Kapitel 46

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„Das wird langsam zur Gewohnheit, Alpha," sagte Chrissy, während sie ihn kritisch ansah. Die Müdigkeit war in ihren Augen deutlich zu erkennen, aber ihre Stimme behielt den schneidenden Tonfall. 

„Ich hätte mir diese Nacht auch anders vorgestellt.," murmelte Lucas, ohne seinen Blick von Ivy abzuwenden. Sie lag reglos auf dem Krankenhausbett, blass, aber friedlich, als ob sie einfach nur schlafen würde. Die Monitore an ihrem Bett zeigten stabile Werte an, doch das half Lucas wenig, seine Unruhe zu mindern.

Er hatte sich gewünscht, den Vollmond mit seinem Rudel zu verbringen, sich in den Wald zu stürzen und die Jagd zu genießen, so wie er es immer getan hatte. Aber sobald Ivy während des Rituals in Ohnmacht gefallen war, hatte sie sich über alles gestellt. Er hatte sich zurückverwandelt, ihre zitternde, schwache Gestalt aufgefangen und sie sofort hierhergebracht. Warum musste immer alles schiefgehen, fragte er sich frustriert. Sie hatte es geschafft, ihm zu helfen, hatte  ihn zurück zu seinem Wolf verwandelt. Aber zu welchem Preis? Das hatte er noch nicht herausgefunden.

"Ivy hat versucht ihren Zauber rückgängig zu machen.", erklärte Lucas, strich ihr eine kleine Strähne aus der Stirn, "Nach meiner Beurteilung hat es funktioniert. Aber sie ist vor mir zusammen gesackt, nachdem das Ritual beendet war. Sag mir, was ihr fehlt."

Chrissy trat zum Bett. Sah auf die junge Frau, berührte ihre Schulter, fühlte ihre Energie.

„Ich kenne mich mit Hexen und Wölfen als Gefährten nicht aus. Das passiert ziemlich selten,  aber wenn es passiert, teilen sie sich eine gemeinsame Energie. Und irgendwie hat sie Ihnen ihren und Ihren Teil gegeben – zumindest den größten. Sie hat Ihnen mehr gegeben, als sie sollte."

Lucas sah sie verwirrt an. „Was heißt das?"

"Dass sie Ihnen nichts mehr schuldet.", sagte Chrissy. "Sie sollten nichts mehr von ihr verlangen."

„Wird sie... wieder aufwachen?" fragte Lucas besorgt. 

„Ja, ich denke schon," antwortete Chrissy nachdenklich. „Sie braucht nur ein paar Stunden, um sich zu regenerieren."

Lucas atmete tief durch, schloss kurz die Augen, als er die Erleichterung in sich spürte. „Und... wird es andauern? Dass ihre Magie bei mir bleibt?"

Chrissy schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht dauerhaft. Die Magie sucht immer eine Balance. Es sei denn, das Gefährtenband wird gelöst. Dann wird die Energie bei dir bleiben. Aber solange das Band besteht, fließt sie langsam, aber sicher wieder in sie zurück. Es wird sich einpendeln und ihr wird es wieder gut gehen."

Lucas nickte. Also hatte er die Wahl, das Band zu trennen und zum Vollmond ein Werwolf bleiben, oder... Darüber konnte er jetzt nicht nachdenken.

„Ich habe noch eine andere Frage..." begann Lucas zögernd, als er die Erinnerungen an das Ritual durchging. „Als ich in dem Kreis war und sie mich berührt hat... da habe ich sie gesehen. Als Kind. Es war nur schemenhaft, aber ich konnte sie ihn ihrer Vergangenheit sehen. Wie ist das möglich?"

Chrissy erstarrte, ihre Augen wurden kühler. „Das wird ihr nicht gefallen," warnte sie ihn leise, "Das ist eine Laune der Magie... manchmal überträgt sie Erinnerungen, wenn die Verbindung zu stark ist."

„Sie hat den Zauber vor drei Jahren gebraucht, um ihre Schwester aus der Gefangenschaft zu befreien, nicht wahr? Warum hat sie mir das nie erzählt?"  Ihre Erinnerungen, ihre Gedanken - sie waren nun seine. Ihre Angst, ihre Sorgen, dass ihre Schwester als Waffe verwendet wird. Als Waffe gegen wen? Er konnte diese Erinnerung nicht greifen. Die Einsamkeit, die sie gefühlt hatte. 

Die Erinnerung war noch frisch in seinem Geist, das Bild eines jungen Mädchens, allein und verzweifelt... es fühlte sich, als hätte er etwas Verbotenes berührt, etwas, das er nicht sehen sollte. Etwas, was sie vor ihm beschützen wollte.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt