Kapitel 35

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Trotz des angenehmen Frühlingswetters, das an dem schönen Nachmittags eine sanfte Brise durch die fensterhohen Fenster der Bibliothek wehte, fühlte sich Ivy rastlos. Ihre Gedanken kreisten um Lucas um gestern, und die Worte, die er mit einer solchen Selbstverständlichkeit ausgesprochen hatte: „Wenn du jemanden küssen wolltest, hättest du auch mich einfach bitten können." Sie hätte ihn einfach bitten können. Einfach so. Nachdem sie sich drei Jahre lang vor seinem Hass verborgen hatte. 

Der Kuss, den sie miteinander geteilt hatten, war so viel mehr gewesen als eine einfache Berührung – er hatte etwas in ihr entfacht, etwas altes, das sie seit Jahren tief in sich vergraben hatte. Sie schüttelte den Kopf, versuchte sich wieder auf das Hexengrimoire zu konzentrieren, das sie seit Heute morgen verzweifelt versuchte zu beenden, doch ihre Gedanken schienen in einem dichten Nebel gefangen zu sein, der sie immer wieder zu diesem Moment zurückführte.

Sie dachte an die Wärme seiner Lippen, die Intensität seiner Nähe. Es war, als hätte dieser Kuss eine Tür geöffnet, die sie nicht wieder schließen konnte.

Ivy war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie Boris den Raum betreten hatte. Ihr wurde dies erst bewußt, als eine Hand einen aromatisch riechendend Minz-Tee vor sie stellte. Ivy blickte auf und lächelte schwach. Doch er lächelte nicht zurück, wie er es sonst tat. Das rüttelte sie etwas auf. 

„Haben Sie etwas auf dem Herzen?", fragte Ivy vorsichtig.

Sie bemerkte, wie er seine Worte in Gedanken abwägte. Wie er abwägte ob er das wirklich sagen sollte. "Ich möchte mich für meinen Sohn entschuldigen, Miss."

"Entschuldigen? Aber wieso..." Ivy hielt inne. Ach, ja... das... Kaydens Kuss. Den hatte sie vollkommen verdrängt, nachdem sich ihr Alpha völlig und ausschließlich in ihrem Gehirn ausgebreitet hatte. Er hatte Boris wohl davon erzählt. "Oh...", sagte sie, "Sie müssen Sich nicht entschuldigen, Boris. Kayden ist nur seinen Gefühlen gefolgt."

"Die Gefühle waren unangemessen gegenüber der Gefährtin unseres Alphas. Und dies hätte fatale Folgen für ihn gehabt.", sagte er mit einer Stimme, die sowohl Dankbarkeit als auch Erleichterung ausstrahlte. "Danke, dass sie ihn gerettet haben, nachdem Alpha Lucas Kayden unterbrochen hatte."

Ivy runzelte die Stirn. „Gerettet?"

„Er hat mir erzählt, dass Sie... die Schuld auf sich genommen haben." Boris hielt inne, als kämpfte er mit den richtigen Worten. Es war ihm sichtlich unangenehm. "Hätten Sie dies nicht getan, hätte Alpha Lucas meinen Sohn herausfordern müssen, und das wäre sein Todesurteil gewesen. Er hätte diesen Kampf nicht überlebt."

„Oh... das war nichts, Boris..." sagte sie, ihre Stimme etwas unsicher.

"Ich muss widersprechen, Miss. Es zeigt eine gewisse Größe, sich für jemanden zu opfern, den man kaum kennt, besonders wenn dieser jemand dazu beiträgt, dass Sie in diesem Anwesen gefangen gehalten werden." Boris sah Ivy mit einem Ausdruck von Respekt an. "Ihr Handeln hat offenbart, dass Sie das Herz und die Stärke einer wahren Luna haben, auch wenn das Rudel es noch nicht erkennt."

Sie errötete kurz. "Das ist zuviel des Ruhms, Boris. Kayden hat mich immer respektvoll behandelt. Ich wollte nicht, dass ihm etwas zustößt. Lucas geht es nichts an, was Kayden und ich haben oder nicht haben. Wir befinden uns in keinerlei Beziehung zu einander."

"Das sehe ich anders, Miss.", sagte er und verließ den Raum, "Jeder andere Wolf, geschweige denn Alpha, hätte Kayden in dem Augenblick gerissen, in dem er die Gefährtin eines anderen falsch berührt hätte. Ich weiß, dass Alpha Lucas kein grausamer Mensch ist. Ich denke, er hat Kayden genauso wie Sie gerettet, indem er Ihnen den Köder ausgeworfen hatte, den Sie nur nehmen mussten. Aber er hätte es nicht müssen."

Boris' Worte hallten in ihr nach, und sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob Lucas nicht in Wirklichkeit - wie Boris andeutete - bewußt die Schuld auf sie gezogen hatte, um Kayden zu schützen.


Forbidden Desire: Alpha's GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt