Kapitel 28

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Lucas war kaum in seinem Apartment im oberen Stockwerk der Villa angekommen, als er bereits Boris' schwere Schritte durch die Flure hören konnte. Die Wut und Enttäuschung kochten in ihm hoch, und er wusste, dass er einen klaren Kopf behalten musste. Wenn er seinen Gefühlen freien Lauf ließ, würde er Ivy entweder küssen oder töten, und keines von beiden durfte jetzt passieren.

Er war froh, endlich nicht mehr auf engstem Raum mit ihr sein zu müssen. Der Duft ihrer Haut, ihre verdammten, schuldbewußten Augen – alles war ihm zu viel. Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit, gemischt mit dem Verrat, den er nie hatte kommen sehen, nagten an ihm. Er hatte sich in sein eigenes Zimmer geflüchtet und lief nun im Kreis wie ein eingepferchter Wolf, unfähig, die Unruhe in sich zu bändigen.

Während er rastlos auf und ab ging, hörte er, wie Boris das Zimmer neben ihm aufschloss. Er hatte Ivy direkt neben seinem eigenen Zimmer untergebracht, in der Hoffnung, sie besser im Auge behalten zu können. Doch jetzt bereute er diese Entscheidung. Die Nähe zu ihr war eine Qual. Er konnte sie weinen hören, das bittere Schluchzen, das durch die Wand drang und sich in sein Herz bohrte.

„Verdammter Mist," fluchte Lucas und schlug mit der Faust gegen die Wand. Sein Herz fühlte sich an, als würde es zerrissen, und er wusste, dass er es hier nicht länger aushalten konnte.

„Du kannst sie nicht hier behalten," hörte er die Stimme seines Wolfs in seinem Kopf. „Wir halten es beide nicht aus." 

Er wusste, dass sein Wolf recht hatte. Die Enge der Räume, die ständige Erinnerung an Ivy – es war mehr, als er ertragen konnte. Er zog sich hastig aus, öffnete die Tür zum Balkon, der zum Wald führte, und atmete die kühle Luft tief ein. Während er hinuntersprang, verwandelte er sich in seinen Wolf und rannte davon, den Drang nach Freiheit folgend.

Seine Sinne schärften sich, sein Körper dehnte sich, und er spürte die Kraft und das Tempo seines Wolfs. Die Wälder rund um die Villa waren dicht und boten ihm die Zuflucht, die er so dringend brauchte. Er rannte, sprang über Baumstämme und duckte sich unter tief hängenden Ästen hindurch, während das Adrenalin durch seine Adern pulsierte.

Die Gedanken an Ivy verblassten nicht, egal wie weit und schnell er lief. Sie war tief in seinem Inneren verankert, ein Teil von ihm, den er nicht einfach abschütteln konnte. Die Erinnerung an ihre Tränen, den Schmerz in ihren Augen – es verfolgte ihn. Ihr ganzes Dasein verfolgte sie seit drei Jahren. Es hatte keine Nacht gegeben, in der er sie hätte vergessen können. Und er hatte einiges ausprobiert - einige ausprobiert, die ihm Vergessen versprachen.

Die letzten drei Jahre waren für Lucas eine Zeit des Wandels und der Prüfungen gewesen. Nach dem Tod seines Großvaters, dem früheren Alpha des Rudels, hatte Lucas sich gezwungen gesehen, in diese mächtige Rolle hineinzuwachsen. Die Verantwortung, die mit dem Alpha-Titel einherging, war erdrückend, aber er hatte sich ihr gestellt, getrieben von dem Versprechen, das er seinem Großvater am Grab gegeben hatte. Er würde das Rudel schützen und führen, egal welche Hürden auf ihn zukamen.

Doch Ivys Verrat hatte tiefe Wunden hinterlassen, nicht nur emotional, sondern auch magisch. Ihr Zauber hatte unerwartete Folgen gehabt. Nun, da er Ivy endlich gefunden hatte, keimte in ihm die Hoffnung auf, dass er diese Hindernisse endgültig beseitigen könnte. Er wusste, dass sie der Schlüssel zu seiner vollständigen Heilung war, dass nur sie die Macht hatte, diese Magie zu brechen.

Doch es war nicht nur der Wunsch nach Freiheit von ihrer Magie, der ihn antrieb. Das Gefährtenband, das ihn an Ivy band, war eine ständige Quelle von Schmerz und Sehnsucht. Es war, als würde eine unsichtbare Kette ihn an sie fesseln, ihn einengen und ihn mit einer nie endenden Sehnsucht erfüllen, die er nicht sättigen konnte. Das erste Mal seit Jahren zog und zerrte dieses Band nicht mehr an ihm, als er sie im Laden gesehen hatte. Er hatte sie endlich gefunden und es war so als ob die ganzen Geräusche um ihn herum verstummt waren. Und das erste Mal seit Jahren war er ohne dieses Zerren und Ziehen im Flugzeug neben ihr eingeschlafen.

Immerhin konnte er dieses Problem nun viel einfacher beseitigen. Mit ihrer Anwesenheit war es ihm nun möglich, das Band zu lösen. Endgültig.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt