Kapitel 35

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Aufgeregt fahre ich auf den Parkplatz des Krankenhauses. Ich habe eben Bam noch weggebracht und bin nun nach fast drei Stunden endlich angekommen. Die fahrt hat doch etwas länger gedauert als gedacht und ich bin schier wahnsinnig geworden, als die Straßen sich gefüllt haben und es teilweise nur im Schritttempo voran ging.
Geduld ist nicht gerade meine Stärke und unter diesen Umständen erst recht nicht.
Schnellen Schrittes gehe ich jetzt in Richtung Krankenhaus und dann auf unsere Station.
Vor unserem Zimmer mache ich kurz halt und hole nochmal tief Luft.
Dann klopfe ich einmal und trete ein.
Ich suche mit meinen Blicken zunächst Taehyung und ich finde ihn dort, wo ich ihn vermutet habe. Er liegt, auf die Seite gerollt, im Bett. Seine Augen sind geöffnet, aber sie wirken leer und scheinen ins nichts zu starren. Jimin liegt an seiner Seite und hat einen Arm um ihn gelegt. Als er mich erblickt, setzt er sich auf und lächelt. Während ich zu beiden ans Bett gehe, steht Jimin auf und nimmt mich in den Arm. Ich bin etwas überrascht über diese Geste.
"Danke Jungkook", sagt Jimin jetzt an mich gewandt, "Ich hab allen Bescheid gegeben, ich lass euch dann jetzt wieder allein, wenn das in Ordnung ist?"
Er sieht müde aus, stelle ich fest.
"Danke, Jimin", antworte ich ihm und nicke.
Jimin wendet sich nochmal Taehyung zu und verabschiedet sich. Dieser hat mittlerweile auf meine Stimme reagiert und sieht zu mir. Kurz darauf richtet er seine Aufmerksamkeit aber nochmals zu Jimin, dann sieht er wieder zu mir.
Er sagt jedoch nichts.
Ich gehe langsam auf das Bett zu und setze mich darauf. Taehyungs Augen haben sich mit Tränen gefüllt und er sieht so unfassbar traurig aus, so als hätte er jeglichen Willen zu leben verloren.
Ich weis, dass ich diesen Ausdruck nicht mehr vergessen werde, so tief trifft er mich.
Ich streife meine Schuhe ab und lasse sie achtlos vor dem Bett liegen. Auch meine Jacke folgt und dann lege ich mich zu Tae ins Bett. Ich ziehe ihn zu mir heran und umschließe ihn fest in meine Arme.
Ich spüre ein Zittern, das von Taehyung ausgeht und auch seine Atmung wird zunehmend unregelmäßig. Dann durchbrechen die ersten Schluchzer die Stille und ich streiche ihm beruhigend über den Rücken.
"Schhh, alles ist gut", versuche ich ihn auch mit Worten ein wenig zu beruhigen.
Ich weiß nicht, woher diese plötzliche Ruhe in mir kommt.
Ich fühle mich gerade so gefestigt und all das Chaos, die Sorgen, meine Verletzten Gefühle sind weitergezogen und haben in mir wieder etwas mehr Stärke hinterlassen. So fühlt es sich gerade an, ich bin mir in diesem Moment gerade so sicher wie nie zuvor, dass ich Taehyung nicht verlieren werde, nicht heute, nicht morgen und auch nicht in den nächsten Monaten. Und wenn es das Schicksal gut mit uns meint, dann auch nicht in den nächsten Jahren.
"Ich liebe dich, Tae, ich liebe dich so sehr", durchbreche ich die Stille, die nur durch Taehyungs Schluchzen durchbrochen wird.
"Du musst mir nicht antworten, ich weis das du das auch tust und ich weis, dass du das, was du gestern gesagt hast, nicht so meintest."
Obwohl ich so ruhig rede und auch diesen tiefen inneren Frieden spüre, tut es trotzdem weh, Taehyung so verletzt zu erleben. Immer wieder schnappt er nach Luft und weint dann wieder stärker. Trotzdem rede ich jetzt weiter.
"Weißt du, ich bin in letzter Zeit oft an meine Grenzen gekommen, natürlich ist das alles auch belastend für mich. Dich damals so aufgefunden zu haben, dich leiden zu sehen..."
Ich mache eine kurze Pause, ehe ich weiter spreche.
"Aber weißt du, was das Schlimmste an allem ist? Das Schlimmste ist, dass du nicht erkennst, was für ein wundervoller Mensch du bist. Das du dir immer die Schuld an allem gibst und dass du denkst, mich vor dir beschützen zu müssen."
Ich drücke ihm einen Kuss auf seinen Kopf, mir ist gerade danach, dann rede ich weiter.
"Wenn du siehst, dass die Person, die dir auf der ganzen Welt am meisten bedeutet, sich so selbst sabotiert und sich auf jede erdenkliche Art selbst verletzt, dann ist das so schwer zu ertragen. Das tut mir weh, Taehyung. Dich trifft aber keinerlei Schuld. Es ist die Gesellschaft und bestimmte Menschen in deinem Leben, die dir das angetan haben und dich nun so von dir denken lassen. Du verletzt aber nicht mit Absicht, Tae, ich würde mir nur so sehr wünschen, dass du mehr Verständnis für dich aufbringst. Bitte..."
Meine Stimme bricht.
Ich schlucke und blinzel die Tränen weg, die sich jetzt doch wieder in meinen Augen sammeln.
Taehyung hat unterdessen seine Arme um meine Taille geschlungen und drückt seinen Kopf an meine Brust. Er weint noch immer, aber nicht mehr so stark.
Nach einem Moment der Stille haucht er leise und rau ein, "Danke, das tut mir alles so Leid", dann wird sein Körper wieder leicht durchgeschüttelt und er schluchzt erneut.
Irgendwann wird er ruhiger und ich rücke etwas von ihm ab, um ihn anzusehen.
Sein Mund ist leicht geöffnet und er atmet flach und schnell, mit seinen Händen umklammert er mein Shirt. Seine Augen hat er geschlossen, doch jetzt, da ich Platz zwischen uns geschaffen habe, öffnet er sie und sieht mich an.
Seine Finger lockern sich um den Stoff meines Shirts und auch seine Atmung wird ruhiger.
"Willst du dich ein wenig aufsetzen?", frage ich Tae, "dann bekommst du vielleicht besser Luft."
Er nickt und ich fahre sein Kopfteil des Bettes etwas nach oben. Dann verschwinde ich kurz im Bad und hole einen Waschlappen, den ich mit warmen Wasser angefeuchtet habe. Ich tupfe ihm damit über das Gesicht und Taehyung lässt es regungslos zu.
Danach setze ich mich neben ihn und lege einen Arm um ihn und ziehe ihn etwas zu mir ran, sodass er seinen Kopf auf meine Schulter sinken lässt.
"Ich bin gestern spontan ans Meer gefahren", fange ich jetzt an zu erzählen, "gemeinsam mit Bam, ich habe ihn abgeholt. Ich war also nicht alleine und es hat mir richtig gut getan, die Zeit mit ihm. Aber ich habe dich vermisst und mir Sorgen gemacht. Wenn du wieder aus dem Krankenhaus kannst, dann müssen wir unbedingt zu dritt ans Meer. Du, Bam und ich."
Ich lächel und in mir breitet sich ein wohliges Kribbeln aus, wenn ich daran denke. Diese Vorfreude auf die gemeinsame Zeit außerhalb der Klinik, wenn wir endlich anfangen können richtig zu leben.
"Ja", höre ich Taehyung neben mir flüstern und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er lächelt.
Er greift nach meiner Hand und verbindet unsere Finger miteinander.
"Ich liebe dich über alles", flüstert er und mein Herz macht tausend Glückssprünge.
"Ich dich auch", erwidere ich und platziere einen Kuss auf seine Hand.

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt