43 | Chaostheorie

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Ich saß am Abend im Wohnzimmer und dachte über all das nach, was die letzten Wochen vorging. Das Messer in meiner Hand fühlte sich gut an. Zu gut. So gut, dass ich es am liebsten in Serafinos Hals gerammt hätte. Unauffällig blickte ich zu ihm. Er stand in der Küche und war der Meinung, uns einen Obstsalat zu machen, wäre besser, als sich endlich zu verpissen. 

"Magst du Ananas?", hörte ich ihn fragen. Er klang so überheblich, dass selbst mein Opa sich mit einem Kopf schütteln zu ihm drehte.

"Ich hasse Ananas", gab ich ihm mit einem gespielten Lächeln zurück. "Und ich hasse auch alles andere, was du zubereitest. Also mach dir bloß keine Umstände."

Mein Opa saß mir gegenüber am Tisch und zwinkerte mir nach meinen Worten zu. Ich schmunzelte. Er schlug die Zeitung sanft zu und erhob sich anschließend.

"Ich gehe etwas frische Luft im Garten schnappen. Hier drinnen kommt es mir erstickend vor."

"Es kommt dir nicht nur so vor. Es ist erstickend."

Ich sah ihm nach. Kaum, dass er das Wohnzimmer über die Terassentür verließ, trat Serafino mit einer kleinen Schüssel an den Tisch. Er platzierte sie genau vor mir und legte noch eine Gabel an deren Seite. Gelangweilt von seiner umsorgenden Art sah ich zu ihm auf.

"Hast du sonst keine Hobbys?"

"Ich hab's dir schonmal gesagt. Ich kümmere mich gerne um dein Wohlergehen."

Er spießte ein Stück Ananas auf die Gabel und hielt sie genau vor meine Lippen. Ich zog provokant eine Augenbraue hoch, während er mich an lächelte.

"Denkst du, ich bin dein kleines Schoßhündchen? Dass du mich füttern kannst, wie du es willst?"

"Ich würde gerne ganz andere Dinge mit dir machen."

"Arschloch!" Ich erhob mich und wollte ihm gerade das scharfe Messer an den Hals legen, da betrat meine Mutter gemeinsam mit Antonio das Wohnzimmer.

"Wo ist dein Opa?", fragte sie, ohne Serafino vor mir zu beachten.

"Im Garten." Sie nickte und kam näher zum Tisch. Skeptisch sah sie sich den Obstsalat an.

"Geht es dir gut? Brauchst du-"

"Es geht mir gut", beruhigte ich sie. Sie lächelte gespielt und verschwand ebenfalls mit Toni zusammen in den Garten.

"Sie wird mich schon noch akzeptieren." Serafino biss das Stück Ananas von der Gabel ab und grinste selbstgefällig.

"Und dann? Was hat dir all das gebracht? Eine Frau, die nie Gefühle für dich haben wird. Eine Familie, die dich hasst. Ist es das, was du willst?"

"Gefühle können sich entwickeln. Es braucht nur Zeit."

"Du bist ein Psychopath, weißt du das eigentlich?"

Er lachte auf und spießte mit der Gabel ein weiteres Stück Ananas auf. Dieses setzte er erneut vor meinem Mund an. Er drückte es leicht gegen meine Lippen, sodass der süßliche Geschmack an ihnen haftete. Seine Augen inspizierten mich neugierig. Ich öffnete meinen Mund. Jedoch wich ich gleichzeitig zurück.

"Dein Vater war ein schlechter Mensch. Denkst du nicht, er hätte sich besseres für dich gewünscht?", versuchte ich an seine Vernunft zu appellieren. "Oder deine Mutter?"

"Sie sind beide tot. Ich habe nur noch entfernte Verwandte, die täglich beten, dass ihr alle aufhört zu atmen. Also mein. Ich denke mein Vater hätte sich genau diese Situation gewünscht. Er hätte sich gewünscht, dass die Frau, die ihm das Leben genommen hat, zusehen muss, wie ich das Leben ihrer Tochter in meinen Händen halte."

Lies from my bodyguard | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt