Alles, was ich noch von dem Tag Justins Abschied wusste, wusste ich aus Shawns Erzählungen. Er hatte mich damals im Park eingesammelt und mich die ganzen Wochen, in den ich nicht aus meinem Bett gekrochen war, gepflegt. Ich hatte niemanden an mich herangelassen, hatte meine Freundinnen von mir weggestoßen, meine Mutter ignoriert und nicht einmal mein eigener Bruder hatte mir helfen können. Meine Welt war in sich zusammengebrochen und hatte nur einen elenden Haufen Asche übrig gelassen. Doch Shawn hatte mich nicht aufgegeben. Immer wieder war er zu mir ins Zimmer gekommen und hatte mich nach und nach wie ein wildes Tier gezähmt. Er hatte dafür gesorgt, dass ich etwas aß und schließlich, als ich ihn endlich gelassen hatte, hat er mir Gesellschaft geleistet und angefangen mich wieder aufzubauen.
Inzwischen war über ein Jahr vergangen und Shawn hatte sich zu meinem besten Freund entwickelt. Ohne ihn wäre ich jetzt Nichts und das wussten wir beide, doch er nutzte dies keinen Falls aus. Im Gegenteil; er war da total bescheiden und wiederholte immer wieder, wie gerne er es getan hatte. Doch es war nicht selbstverständlich gewesen. Meine Freundinnen hatten keine Chance gehabt und auch Shawn habe ich nicht gerade willkommen geheißen, doch er war als einziger da gewesen und hatte Tag für Tag die Lücken zwischen meinem Herzen geschlossen.
Im Gegensatz zu meiner Mum, die mir immer wieder gesagt hatte, wie sehr ich übertreiben würde, doch sie verstand das nicht. Justin war nicht nur meine erste Liebe gewesen, er war die Liebe gewesen. Ich konnte es spüren, konnte es daran erkennen, dass ich keinen Jungen mehr an mich ranlassen wollte und dass bis heute ein Teil von mir ihn noch immer liebte. Es war nicht relevant, was er getan hatte."Alles klar?", raunte Shawn mir von der Seite zu und musterte mich besorgt. Ich hasste es wenn er dies tat. Dann fühlte ich mich immer wie eine Zeitbombe von der er Angst hatte, sie könnte nun doch noch explodieren. Ich nickte ihm mit einem tiefen Lächeln zu und griff dann nach seiner Hand. Das war sowas wie eine Angewohnheit von uns geworden, es gab mir die nötige Kraft durchs Leben zu gehen. Manche würden es bei unserer Vergangenheit vielleicht als merkwürdig beschreiben, doch wir dachten gar nicht mehr daran. Shawn war inzwischen glücklich mit einem Mädchen, das hier studierte, zusammen und immer wenn wir darüber nachdachten, was früher zwischen uns war, mussten wir beide darüber lachen.
So gut es ging hatte ich mich das letzte Jahr doch noch auf die Schule konzentriert und heute trug ich tatsächlich endlich mein Abschlusszeugnis nach Hause. Ich hatte es geschafft noch einen akzeptablen Abschluss rauszuhauen, obwohl Justin mir meine Einser Noten für eine Zeit lang genommen hatte.
Jungs spielten in meinem Leben keine große Rolle mehr, was sich positiv auf die Schule ausgewirkt hatte. Ich konnte einfach kein Vertrauen mehr zu ihnen aufbauen und außer Shawn wollte ich sie auch nicht in meinem Leben haben.Mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen schritt ich neben Shawn durch die Innenstadt. Wir hatten beschlossen noch etwas zu unternehmen, als kleine Belohnung unserer gelungenen Tat des Abschluss'. So schlenderten wir Hand in Hand durch die Menschenmasse der Innenstadt und sahen uns um. Wie alles in unserem Leben taten wir es einfach planlos. Einfach machen und das Leben auf dich zu kommen lassen, so lautete mein neues Motto.
"Charlie? Lass uns von hier verschwinden!", raunte Shawn plötzlich und ich bemerkte sofort, wie angespannt seine Stimme klang. Verwirrt drehte ich mich zu ihm um und mussterte seine Lage. Hasserfüllt hatte er den Blick geradeaus geheftet und fixierte angestrengt etwas, das ich noch nicht hatte ausmachen können.
"Komm, ich kann sonst nicht garantieren, dass das hier gut ausgeht", spuckte er aggressiv hervor. Leicht verwirrt folgte ich schließlich seinem Blick nach vorne. Erst entdeckte ich rein gar nichts durch die Menschenmasse und wollte Shawn schon fragen, wovon er überhaupt sprach, doch dann sah ich ihn und wenn er hier war, war Justin es auch.Jaxon war Justin inzwischen richtig ähnlich. Nicht nur vom Aussehen, auch sein Style wirkte wie eine nicht ganz so bedrohliche Form von Justins. Er musste jetzt zwischen 7 und 8 Jahre alt sein, doch er hatte das Auftreten eines 14 Jährigen, wenn nicht gar älter. Gelassen die Hände in die Hosentaschen gesteckt und den Kopf leicht auf den Boden geneigt stand er da und musterte seine Schuhe. Doch mir war klar, dass Shawn nicht ihn anstarrte. Justin war auch hier; er war zurück. Der Schmerz, den ich so lange verdrängt hatte, breitete sich in meine Brust aus. Es tat immer noch so weh darüber nachzudenken, was er mir damals angetan hatte.
Ich atmete ein letztes Mal zögerlich durch, ehe ich Shawns Blick nun genauer verfolgte. Ein kleiner Spalt hatte sich in in der Mitte des Marktes gebildet und diente dazu Leute vorbeizulassen, die vorbei wollten, doch für mich hatte er einen anderen Zweck. Es bot die perfekte Sicht auf einen jungen Mann, inzwischen Mitte zwanzig. Seine Haare waren länger geworden und er hatte sie, wie Enrico damals, nach Hinten gegelt. Doch einen Unterschied gab es dabei, Enrico sah immer schleimisch und ungepflegt aus, während Justin immer noch verdammt heiß aussah. Eine Sonnenbrille verdeckte sein Gesicht etwas, was wahrscheinlich hauptsächlich zum Schutz diente. Die Polizei suchte immer noch im ganzen Land nach ihm und Ryan, was mehr als peinlich war, da sie keine Gewinne auszeichnen konnten. Mehrere besorgte Mütter hatten ihre Arbeit schon kritisiert und Beschwerde eingereicht, dass sie sich so nicht mehr wohlfühlen könnten, doch das machte den Polizisten die Arbeit auch nicht leichter.
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frightening, completed
FanfictionVon der ersten Sekunde an, hatte ich Angst vor ihm.