55 | Heimkehr

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Er schlief. Tief und fest. Nach ganzen drei Stunden, in denen wir uns einander hingaben, wunderte es mich nicht. Ich hätte auch gerne geschlafen.

Ich konnte aber nicht und saß stattdessen neben ihm auf der Matratze.

Kaum schloss ich meine Augen, sah ich Serafino. Ich befand mich wieder auf dieser Insel. Starrte das Blut auf meinen Händen an und vergrub eine Leiche. Diese Erinnerungen schnürten mir die Kehle zu. Ich hatte aber etwas gefunden, was mir wenigstens einen kleinen Teil Frieden brachte.

Ayaz beim Schlafen zu beobachten.

Er schlief mit geschlossenem Mund auf dem Rücken. Sein Gesicht war leicht in meine Richtung gedreht. Ein Arm lag unter seinem Nacken. Der andere über seinem trainierten Bauch. Ich musterte seine Tattoos. Fuhr sanft mit meinen Fingern über seinen Brustkorb. Würde er jetzt aufwachen, würde ich ihn wieder hassen. Zumindest ein kleiner Teil von mir. Vielleicht hasste ich aber gar nicht ihn, sondern mich selbst. Dafür, dass ich ihm verzeihen wollte, obwohl er meinen Stolz mit den Füßen getreten hatte.

Mein Blick fiel zum Fenster hinter ihm. Es war noch finster draußen.

Eine Bewegung lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf Ayaz. Er murmelte etwas Unverständliches und drehte sich auf seine Seite. Ein Arm schlang sich um meine Taille. Sofort spürte ich eine angenehme Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper ausbreitete. Er zog mich enger an sich. Legte seinen Kopf auf meinem Schoß ab. Ich sah zu ihm herab. Musterte die scharfen Konturen seines Gesichts. Die schwarzen Haare fielen ihm seitlich über die Stirn. Ich strich sie beiseite. Anschließend begann ich sanft seinen Nacken zu kraulen.

Sollte ich ihm sofort verzeihen?
Am liebsten hätte ich es getan. Einen Neuanfang gewagt, doch er selbst hielt ich davon ab. Er sagte, er würde mich nicht zurück wollen, da er mir die Chance der Selbstheilung nicht abschlagen wollte.

Er hatte damit Recht.

Ich musste so vieles verarbeiten. So viel passiert in kürzester Zeit. Ich brauchte Zeit für mich, und die würde ich mir auch nehmen.

Vorsichtig befreite ich mich aus seinem Griff und lehnte mich zu ihm runter, um einen sanften Kuss auf seine Wange zu hauchen. Seine Haut fühlte sich warm an. Er roch nach Aftershave, doch auch nach ihm selbst. Ein undefinierbarer Geruch, der mich trotzdem dazu brachte, mich bei ihm geborgen zu fühlen.

"Wir sehen uns wieder", flüsterte ich an sein Ohr, ehe ich mich erhob und mein Shirt vom Boden aufsammelte. Ein letzter Blick über meine Schulter, dann suchte ich mein Zimmer auf.

____

"Bist du dir sicher?"

Gemeinsam mit Cecilio stand ich an einem privaten Flugplatz. Ich hatte Ayaz nicht geweckt. Er lag immer noch schlafend in seinem Bett. Vermutlich mit der Hoffnung, ich wäre noch da, wenn er aufwachte.

Ich wollte ihm damit zeigen, dass ich ihm Recht gab. Ich nahm mir Zeit für mich.

"Ja, er schafft es schon alleine zurück nach Palermo." Cecilio nickte und wir stiegen in den Privatjet. Ich ließ mich auf einen Sitz am Fenster fallen und starrte hinaus.

"Schaffst du es?", kam es von Cecilio, den ich irrtiert musterte. Er setzte sich auf die andere Seite.

"Was meinst du?"

"Ohne ihn zu sein?" Cecilio fixierte meinen Blick. Er analysierte jede Bewegung meiner Gesichtszüge. Ich gab ihm keine Reaktion. Mein Ausdruck blieb ohne Emotion.

"Ja. Das ist genau das, was ich brauche."

Der Jet startete und ich schloss meine Augen, um die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.

Lies from my bodyguard | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt