Kapitel 23

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Die kleine Stadt Aurora Bay, malerisch gelegen am Ufer des Lake Superior in North Dakota, war der perfekte Zufluchtsort für Ivy und ihre Schwester Ellie. Drei Jahre waren inzwischen vergangen, seit Ivy ihre große Schwester aus den Fängen ihres alten Covens befreit hatte. Drei wirklich sehr lange Jahre, in denen sie Montreal nicht mehr betreten haben. 

Beide Schwestern hatten mit der Veränderung zu kämpfen. Ellie mit den inneren Dämonen, die die Magie ihrer Tanten hinterlassen haben, und Ivy mit dem Verlust, dem Opfer, das sie geben musste, um ihre Schwester zu befreien.

Es hatte Wochen gedauert, die meiste Magie auszutreiben, die der Coven in Ellie verankert hatte und es hatte Ivy Unmengen an ihrer Magie gekostet, dies zu verwirklichen. Damals hatten sie in einem kleinen Motel in Aurora Bay gehaust, und waren dort geblieben. 

Über ein Jahr hatten Ivy gebraucht, um die letzten dunklen Fäden zu durchtrennen, die Ellie in ihren Klauen gehalten hatten. Doch die Anstrengungen hatten sich gelohnt. Sie hatte ihre Schwester wieder. Ihre schöne, anmutige, ruhige Schwester, die tief im inneren noch etwas gebrochen war von der Erinnerung, die zurückgeblieben war.  

Ihr gemeinsames Leben in Aurora war ruhig und beständig. Sie hatten einen kleinen Laden eröffnet, der magische Utensilien verkaufte – mehr Schnickschnack für neugierige Menschen als für echte Hexen. "Whispering Charms" war gemütlich und voller zauberhafter Kleinigkeiten, die von den Einheimischen und Touristen gleichermaßen geliebt wurden. Von handgemachten Kerzen und Kristallen bis hin zu handgeschriebenen Zauberbüchern und Kräutertees – Ivy und Ellie hatten ein kleines Paradies für sich geschaffen.

Das Gefühl, einem Menschen mit einem magischen Kräutertee zu helfen, war für Ivy und Ellie ein stilles Glück. Sie lebten bescheiden, aber zufrieden, und jeder Tag brachte eine kleine, wohltuende Routine. Die beiden Schwestern hatten sich gut in der Stadt integriert, hielten sich meist von den gemeinschaftlichen Aktivitäten der Stadt zurück. Es war ein gutes Leben, besser als Ivy es sich je vorgestellt hatte und meistens war es ihr bewusst. Nur manchmal brodelte es etwas unter der Oberfläche. Wenn sie den Vollmond sah, dachte sie an ihn. Die abrupte Trennung von Lucas hatte in ihrem Herzen tiefe Narben hinterlassen. Das Band, das sie beide verbunden hatte, hatte nicht aufgehört, an ihr zu ziehen und es erfüllte sie mit einer schmerzhaften Sehnsucht, die sie kaum ertragen konnte. 

Um diese Verbindung zu unterbrechen, trug sie ein magisches Armband, das Ellie für sie hergestellt hatte. Es brach das Band zum Wolf, dämpfte die Sehnsucht ein wenig und ließ ihre Gefühle auf einer Ebene sanfter Gleichgültigkeit zurück. Dennoch spürte sie die Leere, die Lucas' Abwesenheit hinterlassen hatte, jeden einzelnen Tag. Sie war nur nicht mehr ganz so schmerzhaft, wie zu Beginn.

Ivy selbst hatte kaum noch gezaubert. Immer noch hing ihr Lucas Blick nach als er das Säckchen mit den Fellhaaren zu Boden geworfen hatte. Und jeden Abend fielen ihre Gedanken zu diesem einen Moment zurück, der sie Nacht für Nacht verfolgte. So auch an diesem einen kühlen Tag im Frühling, als Ivy auf dem Dach ihres Apartments saß, und hoch zum Vollmond blickte. Ellie gesellte sich dazu. Sie setzte sich auf den Liegestuhl neben Ivy's und bemerkte die kleine Träne, die in Ivy's Augenwinkel schimmerte. "Lass mich die Dosis des Armbands anpassen.", schlug Ellie vor, "Es wird dir dadurch besser gehen."

Ivy nickte nur und zog die Filzdecke über ihren Oberkörper um ganz unter dieser zu verschwinden. 

"Ich könnte versuchen, das Gefährtenband völlig zu trennen.", schlug Ellie vorsichtig vor, "Ich weiß, du wolltest es die letzten Jahre nicht wirklich hören, aber... es gibt Möglichkeiten, die wir ausprobieren könnten."

"Wir wissen nicht, was für Konsequenzen uns damit erwarten, Ellie... Das letzte Mal, als ich gezaubert habe, hat er seine Kraft verloren."

"Aber nur für einpaar Stunden.", argumentierte Ellie, "Du kannst nicht ewig an ihn gebunden sein. Das tut dir nicht gut. Es wird dich irgendwann völlig einnehmen."

Ivy blickte ihre Schwester lächelnd an, "Dann habe ich ja noch etwas Zeit."


Die Küche des „Whispering Charms" war ein gemütlicher, verwinkelter Raum mit warmen Holzböden und Regalen, die bis zur Decke reichten. Überall standen Gläser und Tiegel mit getrockneten Kräutern, Gewürzen und magischen Zutaten. Das Licht des frühen Frühlingsmorgens strömte durch die kleinen Fenster und tauchte den Raum in ein weiches, goldenes Licht. Der Duft von frischen Kräutern und Kaffee erfüllte die Luft und vermittelte ein Gefühl von Geborgenheit und Ruhe.

Ellie stand am großen Eichentisch in der Mitte der Küche und blätterte konzentriert in dem alten Grimoire, das Ivy damals mitgenommen hatte. Sie war auf der Suche nach einem Zauber, der ihrer Schwester helfen konnte. Ivys Schmerz und Sehnsucht waren für Ellie nur allzu offensichtlich, und sie konnte nicht tatenlos zusehen, wie ihre Schwester darunter litt.

Das Grimoire war voll von alten, mächtigen Zaubern, die über Generationen hinweg weitergegeben worden waren. Ellie blätterte durch die vergilbten Seiten, bis sie auf einen Zauber stieß, dessen Name ihre Aufmerksamkeit erregte: „Relinquere et Firmare.", was soviel wie Loslassen und Festigen hieß. Sie studierte die Wirkung und es klang nach der Übersetzung ganz nach dem, was sie sich für Ivy wünschte. 

Ellie las den Zauber aufmerksam durch. Die Zutaten waren hauptsächlich getrocknete Kräuter, die sie in ihrem kleinen Laden anboten: Lavendel, Rosmarin, Salbei und ein Hauch von getrocknetem Klee. Sie hatte alles da. Entschlossen begann sie, die Kräuter zu mischen und den Zauber vorzubereiten.

Sie nahm einen alten, gusseisernen Kessel vom Regal und stellte ihn auf den Herd. Dann gab sie die Kräuter hinein und ließ sie in Wasser aufkochen. Der Duft der kochenden Kräuter erfüllte die Küche und verstärkte die beruhigende Atmosphäre. Während die Kräuter köchelten, rezitierte Ellie die alten lateinischen Worte des Zaubers und konzentrierte sich darauf, all ihre positive Energie in den Trank zu leiten.

"Vergangene Bande, für Ivy entlass', auf dass sie Frieden fasst. Gelöst die Fesseln, frei von Schmerz, kehr zurück zu dem, wer ruft ihr Herz", flüsterte sie die Worte auf lateinisch.

Als die Kräuter vollständig durchgezogen waren, nahm sie den Kessel vom Herd und ließ die Flüssigkeit abkühlen. Dann füllte sie den magischen Trank vorsichtig in die kleinen Perlen des Armbands, das Ivy immer trug. Sie hoffte inständig, dass der Zauber wirken und Ivy die Erleichterung bringen würde, die sie so dringend brauchte.

Kurze Zeit später hörte Ellie, wie die Tür des Ladens aufging. Ivy war zurück. Sie trat in die Küche, sah müde, aber dennoch entschlossen aus. Ellie lächelte ihr zu und hielt ihr das Armband hin. „Hier, ich habe es wieder aufgefüllt," sagte sie und reichte es ihr.

Ivy nahm das Armband und zog es ohne zu zögern wieder an. „Danke, Ellie," sagte sie leise und erwiderte das Lächeln ihrer Schwester. Sie ahnte nicht, was Ellie getan hatte, aber sie vertraute ihr blind.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt