Kapitel 20

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In der Nacht kehren meine Schmerzen mit voller Wucht zurück. All das Adrenalin und die Glücksgefühle sind weg und ich bin wieder in der harten Realität angekommen.
Ich bin zwar total glücklich damit zu wissen, dass wir beide etwas füreinander empfinden und das ganze nicht nur meine Einbildung war, doch gleichzeitig ist das Fundament, auf welchem wir aufbauen könnten, instabil und brüchig. Es liegt jetzt an Jungkook, sich zu melden und ich habe Angst, dass dies nie geschehen wird.
Ich wälze mich nun seit einer Stunde im Bett umher. Ich seufze und stehe schließlich auf, um eine Schmerztablette einzunehmen, danach versuche ich es erneut und finde nach weiteren unzähligen Minuten endlich den Schlaf.

Am nächsten Tag fühle ich mich wie gerädert. Ich weis gar nicht, wie ich morgen wieder arbeiten soll. Ich weis überhaupt nicht, wie ich weitermachen soll. Ich habe absolut keine Energie und alleine der Gedanke, gute Laune vorzutäuschen und mich all den Menschen auszusetzen, überfordert mich. Ich will nicht, nein, ich kann das nicht mehr. Würde ich genauso denken, wenn die Nacht gestern anders verlaufen wäre und Jungkook an meiner Seite wäre? Vielleicht, aber ich glaube, ich würde mich nur selbst belügen und noch ein paar Tage weitermachen wie bisher. Aber auch dann würde ich irgendwann nicht mehr können.
Soll ich morgen zum Arzt? Die Alternative wäre weiterzumachen, solange, bis es auffällt oder ich schlimmstenfalls mitten im Kita-Betrieb einen Kreislaufkollaps bekomme. 
Ich raufe mir die Haare. Warum habe ich so Angst davor, zum Arzt zu gehen und quäle mich lieber ab.
Das Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinem inneren Konflikt. Jimin hat in unsere Gruppe geschrieben.

 Zwei Stunden später sitzen Jimin, Jieun und ich in einem Cafe. “Tae, du siehst blass aus, geht es dir nicht gut?” fragt mich Jieun und auch Jimin, der anfänglich nur so gestrahlt hat, sieht mich jetzt besorgt an. Ich versuche gar nicht erst ihnen etwas vor zu machen und sage: “Nein ehrlich gesagt nicht. Ich glaube nach gestern ist einfach sehr viel von mir abgefallen und ich spüre mich jetzt wieder mehr. Ich bin einfach kaputt.”
Trotzdem will ich von mir ablenken, denn mich interessiert brennend, was da nun gestern bei Jimin lief.
“Aber genug von mir, Jiminieee erzähl, was ging gestern noch so?”
Ich grinste ihn verschmitzt an und wackelte mit meinen Augenbrauen. Mein Ablenkungsmanöver scheint zu klappen und Jimin fängt breit an zu grinsen.
“Naja…”, sagt er, "es ging noch ziemlich heiß her und ich habe bei ihm übernachtet.”
"Wir haben auch Nummern ausgetauscht und wollen uns auf jeden fall noch öfter treffen.”
Jieun quiekte begeistert auf. Jimin sprach dann weiter: “Also er ist schon verdammt gut im Bett und zusätzlich noch attraktiv und lustig.”
“Du kommst ja richtig ins Schwärmen!”, sagte Jieun und grinste. “Ja..” erwiderte Jimin, “... und das alles nur dank dir Tae. Wer hätte gedacht, dass ich nach diesem Abend ne Freundschaft Plus am laufen habe. Aber egal jetzt, noch viel wichtiger ist, wie ist es mit dir und Jungkook noch weitergegangen?”
Jimin blickte mich jetzt fragend an und auch Jieun sah zu mir. 
“Naja…” begann ich zögerlich, “... er ist noch mit zu mir gekommen. Also eigentlich wollte er mich ja nur nach Hause bringen und irgendwie habe ich ihn gefragt, ob er noch mit rauf kommen möchte und ja, das tat er dann auch. Jedenfalls haben wir uns dann geküsst und meine Güte, der Kuss hat mich in andere Dimensionen befördert.” 
Ich verlor mich fast in meinen Erinnerungen und mir wurde warm ums Herz. Ich schüttelte kurz meinen Kopf, so als könne ich auch dadurch die Gedanken abschütteln und sprach dann weiter. 
"Es lief dann auch was zwischen uns. Jungkook war einfach so respektvoll und hat meine Grenzen respektiert. Es war wirklich unglaublich schön.”
Jimin und Jieun hören mir still zu, wahrscheinlich bemerken sie die leichte Traurigkeit in meiner Stimme, denn keiner der beiden sagt etwas, sondern sie warten, bis ich weiterrede.
“Jungkook sagte mir am Ende, dass er Zeit und Abstand braucht, dass es nicht an mir, sondern an ihm liege, aber auch, dass ich ihm wichtig bin. Er meinte, er meldet sich, wenn er so weit ist und dann ist er gegangen.”
Ich endete und wartete auf Reaktionen meiner Freunde. 
“Wow”, sagte Jimin, "Aber auf jeden Fall kannst du dir jetzt schonmal sicher sein, dass er dich wirklich mag.”
Ich zucke mit den Schultern.
“Ja schon, aber er war auch betrunken und was, wenn er für sich den Entschluss fasst, dass er doch besser ohne mich dran ist oder dann weniger Probleme hat?" "Taehyung..", Jimin greift nach meiner Hand und drückt diese, als er weiter spricht, "...Du malst dir wieder nur das Schlechte aus. Jungkook hat in seinem Leben ja auch schon so einiges erlebt und dass er das so offen mit dir kommuniziert hat, anstatt einfach abzuhauen, zeigt nur, wie wichtig du ihm bist. Und falls er sich wirklich nicht mehr bei dir meldet, dann hat er dich auch nicht verdient und auch du wirst darüber hinweg kommen. Aber da sind wir noch nicht. Gib ihm Zeit, das war gerade erst gestern.”
“Da geb ich Jimin recht”, äußert sich nun auch Jieun dazu, “Hat Jungkook eigentlich mit dir über seine Vergangenheit gesprochen?”
Ich bin etwas irritiert über Jieuns Frage, denn so gut und lange kennen wir uns ja auch noch nicht. Doch dann glaube ich weis ich worauf sie hinaus will.
“Stimmt! Seine Freunde sagten gestern, er hätte bereits eine Karriere als Idol hinter sich. Anhand seines Alters und dem Skandal, den es vor ein paar Jahren gab, habe ich auf "The Sinners" getippt. Wir haben dann allerdings das Thema gewechselt, weil Jungkook nicht darüber reden wollte.” 
“Du hast es wirklich nicht gewusst oder ihn erkannt?” sagte Jieun und kicherte.
“Naja, du warst halt noch nie ein großer Kpop-Fan."
Warte, heißt das, Jieun und vielleicht auch Jimin haben ihn damals erkannt? “Wusstest ihr beide es?” fragte ich also sogleich und beide nickten.
“Jieun hatte so eine Vermutung und hat es mir gesteckt. Aber was ist daran denn wichtig? Jetzt hast du es schließlich auch erfahren, aber das sollte ja eh keine Rolle spielen.”
Da haben sie recht. “Stimmt”, sagte ich also schließlich. Trotzdem müssen sie jetzt nochmal meine Erinnerungen auffrischen, über den Skandal, den es vor sieben Jahren mit der Gruppe gab. 
Als ich sie danach fragte, fingen sie gleich aufgeregt an zu erzählen. Anscheinend haben beide nochmal gegoogelt, so detailliert sie berichteten. Und langsam erinnere ich mich auch wieder etwas daran, was für ein Aufschrei damals in den Medien rumging.
“The Sinner” war damals 6 Jahre lang richtig erfolgreich. Doch dann gingen Gerüchte herum, dass es innerhalb der Gruppe ein Paar gibt. Die Gerüchte gingen ein paar Monate, bis ein Video in Umlauf kam, das zwei Gruppenmitglieder zeigte, wie sie sich küssten. Bei den zwei Mitgliedern handelte es sich um Kanwong und Jungkook. Doch obwohl Jungkook am ende die ganze schuld auf sich nahm und sagte, er habe Kanwong gegen seinen willen geküsst (Wonach es in dem Video aber definitiv nicht aussieht) und er die Gruppe im Anschluss sogar freiwillig verließ, konnten auch die anderen keine Erfolge mehr einbringen und die Gruppe ging in die Brüche.
“Der arme Jungkook”, sagte Jieun. “Er ist danach solange beim Militär gewesen, wahrscheinlich um all dem zu entfliehen”, fügte sie noch hinzu und ich muss an seine Worte von gestern denken.
“Jungkook hat mir gestern erzählt, dass er während des Militärs eine heimliche Beziehung hatte, diese wohl aber auch unschön geendet ist.”
Jetzt kann ich seine gestrigen Worte etwas besser nachvollziehen. Vielleicht hat er Angst davor, sich zu binden, aus Sorge, am Ende wieder verletzt zu werden. 

Die nächsten Tage sind schlimm. Ich kann immer schlechter laufen, weil mein Bein einfach so weh tut. Die Nächte wache ich oft schweißgebadet auf und ich schaffe kaum noch etwas zu essen. Am Donnerstag kann ich einfach nicht mehr und gehe zum Arzt. So sehr ich mich auch dagegen sträube, ich brauche eine Auszeit.
Beim Arzt schildere ich nur das Nötigste. Ich sage, ich habe sehr viel Stress, deswegen habe ich viel abgenommen und ich schaffe meine Arbeit nicht mehr. Der Arzt möchte mir Blut abnehmen, aber ich winke ab. Ich habe viel zu sehr Angst, dass man mir auf die Schliche kommen könnte. Ich will in keine Einrichtung und ich bin noch nicht bereit, Veränderung anzunehmen. Ich weis wie dumm diese Gedanken von mir sind, aber ich kann es einfach nicht. Manchmal wünsche ich mir einfach nicht mehr aufzuwachen. Dann hätte ich all meine Sorgen und Probleme nicht mehr.
Egal, vorerst habe ich eine Woche Auszeit und ich kann verlängern, wenn es mir nicht besser geht. Der Gedanke, erstmal zur Ruhe zu kommen und vielleicht wieder etwas zu kräften zu kommen, beruhigt mich etwas.
Doch anstatt dass es bergauf geht, geht es erstmal bergab mit mir. Meine ersten vier Tage verbringe ich fast nur im Bett, weil ich so müde und kaputt bin, Jieun und Jimin kommen fast jeden Tag vorbei und kochen für mich, damit ich überhaupt was esse. Doch dann wird es langsam wieder. Mir geht es nicht gerade besser, doch ich funktioniere wieder einigermaßen.

***

Mittlerweile sind 9 Tage vergangen, seit Jungkook und ich etwas miteinander hatten. Mein Herz schmerzt noch immer furchtbar doll bei dem Gedanken, dass er sich wahrscheinlich nicht mehr melden wird. Ich habe oft überlegt, ob ich ihn einfach schreiben soll, aber am Ende habe ich es doch gelassen. Seit gestern bin ich auch wieder arbeiten, auch wenn ich eigentlich gar nicht dazu in der Lage bin und mich dringend hätte weiter krank schreiben lassen müssen. Wenigstens lenkt mich die ganze Arbeit ein wenig vom grübeln ab.
Von weitem sehe ich schon meine Wohnung. Ich war mit Jieun spazieren und bin mittlerweile total durchgefroren. Es dämmert bereits und ich freue mich bereits auf einen warmen Tee und meine kuschelige Decke, in die ich mich gleich schön einmummeln kann.
Doch dann erkenne ich eine Person, die vor dem Eingang steht, einen Mann.
Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich muss sofort an Jungkook denken. Doch umso näher ich komme, merke ich, dass es nicht Jungkook ist, der dort steht.
Dann erstarre ich förmlich, als ich merke, dass diese Person Shiwon ist, mein Ex.





Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt