Kapitel 34

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Die vergangenen Tage verbrachte sie größtenteils in der Bibliothek, vertieft in die alten Folianten und Manuskripte, die der Coven zurückgelassen hatte. Die dort stehenden Kisten waren vollgestopft mit Wissen aus Jahrhunderten, doch trotz aller Anstrengungen fand sie keinen Weg, den von ihr gewirkten Zauber rückgängig zu machen. Es war, als hätte sie einen endgültigen Pakt geschlossen, ohne Möglichkeit der Umkehr, ähnlich einem Online-Kauf ohne Rückgaberecht oder Garantie. Dennoch ließ sie nicht locker, suchte fieberhaft nach einem neuen Zauber, einer Lösung, die Lucas helfen könnte. Doch jedes Mal endete ihre Suche in einer Sackgasse.

Boris war ihr in dieser Zeit eine treue Stütze. Täglich brachte er ihr köstliche Mahlzeiten, die ihren Geist nährten und ihre Energie aufrechterhielten. Manchmal blieb er sogar für eine Partie Kartenspiel, und ihre Gespräche waren eine willkommene Abwechslung zum ständigen Grübeln. Seine ruhige Präsenz und sein verschmitztes Lächeln brachten Licht in die düsteren Ecken ihres Gemüts. Lucas hatte sich, seit ihrem letzten Treffen nicht mehr blicken lassen. Das Gespräch mit ihr und ihre Ehrliche Antwort, schien ihm nicht gefallen zu haben.

Kayden hingegen wurde zu ihrem ständigen Schatten. Er begleitete sie überallhin, und Ivy musste zugeben, dass sie seine Gesellschaft als angenehm empfand. Seine unverfälschte Art und sein offenes Lachen waren erfrischend. Doch sie bemerkte auch, wie er manchmal errötete, wenn sie zu direkt wurde oder ihre typische Ivy-Art an den Tag legte. Es amüsierte sie, wie verkrampft manche Wölfe sein konnten, besonders in Gegenwart einer Hexe.

An den Nachmittagen zog es Ivy oft hinaus in den Wald hinter der Villa. Kayden erzählte ihr, dass dieses Waldgebiet den Alphas und Betas als Auslauf zwischen den Vollmonden diente. Der Duft von frischem Harz und feuchter Erde lag in der Luft, gemischt mit dem süßen Aroma der blühenden Kanadischen Hemlocktannen. 

Eines Nachmittags, nach einem ausgedehnten Spaziergang, stieß Ivy in einem der Bücher auf ein Kapitel über die legendäre Hexenkönigin Yesenia und ihren Werwolf-Gatten. Fasziniert begann sie zu lesen. Man hatte Yesenia ein ganzes Kapitel in der Historie der Hexen gewidmet. Sie erfuhr, dass der Rudel ihres Gefährten sie als Luna akzeptiert hatte. Trotz ihrer menschlichen Form war sie ein wichtiger Bestandteil des Rudels geworden, hatte sich in das kollektive Fühlen und Denken der Wölfe einbinden können, indem ihr Wolf, ihr Alpha, sie den Schwur der Wölfe hatte schwören lassen.

Doch auch der Aspekt ihrer Magie war interessant, denn das Band beeinflußte diese Magie außerordentlich und war tief mit der Energie ihres Gefährten verwoben. Die Hexe und der Wolf hatten eine gemeinsame Quelle, aus der sie ihre Energie schöpften. Dieses System funktionierte auf zwei Ebenen: War der eine erschöpft und energielos, so spiegelte sich dieser Zustand im anderen wider, da sie ihr Energielevel teilten. Doch konnten sie, wenn nötig, ihre Macht auf den anderen übertragen und so dessen Fähigkeiten verstärken. Es war wie eine Waage mit Gewichten; die Balance konnte verschoben werden, je nachdem, wie die Gewichte verteilt waren, aber die Menge der Gewichte war immer Teil einer gemeinsamen Waage und wurde von beiden beeinflußt.

Ivy's Gedanken rasten. Wenn Lucas also seine Energie zum Vollmond verlor – und Energie verschwand nie wirklich, sie wurde nur umgewandelt oder anderswohin geleitet – musste ihre eigene Energie entsprechend mächtiger werden. Sie hatte dies nie zuvor ausprobiert, hatte sich zum Vollmond stets zurückgezogen und ihrem verlorenen Gefährten nachgetrauert. Doch nun sah sie eine Möglichkeit. Wenn all dies wahr war, musste es einen Weg geben, ihre Energie zurück an Lucas zu leiten, so wie Yesenia und ihr Wolf es getan hatten.

Vielleicht war dies der Schlüssel, den sie suchte. Eine Chance, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und Lucas zu helfen. Entschlossen begann sie, ihre Gedanken zu ordnen und einen Plan für den nächsten Vollmond zu schmieden.

♥ 

Die meiste Zeit hielt sich das Rudel von ihr fern. Wenn sie im Garten war, verschwanden sie ins Haus. Wenn sie in der Küche stand, leerte sich der Raum. Es war eine stille, aber deutliche Ablehnung, die sie spürte, eine Grenze, die keiner außer Boris und Kayden bereit war, zu überschreiten. Sie war die Frau, die den Alpha verraten hatte, und das machte sie in den Augen der meisten zu einer Ausgestoßenen. Jason ließ sich ab und an blicken, aber auch er hielt eine respektvolle Distanz, seine Misstrauen ihr gegenüber offensichtlich.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt