Kapitel 15

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Ivy saß im Büro von Chrissy, umgeben von den Schatten der Vergangenheit, die sich in den historischen Bildern an den Wänden spiegelten. Das Büro war etwas schäbig, die Möbel abgenutzt, und der Raum wirkte durch die vielen Bilder und Antiquitäten auf purpurroten Wänden fast erdrückend. Chrissy, ihre Chefin, saß hinter einem schweren, dunklen Schreibtisch und wirkte unzufrieden. 

"Warum hast du mich gerufen?" fragte Ivy, ihre Stimme klang etwas unsicher.

"Dein Freund... von gestern. Wer ist er?" Chrissy's Ton war fordernd, und ihre Augen ließen Ivy nicht aus den Augen.

Ivy zuckte mit den Achseln, versuchte, ihre Nervosität zu verbergen. "Nur ein Student, der mir nachläuft..."

"Du weißt, was ich meine, Ivy..." Chrissy's Blick wurde schärfer, und Ivy wusste, dass sie nicht ausweichen konnte.

"Er ist ein Wolf," gestand Ivy genervt und war froh darüber, dass Chrissy den Anwärter des Fitzgeralds Rudels nicht selbst erkannt hatte. Aber sie hatte sich selbst wenig für die Politik der Wölfe in Montreal interessiert. "Aber wir werden uns nicht wiedersehen. Keine Sorge."

"Du bringst den Coven in Gefahr, wenn du mit einem der Wölfe Kontakt hast. Du weißt, wie streng Fitzgeralds Clan damit ist. Er würde uns alle vernichten.", erklärte Chrissy.

"Ich weiß, es tut mir Leid. Ich hätte besser aufpassen sollen. Er hat mir geholfen, als einpaar Typen vor dem Pub versucht hatten, mich anzugreifen. Er war nett und hat einen kleinen Schwarm für mich, sonst nichts.", antwortete Ivy. 

"Sie sind nur nett zu uns Hexen, wenn sie etwas brauchen.", korrigierte Chrissy sie und tippte ungeduldig mit einem Stift auf den Tisch.

"Er weiß nicht, dass ich eine Hexe bin.", beruhigte Ivy sie und sie würde alles dafür tun, dass es so blieb. Chrissy nickte zufrieden. "Gut... Ich vertraue dir, Ivy, dass du uns nicht in Gefahr bringst. Ich werde im Pub anweisen, ihn nicht mehr reinzulassen, falls er anderer Meinung ist."

Ivy nickte langsam, spürte eine Mischung aus Erleichterung und Traurigkeit. "Danke," sagte sie leise. Als ob irgendein Türsteher Lucas vor irgendetwas abhalten könnte, dachte sie missmutig. Aber wenn Chrissy sich damit sicherer fühlte, würde sie ihr nicht widersprechen.  "Kann ich nun gehen?"

Chrissy nickte, ihre Miene wieder gewohnt streng. Ivy stand auf, und als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr Blick auf ein historisches Bild an der Wand, das sie bisher übersehen hatte. Es zeigte einen Mann mit einem Wolfswappen und eine Frau im dunklen Kleid, offenkundig eine Hexe. Das Gemälde schien aus dem Mittelalter zu stammen. Der Ritter kniete mit einem Bein vor der Hexe, die sanft ihre Hand ausstreckte.

Ivy hielt inne, das Bild zog sie magisch an. "Was ist das für ein Bild? Es ist mir noch nie hier aufgefallen."

"Das ist der Kniefall von Ávila," sagte Chrissy, ihre Stimme klang sanft, fast melancholisch. Sie stand auf und trat zum Bild. "Ein spanisches Gemälde, das ich erst vor kurzem ergattert habe. Es zeigt eine Vorfahrin von mir. Wunderschön, nicht wahr?"

Ivy runzelte die Stirn und trat näher an das Bild heran. "Was ist die Geschichte dahinter?"

"Das ist die Hexenkönigin Yesenia und ihr Gatte," erklärte Chrissy, ihre Augen glänzten im schwachen Licht des Büros. "Wir schöpfen immer noch unsere Energie aus ihrer Kraft..."

"Er war ein Wolf?" fragte Ivy und blickte auf den Gatten der Hexe. Die Überraschung war ihr deutlich anzusehen.

Chrissy nickte. "Ein Alpha, um genauer zu sein. Sie war seine Luna," erwiderte sie mit einem melancholischen Lächeln.

"Ich dachte, Wölfe nehmen sich nur Wölfe als Gefährten," sagte Ivy, während sie das Bild genauer betrachtete. Sie schienen zusammen zu gehören. Ein eigenartiges Gefühl. Sie bemerkte, wie die Farbe zwischen ihrer Hand und dem Alpha aufgeplatzt war und es sah so aus, als ob Magie zwischen den beiden knisterte.

"Nicht immer. Manchmal fühlen sie sich zu einer mächtigen Hexe hingezogen. Macht zieht Macht an, und diese Hexe hatte unglaubliche Macht. Sie konnte Städte auferstehen lassen." 

"Wie...", Ivy zögerte, suchte nach den richtigen Worten. "Wie erkannte er seine Gefährtin, wenn sie kein Wolf war?" Es war so eigenartig, dass sie davon zum ersten Mal hörte.

"La magia..." flüsterte Chrissy, ihre Stimme klang wie ein Echo aus einer fernen Zeit. "Sie konnte ihre Macht erst entfalten, als sie erkannten, wer sie füreinander sind. Los amantes. Die Liebenden." 

Ivy spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie das Bild betrachtete. "Warum kniet er vor ihr?" fragte sie, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Chrissy sah Ivy an, ihre Augen schienen in die Tiefe ihrer Seele zu blicken. "Es ist ein Symbol der Hingabe und der Treue, wenn ein Alpha kniet. Eine seltene Unterwerfung. Er tut dies lediglich vor seiner innigsten Familie, oder vor seiner Luna." Chrissys Blick wurde ernst, "Es gibt einen Grund, wieso das Bild 700 Jahre alt ist, Ivy, und du erst heute davon hörst. So eine Liebe ist unglaublich selten und nur mächtigeren Wesen vorbestimmt. Du bist keine mächtige Hexe, Ivy."

"Was willst du mir damit sagen?", fragte Ivy verletzt über die direkte Wortwahl.

"Verlieb dich nicht in ihn. Er wird dich in dem Moment vergessen haben, in dem seine Gefährtin in seinem Leben erscheint.", flüsterte sie, "Wölfe sind fixiert auf ihre Gefährten. Sie haben keine andere Wahl als sie zu lieben."

Ivy wandte sich vom Bild ab. "Ich habe dir schon gesagt, dass wir keinen Kontakt mehr haben werden."

Chrissy trat näher, ihre Stimme war nun schärfer, fast bedrohlich. "Gut, denn sollte dies nicht der Wahrheit entsprechen, würde dein Herz in eine Schockstarre fallen." Ihre Augen blitzten warnend. "Hexen verlieben sich normalerweise nicht so einfach. Aber wenn wir es tun, dann mit unserer ganzen Seele. Wenn der andere uns jedoch ablehnt, bricht nicht nur unser Herz, sondern auch unsere Magie. Wir können nie wieder etwas Wundervolles erschaffen und das wird dich innerlich töten, Ivy."

Ivy lief aus dem Raum in den Flur über der Bar. Gedankenverloren wartete sie auf den Aufzug. Die Worte von Chrissy hingen ihr noch lange nach.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt