Kapitel 34

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In mir tobt ein Sturm der Gefühle und ich muss mich wirklich extrem konzentrieren, jetzt sicher durch den Verkehr zu kommen. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab und ich funktioniere auf Autopilot. 
Ich halte vor der Hundebetreuung, es ist gerade erst Mittag und Bam ist noch dort. Ich steige aus und gehe rein, um Bam abzuholen. 
Einen kurzen Moment überwiegt die Freude ihn wieder zu sehen und auch er freut sich und läuft wild hin und her. 

Wieder am Auto angekommen, öffne ich die Hintertür und lasse Bam einsteigen. Ich sichere ihn mit einem extra dafür vorgesehenen Gurt. Dann nehme ich ihn in die Arme und halte ihn einfach ein wenig. Bam winselt leicht. Wahrscheinlich spürt er, dass es mir nicht gut geht. Ich löse mich wieder von ihm und wische mir die Tränen weg. 
Ich atme tief ein und wieder aus und setze mich dann ans Steuer. Kurz tippe ich eine Nachricht an Namjoon, dass ich Bam abgeholt habe und ihn morgen wieder vorbei bringe. Ich drücke auf Senden, dann schalte ich mein Handy aus.
Ich fahre einfach nach Gefühl und das zieht mich gerade ans Meer. Ich möchte niemanden sehen und mit niemandem reden. Einfach alleine sein mit Bam.
Ich schiebe alles beiseite, auch was das für Konsequenzen mit sich bringen könnte und all die Sorgen, die sich meine Freunde machen könnten. Mir ist es gerade egal. Immerhin habe ich Namjoon geschrieben. Das muss reichen. 

Während der Autofahrt habe ich immer wieder das Gefühl, schlecht atmen zu können.
Meine Gefühle lasten so schwer auf meiner Brust, dass ich das Gefühl habe, es schnürt mir die Luft ab. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und fahre mit dem Auto auf einem Parkplatz, der ziemlich leer ist.
Ich steige aus und setze mich nach hinten zu Bam. Dann lasse ich alles raus und weine. Ich bin so dankbar, dass ich Bam habe, der mir in diesem Moment so viel Trost spendet. 

Als ich irgendwann meine Augen öffne, dämmert es draußen schon leicht. Ich bin eingeschlafen, denke ich und sofort stürzen die Erinnerungen auf mich ein und das beklemmende Gefühl macht sich wieder in mir breit. Doch das Weinen hat geholfen. Ich fühle mich trotz Schlaf einfach nur erschöpft, doch ich kann die ganze Situation jetzt besser einordnen und mit ihr besser umgehen. 
“Hey Bam, wir gehen gleich erstmal eine große Runde, was hältst du davon?"
Bam fängt daraufhin an, mit dem Schwanz zu wedeln und seine Ohren legen sich voller Erwartung etwas nach hinten. 
Ich lasse Bam trotzdem erst einmal nur kurz raus, damit er sein Geschäft erledigen kann und fahre dann weiter. Ich steuere zunächst einen Laden an und kaufe uns etwas zu essen und zu trinken. Dann fahren wir weiter, bis wir am Meer angekommen sind. 
Ich habe eine schöne Stelle entdeckt, die Menschenleer ist.
Die Sonne ist mittlerweile aber auch schon fast untergegangen und zu dieser Jahreszeit halten sich eh nicht mehr allzu viele Leute am Meer auf.
Ich hole Bam aus dem Auto und gebe ihm erst einmal etwas zu essen und zu trinken. Dann fange auch ich an etwas zu essen.

Im Anschluss gehen wir an den Strand. Bam läuft auf und ab und wirkt ziemlich glücklich.
Ich beobachte ihn lächelnd dabei, wie er einen Großen Stock hin und her trägt und hier und da ein Loch buddelt. 
Wie es Taehyung wohl gerade geht? Jetzt, wo sich meine Gefühle langsam beruhigen, kehrt die Sorge zurück. Immerhin hat er heute seine zweite Chemo bekommen. Aber was ist, wenn sich seine Gefühle vielleicht doch geändert haben und er mit seiner Aussage einfach nur klar machen wollte, dass ich gehen soll?
Nein. Ich schüttel meinen Kopf. 
Das sind meine Ängste, die da aus mir sprechen. Taehyung zeigt mir jeden Tag, dass er mich liebt, selbst wenn er abweisend ist und mich von sich hält, merke ich es.
Vielleicht wäre es für uns beide Sinnvoll, wenn ich mal mit in seine Therapiestunde komme und wir beide über unsere Beziehung reden. Ich behalte das im Hinterkopf und werde mal nachfragen.
Ich spüre wieder, wie meine Augen anfangen zu brennen. Ich versuche erst gar nicht meine Tränen aufzuhalten. Hier ist sowieso niemand, der sie sehen könnte.  
Die ganze Situation heute hat mir gezeigt, wie sehr ich belastet bin und dass ich mich in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt habe. 
Ich seufze. Ich sollte einfach nachsichtiger mit mir sein. Die letzte Zeit war alles andere als leicht und natürlich kommt man irgendwann an seine Grenzen, wenn man seine eigenen Gefühle immer nur nach hinten stellt oder sie versucht, weg zu drücken. 
Trotzdem habe ich irgendwie ein schlechtes Gewissen, so reagiert zu haben, auch wenn ich mir versuche zu sagen, dass es okay ist. Wie muss sich dann erst Taehyung fühlen. Ihm muss es richtig schlecht gehen, denke ich. Trotzdem will ich mir noch etwas Zeit für mich nehmen. Ich hoffe einfach, dass Jimin heute für ihn da war, oder vielleicht ist er ja auch heute bei ihm geblieben. Der Gedanke ist unglaublich beruhigend für mich. 
Dass Taehyung liebende Eltern und Freunde hat, entlastet mich und gibt mir unglaublich viel Sicherheit. Denn so sehr ich ihn auch liebe und für ihn da sein will, brauche ich auch, hin und wieder etwas Zeit für mich. Und diese Zeit kann ich nur genießen, wenn ich weis das Taehyung in dem Moment sicher ist und mit Menschen umgeben, die ihm gut tun.
Ich denke an den alten Jungkook von damals zurück, der zweimal unsterblich verliebt war und beide Beziehungen in die Brüche gegangen sind. 
Ich steckte damals so voller Selbstzweifel und habe die Schuld immer wieder bei mir gesucht. Ich weis gar nicht mehr, woraus ich all die Stärke und Willenskraft gezogen habe, immer weiter zu machen. Vermutlich einfach nur weil man keine Wahl hat, denn das Leben geht einfach weiter und nimmt keine Rücksicht darauf wie es einem geht.
Die Zeit war sehr schwer und doch habe ich sie überstanden. Und egal wie schlimm alles war, bin ich doch am Ende stärker daraus gegangen. Und außerdem habe ich meine Freunde kennengelernt. Ich habe Namjoon, Yoongi, Jin und Hoseok alle in der Zeit kennengelernt, in der ich noch ein Idol war. Alle Arbeiten ebenfalls in der Brache, aber hinter den Kulissen. Die Zeit war unglaublich schön und doch war sie auch mit die schwerste Zweit in meinem Leben. Ich hatte keine Freunde mehr, da ich all meine Kontakte zu meinen alten Freunden verlor. Ich glaube einige wollten mich auch nicht wieder sehen.
Namjoon habe ich als erstes kennen gelernt. Er war wie ein großer Bruder für mich und mit den Jahren konnte ich mich ihm immer mehr anvertrauen. Durch ihn habe ich auch die anderen drei kennengelernt. Sie waren auch die ersten, denen ich von meiner geheimen Beziehung innerhalb der Gruppe erzählte und sie waren diejenigen die mich aufgefangen und unterstützt haben, als alles in die Brüche ging.
Als ich zum Militär bin, ist Namjoon mit mir gegangen und wir haben gebeimsam unsere Wehrpflicht absolviert. Nur das ich danach noch geblieben bin und meine neue vermeintliche Liebe kennengelernt habe. Doch auch diese Krise habe ich überwunden, auch wenn es sich zu diesem Zeitpunkt so angefühlt hat, als werde ich es nie wieder aus diesem tiefen Loch heraus schaffen.
Meine Freunde haben mir so viel Kraft und Unterstützung gegeben und Dank ihnen habe ich es immer wieder geschafft, aufzustehen.
Aber wie viele Jahre habe ich gebraucht und Taehyung steht doch gerade erst am Anfang. Er ist gerade an einem Punkt im Leben, an dem er so viel aushalten muss. Das würde jeden Menschen aus der Bahn werfen. Seine Seele leidet, er hat leider noch nicht erkannt, was für ein wundervoller Mensch er ist, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass auch er eines Tages an diesem Punkt ankommen wird. 
Ich werde alles daran setzen, ihn immer und immer wieder daran zu erinnern. 
Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich diesen Punkt im Leben erreicht habe. Das was doch eigentlich selbstverständlich sein sollte.
Sich selbst zu lieben und nichts auf die Meinung anderer zu geben, sofern sie einem wirklich schaden wollen und am Ende doch nur aus eigenem Selbsthass und Frust handeln.
Taehyung, ich werde für dich da sein. Solange du mich brauchst und mich bei dir haben willst, werde ich nicht gehen. 
Ich lächle ein wenig. 
Mir geht es schon viel besser und die Ängste, Taehyung endgültig verloren zu haben, schwinden wieder.
Nein, ich geb dich nicht auf und lasse es nicht zu, dass all deine Selbstzweifel am Ende gewinnen und es schaffen, uns auseinanderzubringen.
Trotzdem möchte ich heute noch nicht zurückkehren. Ich habe Kopfschmerzen und ich brauche noch etwas Ruhe. Ich genieße den späten Abend am Strand gerade zu sehr und merke, wie ich das gebraucht habe. Das Meeresrauschen im Hintergrund. Der Sternenhimmel über mir. Diese friedliche Ruhe. 
Doch plötzlich fallen Tropfen auf mein Gesicht und ich bin kurzzeitig irritiert, Regen? 
Ich öffne meine Augen und rucke nach oben: 
“Ihh Bam!”, rufe ich und fange dann an zu lachen.
“Bam du bist ja klitschnass, wehe, du schüttelst dich jetzt!” Sage ich drohend, doch ich hätte es besser gelassen, denn als wäre es eine Aufforderung, tut er es genau jetzt.
Lachend springe ich auf und Bam läuft mir sogleich hinterher. Ich genieße die kalte Luft die sich um mich legt, als ich einfach nur laufe. Neben mir Bam's Hecheln und im Hintergrund das rauschen des Meeres. Ich war schon lange nicht mehr am Meer. Überhaupt habe ich in den letzten Jahren irgentwie nicht mehr richtig gelebt. Meine Beine verlangsamen sich und ich bleibe stehen. Ich blicke zum Meer, welches jetzt durch den Mond in der Dunkelheit glitzert.
"Bam?", sage ich und sehe ihn an. Bam legt seinen Kopf leicht schief und seine Ohren gehen Aufmerksam nach vorne.
"Bald werden wir eine richtige Familie und dann bin ich auch wieder mehr für dich da. Wie währe es, wir könnten dieses Jahr schon mit Weihnachten anfangen und gemeinsam Feiern, was hälst du davon?"
Bam richtet seinen Oberkörper nach vorne, dabei wedelt er mit seinen Schwanz.
Ich lächel, "Na los", sage ich dann an Bam gewand und mache mit meinem Arm eine Bewegung die Bam dazu bringt wieder aufzuspringen und weiter zu laufen.

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt