzer gezeichnet war. Gedanken an die letzten Wochen schwirrten mir durch den Kopf. Die Flasche fest in meiner Hand haltend, ließ ich meinen Blick auf sie fallen. Auch der Alkohol würde es nicht erträglicher machen.

"Wieso hast du mir nicht gesagt, dass es eine Frau in deinem Leben gibt?", wisperte ich in die Nachtluft vor mir. Ich bemerkte, dass Ayaz kurz zu mir sah. Er wandte sich schnell wieder dem selben Anblick des Meeres zu, den auch ich bewunderte.

"Weil es keine gibt."

Unsere Augen trafen sich nach seinen Worten. Ich suchte nach Anzeichen einer Lüge in der Dunkelheit seiner Iriden. Ich fand keine. Trotzdem machte er mich erneut wütend damit, es immer wieder zu leugnen.

"Sie stand vor mir", hauchte ich verletzt, ohne seine Augen loszulassen. "Diese Frau stand vor mir und-"

"Sie hat mir nie etwas bedeutet", unterbrach er mich.

"Mir aber", erklärte ich meine Gefühle und nahm meinen Blick von ihm. Ich setzte die Flasche an. Lies den süßlichen Geschmack meine Kehle herunterlaufen und atmete anschließend tief durch. "Mir hat es so viel bedeutet, dass ich jede Nacht nur ihr Gesicht sehe."

"Nives..." Ayaz erhob sich zu meiner Verwunderung. Mit gerunzelter Stirn sah ich ihm zu, wie er sich nervös durch die schwarzen Haare fuhr. Ich spürte den Wind. Hörte das Rauschen des Meeres. "Es ist ganz anders, als du denkst."

Er stieß frustriert den Atem über seine Lippen und ging vor mir in die Hocke. So nah wollte ich ihn nicht bei mir haben, doch ich tat nichts dagegen. Mein Verstand riet mir, die Flucht zu ergreifen. Jedoch hoffte mein Herz auf eine Erklärung, die meinen Verstand besänftigen würde.

"Ich habe noch nie in meinem Leben für eine Frau solche Gefühle empfunden, wie für dich. Als-"

"Ayaz-"

"Nein", mahnte er, als ich überfordert dazwischen reden wollte. Er legte seine Hand auf mein Knie und sah mich eindringlich an. "Du lässt mich ausreden."

"Wieso sollte ich? Damit du mir gleich erklärst, wie sehr du mich vermisst?!", wurde ich lauter, da ich trotz seiner Sänfte den Hass in mir aufsteigen spürte. "Ich hab dich ausreden lassen! Oft genug! Nie hast du auch nur den Gedanken gehabt, mir die Wahrheit zu sagen! Alles hätte anders kommen können!"

Ich erhob mich so eilig, dass Ayaz ebenfalls gezwungen war, aufzustehen. Wütend funkelte ich ihn an und machte bereits einen Schritt zur Seite, da umfasste er jedoch mein Handgelenk. Von seiner Berührung überfordert, glitt mir die Flasche aus den Fingern. Sie fiel zu Boden, zerbrach allerdings nicht auf dem hellen Holz. Auch Ayaz wandte seinen Blick herab.

"Manches fällt so stürmisch und doch, zerbricht es daran nicht."

"Du kannst mich mal", fauchte ich kopfschüttelnd und entriss ihm meine Hand. Ich bückte mich nach der Flasche und hielt sie ihm provokant vors Gesicht. "Ich bin nicht gefallen!", erklärte ich weiter und holte aus, um die Flasche mit voller Kraft vor uns Richtung Meer zu werfen. Sie flog durch die Luft und es dauerte nur Sekunden, in denen sie in der Finsternis der Wellen nicht mehr zu erkennen war. "Du hast mich weg geschmissen! Jetzt bin ich alleine in der Dunkelheit! Ohne Hoffnung, jemals wieder an die Oberfläche zu gelangen! Das kannst du nicht wieder gut machen!"

Zornig schnappte ich nach Luft und lief zu den wenigen Stufen, um in den Sand zu laufen. Ayaz folgte mir.

"Meine Vergangenheit ist nicht so, wie du es dir einreden willst!", hörte ich ihn hinter mir. Ich setzte weiterhin einen Fuß vor den anderen. Blieb nicht stehen, was ihn verärgerte. "Du willst die Wahrheit doch gar nicht! Du willst weiterhin auf alles und jeden wütend sein!"

"Lass mich in Ruhe!"

Das Meer neben mir schlug unruhige Wellen. Der Mond spiegelte sich in dem tiefen schwarz.

"Nein! Ich lasse dich nicht in Ruhe!" Ich erschrak, als Ayaz erneut meine Hand umfasste. Er riss mich so grob herum, dass ich an seine Brust knallte. Dies brachte mich zum Ausflippen. Ohne auch nur den Funken Scham zu empfinden, holte ich aus und gab ihm eine solche Backpfeife, dass ich flüchtig den Atem anhielt. Seine Augen weiteten sich. Fassungslos starrte er mich an, doch sein Blick veränderte sich, als er Tränen auf meiner Wange erkannte.

"Schlag mich. Wenn du dich dann besser fühlst, tue es!"

Erneut gab ich ihm eine Backpfeife, um ihn anschließend von mir zu stoßen. Immer weiter schlug ich wütend auf seinen Brustkorb ein, während Tränen meine Sicht trübten und ich Angst davor bekam, diese unbändige Wut niemals wieder loszuwerden.

"Wieso hast du mir so weh getan?!", warf ich ihm vor. Er gab mir keine Antwort. Stand schweigend vor mir und ließ es über sich ergehen, dass ich ihn weiterhin von mir schubste.

Als ich dann vor Frust über seine Ignoranz erneut zuschlagen wollte, schnappte er sich plötzlich meine beiden Hände. Wütend zappelte ich wild herum, doch er schaffte es, mich so zu drehen, dass ich mit dem Rücken an seine Brust prallte. Er hielt meine Hände vor meinem Bauch gefangen, wodurch ich vollkommen bewegungsunfähig vor ihm stand. Mit letzter Kraft versuchte ich mich zu befreien, allerdings konnte ich nichts mehr tun, außer einen von Schmerz eingenommenen Schrei dem Meer entgegenkommen zu lassen. Meine eigenen Laute jagten mit einem Schauer über die Haut. Noch nie zuvor hatte ich mich so verloren gefühlt.

Schluchzend schloss ich meine Augen und ließ meinen Kopf erschöpft von all diesen Emotionen nach hinten an Ayaz Schulter fallen. Meine Atmung floss hektisch über meine zitternden Lippen, während Ayaz seine Hand auf meinen Brustkorb legte. Er atmete tief ein und ich passte mich seinem Rhythmus an, wodurch ich mich nur langsam wieder beruhigte.

"Ich habe sie geheiratet, weil sie behauptet hat, schwanger zu sein. Ich war jung und dumm. Wollte nur Spaß mit ihr und hab nicht im Geringsten geahnt, wie sehr sie mich damals schon geliebt hat." Ich hörte ihm zu, auch wenn ich zwingen wollte, all das zu verdrängen. "Sie hat meine Eltern belogen. Hat allen eingeredet, ich hätte sie geschlagen und betrogen. Meine Großeltern warfen mir vor, den Namen der Familie beschmutzt zu haben. Ich war für alle nur noch der Mann, der seine Frau schlug. Sie täuschte eine Fehlgeburt vor. Gab wieder mir die Schuld und als ich mich daraufhin von ihr scheiden lassen wollte, drohte sie sich umzubringen. Ich habe es nicht ernst genommen und bin gegangen, um zwei Stunden später einen Anruf vom Krankenhaus zu bekommen."

Ich bemerkte das Zittern in seiner Stimme und spürte, wie er sich enger an meinen Rücken drängte.

"Dass sie überlebt hat war nur meiner Mutter zu verdanken, die zu meiner Wohnung gefahren ist, nachdem sie erfahren hatte, dass ich gegangen bin. Ich wollte ihr Blut nicht an meinen Händen und redete mir ein, dass ich bei ihr bleiben musste. Dass es irgendwann normal sein würde, neben ihr aufzuwachen. Doch das wurde es nicht. Ich beschloss als letzten Ausweg  abzubauen, ganz gleich was sie daraufhin tun würde. Ganz gleich, wie sehr meine Familie mich verachten würde. Ich habe nachts meine Sachen gepackt und bin zum Flughafen. Yavuz bot mir an, mir zu helfen, wodurch ich dich traf. Ich wollte nur abschließen, Nives. Wollte dir nicht davon erzählen, dass der Mann, der dich beschützen sollte, sich selbst nicht schützen konnte."

Tausend Gedanken schossen mir durch den Verstand. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Verharrte ruhig in seinen Armen und öffnete meine Augen, um das Meer zu betrachten.

"Ich wollte dich nie belügen. Wollte dir nie wehtun. Das Letzte, was ich wollte, war dir das Gefühl zu geben, du wärst nur eine Affäre."

Zögerlich gab er meinen Körper frei, wodurch ich mich langsam zu ihm drehte. Unter Tränen sah ich zu ihm auf.

"Und jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass du darüber hinwegsehen kannst, was für ein Arschloch ich bin."

Lies from my bodyguard | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt