Kapitel 30

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Es war der erste Vollmond seit Jahren, den Ivy in Montreal erleben würde. Der fünfzehnte Tag seit ihrer Rückkehr in diese Stadt, und es war der erste Tag, an dem Boris nicht zum Kartenspielen kam. Er hatte ihr Frühstück und Mittagessen gebracht und gesagt, dass das Abendessen heute etwas später folgen würde. Er erklärte, dass er auf der Jagd sein würde, da Wölfe wie er – normale Wölfe – sich nur zum Vollmond verwandelten und dafür das Rudelhaus verließen.

Ivy war alleine. Die Stille des Zimmers war fast erdrückend. Sie dachte an die letzte Vollmondnacht in Montreal, an die schönen Momente, die sie mit Lucas gehabt hatte, bevor sie sich verwandelte – in dieses machthungrige Wesen. Sie konnte sich kaum an etwas von dieser Nacht erinnern, außer an seine Berührungen und an sein entsetztes Gesicht, als er verstanden hatte, wer sie war. Ihr Armband schützte sie kaum noch vor dem, was bald folgen würde. Sie war kurz davor, ihren Gefühlen schutzlos ausgeliefert zu sein, und sie machte sich gefasst darauf, all das zu spüren, was sie die letzten Jahre verborgen hatte.

Sie hörte das Klicken der Tür und sah vom Bett auf. Statt Boris trat Lucas seelenruhig ein. Er lehnte an der Tür und sah sie an. „Du kannst nun mitkommen," sagte er kühl.

„Wo warst du die ganze Zeit?" fragte sie. „Ich dachte, du willst mich hier verrotten lassen."

Er schnaubte. „Du hättest nichts anderes verdient," entgegnete er, gab jedoch keine Antwort darauf, wo er gewesen war. Er lief mit ihr in den ersten Stock, wo er sie in einen leeren Wohnraum schob. Er selbst setzte sich in einen Sessel, und Ivy stand erst betreten herum, bevor sie sich auf eine Couch setzte.

„Was machen wir hier?" fragte sie schließlich.

Er lehnte sich zurück und blickte auf die Uhr. „Wir warten," sagte er schlicht.

Die Zeit verging, und da Lucas nicht den Eindruck machte, sich unterhalten zu wollen, schwieg Ivy ebenfalls. Es war eine Freude für sie, endlich einen anderen Raum als ihren zu sehen. Doch als es Mitternacht schlug, runzelte sie die Stirn und fragte: „Musst du nicht auf der Jagd sein?"

Lucas sah auf, seine Augen blitzten, als hätte sie es endlich verstanden. „Gut beobachtet, Ivy," sagte er kühl. „Ich müsste auf der Jagd sein. Also warum bin ich es nicht?"

„Ich kann deine Rätsel nicht entziffern, Lucas. Sag mir einfach, was du von mir willst," rief sie aus. Sie war seine Hinhaltetaktik so satt.

„Damals, als du dich in dieses grün leuchtende Wesen verwandelt hast... dieses Monster voller Magie... als wir im Wald waren..." begann er, „da habe ich für die nächsten Nächte meine Kraft verloren, mich in einen Wolf zu verwandeln. Ich hörte weder meinen Wolf, noch konnte ich ihn spüren. Er war weg und ich war nichts mehr als ein Mensch."

Sie blickte ihn an, beschämt darüber, was ihre Magie angerichtet hatte. 

„Es tut mir leid, ich wollte nicht..."

„Sei still," sagte er grob. „Der Grund, warum ich nicht auf der Jagd bin, mit meinem Rudel, mit meiner Familie – die verdammt nochmal das Einzige ist, was mir geblieben ist – ist, weil ich, sobald der Vollmond strahlt, keine Macht mehr habe. Seit nun drei Jahren. Seit dieser einen Nacht, die ich bis zu meinem letzten Atemzug bereuen werde."

Ivy sog scharf die Luft ein.  Er hatte die Fähigkeit verloren, sich in einen Werwolf zu verwandeln, genau dann, wenn er es am meisten brauchte. Ein Werwolf ohne Wolf galt als schwach, verletzbar, angreifbar. Ein Alpha ohne Wolf... das war fatal. Sie standen mit den Hexen im Krieg, also konnte er vermutlich nicht mal eine andere Hexe um Hilfe bitten. Nur Ivy. Deshalb hatte Lucas sie gesucht, weil er dachte, sie könnte das rückgängig machen, was ihr Zauber ihm genommen hatte.

Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt