Kapitel #53

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Eine ganze Weile noch saß ich reglos da und sah ins Leere vor mir. Immer noch spürte ich Justins Hände auf meiner Haut und seiner Lippen auf den Meinen, doch das Gefühl in mir, das ich bei seinen Berührungen hatte, war ersetzt worden; ersetzt durch Leere, Schmerz und Trauer.

Mit zitternden Knien stand ich schließlich auf und lief ohne jegliche Lust dazu los. Weitere Tränen rannten meine Wangen hinunter, doch ich ignorierte sie; ignorierte alles um mich herum. Ich wollte nicht länger weinen. Schon gar nicht wegen Justin, doch ich kriegte mich einfach nicht in den Griff.

Ganz von alleine trugen meine Beine mich Richtung Heimat, allerdings zu meiner wirklichen Heimat, nicht zu dem Haus, in dem mein Bett stand. Ich wusste nicht was ich erwartete dort anzutreffen, doch ich lief zielstrebig auf das Haus zu, das mir schon immer Schutz geboten hatte.

Die Sonne strahlte fröhlich auf meine Haut und wärmte mich an den Stellen, wo Justins Finger einsame Kälte hinterlassen hatten. Als das Haus endlich vor mir in den Himmel ragte, erloschen die Tränen etwas, doch ganz heilen konnte der Anblick mich nicht. Dennoch war es schön wieder hier zu sein und erst jetzt bemerkte ich, wie sehr ich es wirklich vermisst hatte.

Unbemerkt zwängte ich mich durch das kleine Gebüsch vor unserem Garten, möglichst darauf bedacht, mir mit den Dornen nicht meine Klamotten kaputtzumachen, und verschuf mir somit eindrang in unser Grundstück. Auf der anderen Seite angekommen, vergewissert ich mich, dass keiner der Nachbarn mich gesehen hatte. Natürlich kannten sie mich alle noch, aber aus weiterer Entfernung könnte man mich auch für einen Einbrecher halten, was ich rein theoretisch ja auch war.

Vorsichtig lief ich auf den kleinen Balkon vor unserem Wohnzimmer zu. Der kalte Raum dahinter wirkte merkwürdig einladend, was ich eigentlich so empfinden sollte; es war gerade zu lächerlich, wie sehr ich mich danach sehnte, wieder in diesen Räumen zu sitzen, doch genau dies war der Fall. Schnell zog ich mir eine Haarspange aus den Haaren und machte mich an dem kleinen Schloss zu schaffen, das die Tnr zum Garten versperrte. Wahrscheinlich wäre es für Ryan noch einfacher zu knacken gewesen, als das der Familie Hail, doch ich hatte so meine Probleme damit.

Ryan, ich hatte seit Montag Nacht nicht mehr mit ihm geredet. Immer noch fragte ich mich, ob er Teil Justins Spiel war oder wirklich gedacht hatte, was er mir mitteilte. Ich könnte mir einfach nicht vorstellen, dass er so ein kalten Herz wie Justin besaß und dies durchziehen würde.

Mit einem leisen Knacken sprang das Schloss endlich auf und erschuf mir somit Eintritt in diesen Ort, an dem noch alles in Ordnung war. Wie sehr ich mir doch wünschte, ich könnt die Zeit zurückdrehen. Hastig lief ich in die kalte Wohnung hinein und wie automatisch die Treppen hinunter, die zu meinem Reich führten. Es war fast schon etwas gruselig, sich so alleine in einem leerstehenden Haus zu befinden; man konnte jede Bewegung in den Dielen hören und dein Atem wird lautstarks von den Wänden wiedergegeben, was sich ziemlich gruselig anhörte.

Leise öffnete ich meine Zimmertür und sah zu, wie eine Ratte vor mir weg zum Fenster rannte. Langsam trat ich in den Raum ein und ließ mich gegen eine Wand gleiten, die sich gerade einbog. Von dort aus starrte ich gegen die anderen leeren Wände, wo vor ein paar Wochen noch Fotos von mir, Scarlett, Maria und Sophia, und ein Poster von der Band 'One Direction' hangen. Wie so oft in den letzten Wochen, wünschte ich mir, ich konnte die Zeit zurückdrehen, hier wieder frieldich leben, zusammen mit einem cleanen Sebastian und einer alleinstehenden Mutter, mit der ich halt meine streiterein hatte, zu Zeiten, wo Jungs noch nicht relevant waren und der Name Justin Bieber komplett fremd.

Die Kraft, die ich den Weg über angesammelt hatte verschwand und ich ließ schließich zu, dass die nächsten Tränen über meine Wangen liefen. Ich heulte mir den ganzen Schmerz aus der Seele und ließ mich kraftlos zu Boden gleiten, wo ich meine Beine entschlossen an meine Brust zog. Leicht wippte ich hin und her, während ich meinen Tränen weiterhin Freienlauf gab. Justin hatte genau die richtige Stelle getroffen, um mich zu verletzen, und nicht nur das; er hatte mich gebrochen.

Ein letztes Mal und dann nie wieder, das schwor ich mir.

Während ich da so saß und in Selbstmitleid ertrank, kamen alte Errinerungen hoch. Errinerungen an meinen Vater, wie er mich, als ich noch ganz klein war, auf seine Schultern genommen hatte und durch die ganze Welt getragen hat. Als er mir das erste Mal gesagt hatte, ich wäre zu groß dafür geworden, habe ich wahrscheinlich noch kläglicher geweint als jetzt. Seine Schultern hatten für mich immer das Paradies dargestellt; an keinem Ort hatte ich mich sicherer gefühlt.
Ich vermisste ihn so sehr. Wieso musste Drogen in meiner Familie auch so eine große Rolle spielen?
Alle männlichen Mitglieder sind, oder waren, abhängig und die Tochter verliebt sich in einen Dealer. Klasse gemacht!

Ich wusste nicht wieso, doch in diesem Moment musste ich an Sebastians Worte bei unserem Abschied zurückdenken: Diesem Kerl kannst du nicht trauen...
Er hatte recht behalten. Justin hatte mich die ganze Zeit über nur belogen. Bei jedem Wort, bei jeder Tat, nur eins hatte er mir nie vorgelogen; seine Liebe, die hatte er ganz aus dem Spiel rausgelassen. Er hatte mir nie gesagt, er würde mich lieben. Das sprach fast schon für Justin, auch wenn es in diesem Moment schwer war dies zuzugeben.

Nach einer Weile beschloss ich wieder zu gehen. Der Boden unter mir war eiskalt und die Sonne ging langsam unter, was das ganze noch gruseliger machte.

Etwas zitternd erhob ich mich und streckte meine Knochen durch. Ein leises Knacken war zu hören und der Schmerz, deren sich dort angestaut hatte, verschwand augenblicklich aus meinem Rücken. Mit einem letzten, unsicheren Blick durch den Raum rannte ich los. Ich war so verängstigt, dass ich immer weiter rannte und erst Halt machte, als ich direkt vor der Haustür der Familie Hail stand. Mit weiterhin zitternden Händen kramte ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche und gewährte mir selbst Eintritt ins Sichere. Immer noch hatte ich dieses ungute Gefühl beobachtet zu werden, das mich schon in meinem alten Haus aufgefressen hatte. Es kam einfach aus dem Nichts und ließ mich nicht mehr los.

Schwer atmend lief ich die Treppen hoch zu dem Stockwerk der Schlafräume. Als ich an dem Zimmer von meinem Bruder vorbeikam, musste ich schwer schlucken. Seine Studium war abgebrochen worden, alles wofür er gearbeitet hatte, alles wofür Mum so viel Geld ausgegeben hatte, alles wofür ich meine Zukunft anders gestaltet hatte, war einfach weg. Es war alles umsonst gewesen.

Leise huschte ich zu meinem eigenen Zimmer und öffnet die Tür, wodurch mir ein kalter Luftzug entgegen kam, der meine Haut benetzte. Verwirrt sah ich mich im Raum um und mein Blick blieb an der Balkontür hängen, die Ryan nur wenige Tage zuvor aufgebrochen hatte. Sie stand erneut bis zum Anschlag offen und ließ die Luft pausenlos in mein Zimmer strömen, was auch die Kälte hervorgerufen hatte. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass ich sie so nicht hinterlassen hatte.

"Ryan?", flüsterte ich mit ängstlicher Stimme. Eine andere Erklärung gab es fnr mich in diesem Moment nicht. Ryan war schon einmal eingebrochen und wir musste noch reden; er musste einfach hier sein.
Doch ich bekam nicht wie erhofft eine Antwort aus schallendem Gelächter.

"Ryan?", fragte ich erneut, nur etwas lauter, konnte das Zittern in meiner Stimme aber nicht verhindern.

Wieder bekam ich keine Antwort.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde die Zimmertür hinter mir mit einem lauten Knallen ins Schloss geschmissen.

frightening, completedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt