Kapitel 11

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Der Potion Pub war an diesem Abend besonders belebt. Es war Vollmond, und selbst bei den Menschen lag eine spürbare Spannung in der Luft. Ivy mischte hinter der Bar Cocktails und bediente die Gäste, während vorne auf der Bühne eine lokale Band eine eher mittelmäßige Performance hinlegte. Die Stimmung war aufgeladen, die Leute waren unruhig und die Gespräche lauter als sonst.

Chrissy, die Besitzerin des Potion Pub, stand am anderen Ende der Bar und beobachtete das Treiben mit misstrauischen Augen. Sie war eine schöne Frau Mitte vierzig, mit schulterlangen, dunkelbraunen Haaren und einem stechenden Blick, der nichts entging. Manchmal konnte sie eine grimmige Lady sein, aber sie war herzlich zu den Menschen, die ihr wichtig waren. 

Chrissy kam näher und sprach Ivy in besorgtem Ton an. "Gib den Alkohol langsamer heraus. Die Leute werden immer unruhiger. Ich will nicht, dass es eskaliert.", bat sie Ivy, "Heute spielen sie alle etwas verrückt."

Ivy nickte und drosselte das Tempo beim Mixen der Drinks. Chrissy's Gespür für solche Dinge war selten falsch. Sie war eine erfahrene Hexe und Oberpriesterin des Covens, der Ivy aufgenommen hatte, nachdem ihre Familie und Ivy sich entzweit haben.

Während sie weiter Drinks zubereitete, konnte sie die Blicke der ungeduldigen Gäste spüren, die immer gereizter wurden.

Ein paar Männer an der Bar begannen, lauter zu werden. Einer von ihnen, ein großer Kerl mit kurzgeschorenem Haar und einem tätowierten Arm, lehnte sich über die Bar und fixierte Ivy mit einem herausfordernden Blick. "Hey, wie lange dauert das hier noch? Ich habe vor zehn Minuten schon mein Bier bestellt!"

Ivy hielt einen Moment inne und versuchte, ruhig zu bleiben. "Es dauert nur einen Moment. Ich komme gleich zu euch."

"Wenn du nicht schneller bedienen kannst, lass jemand erfahrenen ran!" rief ein anderer Mann aus der Gruppe, der schon ziemlich voll war. 

"Ja, lass mal jemanden erfahrenen ran.", grölte ein anderer und lachte.

Ivy spürte, wie die Stimmung sich zuspitzte. Sie versuchte, die Männer zu beruhigen, indem sie ihnen ein charmantes Lächeln schenkte und weiterarbeitete. Doch der erste Mann ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Er griff nach dem Bierschlauch und wollte sich selbst bedienen.

"Hey!" rief Ivy und packte den Schlauch, um ihn ihm zu entreißen, was ihr auch gelang. 

Der Mann wurde handgreiflich. Er packte Ivy's Arm fest und zog sie über die Bar zu sich herüber. "Willst du mich aufhalten?" zischte er wütend. Ivy fühlte die Schmerzen in ihrem Arm und wusste, dass sie sich wehren musste.

"Das würde ich nicht tun," sagte sie kalt, ihre Augen funkelten vor Zorn. "Warum?" fragte er spöttisch, doch bevor er eine Antwort bekommen konnte, wurde er schon zurückgerissen.

Ein sehr wütender Lucas Harper stand plötzlich hinter ihm. Ohne zu zögern, schlug er dem Mann ins Gesicht, sodass dieser taumelte und zu Boden fiel. Er rappelte sich wieder auf und ging auf Lucas los. 

Ivy kletterte über die Bar und ging dazwischen. Sie schob beide auseinander und um Ivy nicht zu verletzen gab Lucas nach und trat zwei Schritte zurück. Einpaar Männer und Chrissy kamen zur Hilfe um den Fremden, der Nachschlag wollte, aufzuhalten.

Ivy trat zu Lucas. "Hör auf.", zischte sie, "Du kannst hier nicht das selbe Manöver bringen, wie damals auf der Straße. Jeder würde dich sehen."

"Wenn er dich verletzt, ist es mir egal, wer mich dabei sieht, wenn ich ihm die Kehle zerfetze.",  erwiderte Lucas aufgebracht. Auch ihn schien der Vollmond zu leiten und Ivy bemerkte, wie seine Augen sich veränderten.

"Aber mir ist es nicht egal. Was hast du hier überhaupt verloren?", fragte Ivy wütend, während sie ihren Arm rieb. "Ich dachte, du bist heute mit deiner Familie unterwegs."

Er schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich hab es mir anders überlegt und bin hierher gekommen. Zur richtigen Zeit, wie man sieht." Sein Blick wanderte zu dem Fremden, der immer noch von ein paar Männern und Chrissy zurückgehalten wurde.

Chrissy, die die Situation mit misstrauischen Augen beobachtet hatte, trat nun näher. "Gehört er zu dir?", fragte sie, und ihre Stimme klang gereizt. Ivy konnte den unausgesprochenen Teil der Frage deutlich hören, als ob Chrissy ihn direkt in ihren Gedanken geformt hätte: Gehört der Wolf zu dir?

Mit einem Blick, der zwischen Lucas und Chrissy hin und her huschte, suchte Ivy nach den richtigen Worten. "Nein," sagte sie schließlich mit fester Stimme, doch in diesem Moment sprach auch Lucas. "Ja," sagte er gleichzeitig und ihre Antworten kollidierten in der Luft.

Ivy und Lucas warfen sich überraschte Blicke zu, jeder versuchte, die Reaktion des anderen zu verstehen. Chrissy sah beide durchdringend an, ihr Blick wanderte von Ivy zu Lucas und wieder zurück.

"Bring ihn raus. Heute ist nicht der Tag für so einen Schwachsinn." Chrissys Worte ließen keinen Raum für Diskussionen. "Ich übernehme die Bar."

Ivy nickte widerwillig und griff Lucas am Arm. Sie konnte die Spannung in seinen Muskeln spüren, als sie ihn zur Tür zog. "Komm mit," sagte sie leise und führte ihn hinaus. Die Blicke der Gäste folgten ihnen, doch keiner wagte es, etwas zu sagen. Draußen auf der Straße ließ Ivy seinen Arm los und stellte sich ihm entgegen, ihre Augen blitzten vor Wut.

"Du kannst nicht einfach auftauchen und alles durcheinanderbringen, verdammt.", rief sie aus.

Lucas hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste, doch Ivy konnte die unruhige Energie in ihm spüren. "Dieser Typ hatte die Absicht dich zu verletzen."

"Das weiß ich," erwiderte Ivy und seufzte tief, "Ich hatte alles im Griff. Ich kann mich selbst verteidigen." Sie zeigte auf das an der Hüfte hängende Gerät, das wie ein Tazer aussah.

Lucas ringte um seine Fassung. "Du kannst das nicht ernst meinen, Ivy. Du kannst doch nirgendwo arbeiten, wo das dein Alltag ist. Wo dich jederzeit jemand belästigen kann und wo deine Sicherheit nicht an höchster Stelle ist.", er zeigte aufgebracht auf die Bar.

"Nicht jeder kann sich ein Studium auf einer Privat-Uni erlauben. Ich habe Chrissy viel zu verdanken und sie hat mir diesen Job besorgt. Übrigens einen sehr gut bezahlten Job, mit dem ich mich selbst finanzieren kann, anstatt sich jeden zweiten Tag zu fragen, ob ich aus der Wohnung geschmissen werde, weil mein Einkommen wegbricht!", rief sie wütend zurück.

"Das war mir nicht klar...", sagte Lucas.

"Warum auch? Mein Leben war nunmal nicht so wohl behütet wie deines, Lucas!", rief sie aus, "Ich kenne solche Typen, wie den, der mich angegriffen hat, ok? Ich bin unter ihnen groß geworden. Ich weiß wie sie ticken und glaub mir, ich weiß, wie ich mich verteidigen muss. Ich brauche keinen Alpha-Prinz, der meint, den Ritter in der goldenen Rüstung mimen zu müssen. Ich. Bin. Nicht. So. Schwach." Die letzten Worte schrie sie heraus. 

Lucas trat einen Schritt näher, sein Blick intensiv, seine Nähe unglaublich einnehmend, was ihre die Luft aus den Segeln nahm. "Ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert, Ivy." Er blickte sie an, als wäre sie ein verdammter, schützenswerter Welpe. "Und nur weil früher niemand auf dich aufgepasst hat, heißt es nicht, dass es für immer so bleiben muss..."

Sie hatte das Gefühl, sie würde gegen eine Wand reden. "Warum zur Hölle ist es dir so wichtig, für mich den Helden zu spielen?", flüsterte sie.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt