Kapitel 33

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Auch in den darauffolgenden Tagen versucht Taehyung weiterhin alles so gut es geht alleine zu schaffen. Obwohl ich ihm meine Hilfe angeboten und es ihm doch mittlerweile bewusst sein sollte, dass er sich bei mir komplett fallen lassen kann, merke ich, dass es ihm unangenehm ist. Und vor allem wenn es darum geht, ihm beim Waschen zu helfen, lehnt er es jedesmal ab. 
Nicht mal dann nimmt er Hilfe an, wenn ich höre, dass ihm etwas heruntergefallen ist und ich einfach nur rein kommen möchte, um es ihm aufzuheben. 
Einmal hat er sich notdürftig ein Handtuch übergeworfen, als ich trotzdem eintrat, weil er fast aus dem Rollstuhl gefallen ist.
Dass er sich so sehr für seinen Körper schämt, ist furchtbar und doch weis ich, dass das ein Teil seiner Erkrankung ist. Doch dass er mir scheinbar nicht genug Vertrauen entgegen bringt und Angst davor hat, ich wäre abgeschreckt oder so etwas in der Art, tut weh. 
Ich meine, ich kann mir sein Verhalten nur so erklären.
Damals als ich mit zu ihm nach Hause gegangen bin und wir uns näher gekommen sind, hat er mir sofort klar gemacht, dass er sich in seinem Körper nicht wohlfühlt und er sich vor mir nicht nackt zeigen will. Aber wir haben doch mittlerweile schon so viel gemeinsam erlebt.
Ich seufze, doch dann fällt mir auf einmal auf, dass gar keine Geräusche mehr aus dem Bad dringen und ich drehe mich zur Tür und rufe: “Tae?”
Ein leises Schniefen folgt und ich frage, ob ich rein kommen darf.
“Ja”, kommt es leise von ihm zurück und ich betrete das Bad.
Ich öffne die Tür und Taehyung sitzt etwas zusammengekauert in seinem Rollstuhl. In der Hand hält er seine Bürste und jetzt bemerke ich auch, dass diese voller Haare ist.
Auch in seiner freien Hand hält Taehyung ein Haarbüschel. 
“Hey”, sage ich und gehe langsam auf ihn zu und nehme ihn in die Arme.
“Das wächst doch wieder Tae”, sage ich und drücke ihn ganz fest.
Es ist keine Überraschung, dass seine Haare nun ausfallen und schon ab morgen geht seine neue Chemotherapie weiter. 
Die Operation liegt jetzt etwa zwei Wochen zurück und die Heilung verläuft ganz gut.
Ich löse mich von Taehyung und nehme ihm die Bürste aus der Hand. Ich umfasse sein Gesicht mit meinen Händen und sehe ihn an. 
“Wie ich bereits schon unzählige Male gesagt habe, Tae, dich kann nichts entstellen, du bist wunderschön.”
Ich streiche mit meinen Daumen über sein Gesicht und füge dann hinzu: "Vielleicht sollten deine Haare jetzt aber wirklich ab.”
Besonders die letzten drei Tage wurde sein Haarausfall immer schlimmer, doch Taehyung hat es bisher noch nicht zugelassen, sie ab zu rasieren. Jetzt jedoch nickt er leicht und ich hole meinen Rasierer. 
Während ich ihm dann die Haare rasiere, ist er still und legt sich eine Hand über sein Gesicht. 
Ich muss den Kloß, der sich bei seinem Anblick in mir bildet, herunterschlucken. Das er so sehr damit zu kämofen hat, hinterlässt auch in mir Spuren.
Nachdem ich fertig bin, drücke ich ihm einen Kuss auf seinen Kopf und befreie ihn von den restlichen Haaren. 
“Guck”, sage ich und deute zum Spiegel. Als sich dort unsere Blicke treffen, sage ich: "Wunscherschön wie immer.”
Doch Taehyung erwidert den Blick nur kurz. Tränen haben sich in seinen Augen gesammelt und es sieht aus, als kämpfe er dagegen an, nicht weinen zu müssen. 
“Na komm, ich bring dich in dein Bett, dann kann ich das hier grob sauber machen."
Ich bin erleichtert, dass es in genau diesem Moment an der Tür klopft und Jimin, gemeinsam mit Yoongi, eintritt. 
Diese Ablenkung braucht Taehyung jetzt.
Und tatsächlich tut es Tae unglaublich gut und die beiden schaffen es ihm sogar, hier und da ein Lachen zu entlocken. Ich mache mich unterdessen daran, die Haare zusammen zu fegen. 

Als ich fertig bin, setze ich mich auf das Sofa und beobachte die drei, von dort aus. Taehyung wirft hin und wieder einen besorgten Blick in meine Richtung, doch er sieht jedesmal schnell wieder weg, als sich unsere Blicke treffen.
Ich seufze innerlich. Ich habe irgendwie das Gefühl, als distanziere er sich von mir.
Oder besser gesagt, als baue er eine Mauer um sich, durch die ich es immer weniger schaffe, durchzudringen. 
Ich bin müde und ich würde so gerne einfach meinen Kopf wieder etwas frei bekommen. Einfach etwas Abstand zu allem und mich ausruhen.
Doch da Taehyung ab morgen wieder seine neue Chemo bekommt, würde es mir jetzt im Traum nicht einfallen zu gehen. Vielleicht danach mal für einen Tag, oder wenigstens für ein, zwei Stunden…
Ich schließe meine Augen. Ich hoffe, sein Körper muss nicht wieder mit solchen Nebenwirkungen wie beim letzten Mal kämpfen. Doch warum sollte es diesmal anders sein, denke ich. Ich mache mir wirklich Sorgen. Zudem isst er seit den letzten Tagen immer weniger. Er trägt auch weiterhin seine Magensonde, da er bisher kaum Gewicht zugelegt hat. Dass er trotz Therapie und allem solche Rückschritte macht, bereitet mir wirklich Sorgen. Ich weis zwar, dass es ein langwieriger Prozess ist und gerade einmal wenige Wochen vergangen sind, doch ich hatte so gehofft, dass, wenn sich sein körperlicher Zustand bessert, es auch seine Psyche tun wird.
Meine Augenlider fühlen sich so schwer an. Ich schnappe mir ein Kissen und lege meinen Kopf darauf ab. Ich bin wirklich zu müde, als dass ich jetzt noch meine Augen offen halten könnte und ein bisschen dösen schadet ja nicht.

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt