Kapitel #59

6.4K 231 24
                                    

"Komm ich bringe dich nach Hause", murmelte Justin schließlich entschieden und nickte mit dem Kopf in Richtung seines Motorrads, das etwas weiter rechts von uns auf einem freien Parkplatz stand.
"Was?", entfuhr es mir, bevor ich es zurückhalten konnte. Unter 'von der Schule abholen' hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher gewesen, dass wir danach etwas zusammen unternehmen würden, doch Justin schien dies anders zu sehen.

Ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen ging er einfach los und ließ mich etwas perplex zurück. Ich konnte an seinem Rücken die Anspannung ausmachen, die sich durch jeden Muskel seines Körpers zog, doch die in mir war viel schlimmer. Nicht nur, dass mein Stiefbruder vermisst wurde, nein Justin benahm sich auch noch merkwürdig.

"Nimms ihm nicht zu übel. Irgendwann wird er dir das erklären; es ist wirklich wichtig", flüsterte Ryan neben mir und warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu, das seinen Sinn deutlich verfehlte. Entnervt warf ich einen Blick auf den Boden und versuchte mich selbst hzu beruhigen. Mal wieder lief alles anders ab, als ich es wollte; das konnte auf Dauer wirklich nervig sein.

"Glückwunsch übrigens. Hätte nicht gedacht, dass du Justin nun doch noch umstimmen könntest", lachte Ryan erneut leise auf. "Aber wenn du nicht darauf aus bist, mit mir zu fahren, solltest du langsam zu ihm gehen." Mit einem Kopfnicken deutete er auf Justin, der bereits gute 7 Meter von uns entfernt auf seinem Motorrad saß und ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad tippte.

Ich nickte ihm noch zustimmend zu, ehe ich mich auf den Weg begab. Ohne ein Wort zu sagen ließ ich mich hinter ihm nieder und durchlöcherte seinen Rücken mit bösen Blicken, die er nicht mal zu bemerken schien. Ich hasste es, wenn man mir etwas verschwieg. Ich war seine Freundin nicht Jaxon, er konnte mir nicht einfach wichtige Dinge aus seinem Leben verschweigen und denken dass es ok sei, nur weil er mich damit beschützen wollte.

Emotionslos legte ich meine Arme um seine Hüfte und wartete darauf, dass er den Motor startete, was keine Sekunde dauerte. Mit trauriger Miene legte ich meinen Kopf auf seinem Rücken ab und starte gegen den nächst besten Baum, der sich sicherlich genauso trostlos fühlte wie ich.

Ich vertraute Justin, dass er alles ernst meinte; ich tat meinen Teil für diese Beziehung, aber Vertrauen muss auf Gegenseitigkeit liegen. Doch wie sehr vertraute er mir schon, wenn er mir nicht einmal Sachen sagen wollte, die nichts mit ihm selber zu tun hatten? Es hatte etwas mit Shawn zutun, meinem Freund, meinem 'Bruder' und Justin verschwieg es mir; weigerte sich ganz offensichtlich mir Informationen zu geben, die ich dringend brauchte, um das Puzzle in meinem Kopf zu lösen.

Immer noch tat Justin nichts. Er saß einfach nur da, jeden Muskeln seines Körpers angespannt und atmete flach ein und aus. Verzweifelt fuhr er sich mit einer Hand durch die blonden Haare und verwuschelte seine sonst so perfekte Mähne.
"Ich kann es dir nicht sagen, Charlie!", flüsterte er halb stark, was genauso wenig zu ihm passte wie seine verwuschelt Frisur. "Du verstehst das jetzt nicht, aber es würde dich in unglaubliche Gefahr bringen." Nur zu gerne würde ich ihm dies glauben, doch diese ganze Beziehung stellte eine Gefahr für mich da, sogar er tat dies, doch er hatte dieses Risiko eingehen wollen, oder nicht?

"Guck nicht so", fluchte er leise und allmöglich wirklich verzweifelt, da ich ihm nicht antwortete. Unterdrückt stöhnte ich leise auf, was Justin hörte, obwohl er dies nicht sollte, ehe ich meinen Kopf wieder anhob und in dem Rückspiehel seinen Blick suchte.
"Ist inordnung", log ich mit einem schwachen Lächeln in seine Richtung, das er nicht mal ansatzweise eriwiderte. Stattdessen schüttelte er kaum merklich seinen Kopf und legte er Hand auf mein Bein, das sich direkt neben seiner Hüfte befand.
"Nein ist es nicht." So gut es ging drehte er sich auf der Maschine zu mir um, um seine braunen Augen sich in die Meine Heften zu lassen. "Irgendwann kann ich dir das erklären, aber lass mich erst selber rausfinden, wie tief Shawn in der Scheide steckt!" (Ja, beim Überarbeiten ist es mir jetzt auch mal aufgefallen, aber da es schon so viele Kommentare dazu gibt lass ch es jetzt trotzdem drin:D) Seine Stimme klang so ungewöhnlich weich. Der Gedanke, dass nur ich ihn so weich werden lassen konnte, wärmte mein Herz und verdrängte das ungute Gefühl in meinem Bauch. Ein wenig überzeugter lächelte ich ihn schließlich an, was Justin asl gutes Zeichen aufzufassen schien. Zufrieden drehte er sich wieder um und ließ mit einem kleinen Schlüsseldreher den Motor anspringen. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich noch nach Ryan, ehe er den Fuß vom Boden hob und die Maschine losfahren ließ.

Ich schmiegte meinen Körper so nah es ging an Justins und atmete seinen unbezahlbaren Duft ein, der mich direkt im Herzen traf. Die ganze Fahrt über regte ich mich keinen Zentimeter und genoss es einfach so bei ihm zu sein. Ich dachte sogar darüber nach, mich zurückzulehnen um den kühlenden Wind über meinen Körper wehen zu lassen, doch ich wollte Justin um keinen Preis wieder loslassen, wenn ich ihn schonmal öffnetlich umarmen konnte.

Irgendwann lehnte Justin sich so stark in eine Kurve, dass ich leise aufquiekte. Als er dies bemerkt vibrierte sein Körper leicht unter mir und ich sah durch den Seitenspiegel, wie er breit grinste. Wie viel würde ich darauf wetten, dass er diese Kurve extra so stark genommen hatte, nur um mich zu provozieren?

Durch den Spiegel blickte ich ihn weiterhin an. Seine Gesichtszüge schienen perfekt aufeinander abgestimmt zu sein und nicht eine Macke war in ihnen aufzufinden, doch mit einem Mal änderte sich sein Gesicht von leicht grinsend zu wütend, angespannt, was mir den Anblick verdarb.

Verwirrt sah ich mich um und versuchte den Auslöser dafür aufzufinden. Wir waren inzwischen in meiner Straße angekommen und gute 20 Meter vor unserem Haus zum Stehen gekommen, das gerade so wütend von Justin angefunkelte wurde. Mit einem Mal bremste er die Maschine und ein lautes Quieken war zu hören, was mich ebenfalls zusammenzucken ließ.

"Justin?", fragte ich besorgt. Immer noch sah er zu meinem Haus hinüber und jede Muskelfaser seines Körpers zitterte vor Wut. Verwirrt sah ich mich zu Ryan um, der die ganze Fahrt über hinter uns hergefahren war und nun, genau wie Justin, hasserfüllt auf mein Haus starrte.

Vorsichtig richtete ich mich etwas auf und versuchte über Justin Kopf hinweg einen Blick auf das, was von den beiden so wütend angestarrt wurde, zu erhaschen und tatsächlich erkannte ich es sofort. In meinem Vorgarten parkte wieder dieses Auto mit mattschwarzen Lack, das neulich Nacht schon Shawn abgeholt hatte und dessen Fahrer so widerlich aussah.

"Justin, wem gehört dieses Auto?", stellte ich nun endlich diese eine Frage, die mich seit mehreren Tagen beschäftigte. Imme Rich war Justins Körper merkwürdig angespannt und auch seine Stimme zitterte vor Wut.
"War er schon einmal hier?", hauchte er anstatt einer Antwort leise zurück. Dass er seine Stimme so sehr unterdrückte passte mir gar nichts; es hieß nur, dass selbst er sich Gedanken um das Folgende machte.
"Er hat Shawn die Woche Abends abgeholt. Am nächsten Tag war er... Er hatte ein paar Schrammen und ein blaues Auge", erklärte ich ihm, da ich Aufrichtigkeit in diesem Moment imme nroch für die beste Lösung hielt.

"Du wirst vor diesem Kerl niemals erwähnen, dass du meine Freundin bist, klar? Er darf das unter keinem Umstand wissen!" Durch den Rückspiegel hinweg warf Justin mir einen eindringlichen Blick zu, den ich nur schwer nickend erwiderte.

Langsam begann mein Gehirn alles zusammen zu zählen und sich ein allmählich entstehendes Bild von der Sache zu machen. Diese Person, mit der Shawn da Zeit verbrachte, war Enrico. Das brachte mich zwar nicht weiter, was die Frage über Enrico anging, doch es gab mir ein Bild zu einem Namen und das Wissen, dass Shawn wirklich in Schwierigkeiten steckte.

"Steig hier ab und gehe ganz normal nach Hause. Wenn Shawn ihm in irgendeiner Weise etwas von mir und dir gesagt hat, rennst du los. Gehe irgendwo unter Leute und Sorge dafür, dass viele Zeugen in deiner Nähe sind. Die Innenstadt oderso.", drängte Justin mich auffordernd, was die antik noch mehr in mir aufsteigen ließ.

Ich starrte ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an. Mein Mund war total ausgetrocknet und ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, das sich bei Justins bestehender Miene nur noch verstärkte.
Mit zitternden Gliedern stieg ich von seiner Maschine ab und blickte auf den Weg der vor mir lag, ehe ich mich noch ein letztes Mal zu Justin umdrehte, wodurch ich wieder in seine Reichweite kam. Mit einer schnellen Bewegung hatte Justin mich beim Handgelenk gepackt und zog mich näher zu sich heran, um mir noch seine letzten Worte zuzusprechen.
"Ich komme so schnell ich kann zu dir. Lass deine Balkontür offen", grinste er mich verführerisch an, ehe er seine Lippen auf meine legte. Es war kein richtiger Kuss, dafür war es zu kurz, doch es ließ dennoch meine gesamte Haut erzittern.
Sanft ließ er mich wider los und ich stolperte leicht benebelt los; Hinein ins Ungewisse.

frightening, completedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt