Kapitel 38

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Ich habe mich bereits heute Morgen um 6 Uhr nach Taehyung erkundigt und nun bin ich auf dem Weg zu ihm. Er musste bereits in der Nacht intubiert werden. Die Entzündung hat sich ziemlich schnell auf die Lunge gelegt und eine Beatmung mit der Maske reicht nicht mehr aus. Bevor ich endgültig meine Nerven verlieren konnte, hat mich die Pflegekraft zur Seite gezogen und mir gesagt, dass Tae mit Antibiotika behandelt wird und es ein wenig dauert, bis es wieder bergauf geht und sein Gesundheitszustand sich verbessern wird. Aber er sei auf dem richtigen Weg. 
Ich wünschte, mich würde ihre Aussage erleichtern, doch ich bin skeptisch und es fällt mir schwer, den Worten der Pfleger und Ärzte zu vertrauen. 
Bei Taehyung im Zimmer angekommen, setze ich mich zu ihm ans Bett. Mir dreht sich mein Magen um bei seinem Anblick und bei den Geräuschen der Maschine, die Taehyung beatmet. 
“Hey Taehyungie, ich bin jetzt da”, sage ich und streiche mit meiner Hand über seinen Kopf. 
Ich bin überrascht, dass seine Hand leicht zuckt, nachdem ich ihn berührt habe. Sofort umschließe ich sie und hauche einen Kuss auf seine Schläfe. 
Ich lege meinen Kopf nah an seinem ab.
“Ich mache mir ganz dolle Sorgen um dich, weißt du?” Ich lasse meine Tränen jetzt freien Lauf.
“Ich wünschte so sehr, dass ich dir das alles abnehmen könnte.”
Ich wische mir ein paar Tränen aus meinem Gesicht und sofort macht sich ein Brennen auf meinem Handrücken breit. 
Meine Hände sehen echt übel aus, das musste ich heute Morgen mit Schrecken feststellen, nachdem ich den Verband entfernt habe. Mir war gar nicht bewusst, wie doll ich zugeschlagen hatte. Und an einigen Stellen, die jetzt feucht durch meine Tränen sind, fängt es wieder leicht an zu bluten. Egal, denke ich, das habe ich jetzt eben davon.
Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder Taehyung zu. 
“Ich liebe dich so sehr, Tae” spreche ich leise zu ihm und ich spüre, wie sich seine Hand in meiner, wieder leicht bewegt. 
“ich weis, dass du mich auch liebst. Und ich verspreche dir, das alles wieder gut wird, okay? Du musst einfach nur gesund werden und dann wird wieder alles gut.”
Viel Regung kam nicht mehr von Tae, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Anwesenheit und vielleicht auch meine Worte mitbekommen hat.

Ich bin die ganze Zeit bei ihm, hin und wieder kommen Pfleger rein. Sie mustern diesmal auch mich besorgt und ich werde zweimal gefragt, ob alles in Ordnung ist oder ob ich irgendetwas brauche. Vermutlich wissen sie alle von meiner kleinen nächtlichen Aktion Bescheid und behalten mich deswegen so im Auge. Mir ist das ganze etwas unangenehm.
Daher versuche ich ab jetzt meine Hände so gut es geht unter meinen Ärmeln meiner Jacke zu verstecken, vor allem nachdem Taehyungs Eltern zu Besuch kommen. 

"Jungkook, hast du heute schon was gegessen?" Fragt mich Taehyungs Vater und ich schüttel meinen Kopf. 
“Du siehst fertig aus, geh, ruh dich etwas aus und iss was. Du bist doch schon den ganzen Tag hier, ruf doch mal deine Freunde an und lenk dich etwas ab.”
Ich denke kurz darüber nach, dann zucke ich mit den Schultern. 
“Ich hab nicht wirklich Hunger, aber ich kann ja mal nachfragen.”
Ich ziehe mich in eine Ecke des Zimmers zurück und nehme mein Handy in die Hand. Vielleicht ist Jimin ja bald da und ich kann mich vorher mit ihm draußen treffen oder so. 
Ich öffne unsere Chats und sehe, dass ich bereits mehrere ungelesene Nachrichten habe.

Am Nachmittag treffe ich mich mit Jimin, Yoongi und Namjoon draußen vor dem Eingang. Ich erzähle ihnen kurz, wie es Taehyung zur Zeit geht, dass er beatmet wird und jetzt Antibiotika gegen seine Lungenentzündung bekommt. Ich erzähle auch, das er noch immer nicht ansprechbar ist und dass die Ärzte auch weiterhin einen besorgten Eindruck auf mich machen.

Ich werde von allen umarmt und das tut mir richtig gut. Wir beschließen, in die Cafeteria der Klinik zu gehen und etwas zu essen. Im Anschluss wollen wir zu Taehyung gehen, Jieun wird auch noch dazu stoßen, allerdings muss sie noch arbeiten und schafft es erst am Abend hier zu sein.

“Was möchtest du essen? Ich hole dir was mit.” Fragt mich Namjoon und ich zucke nur mit den Schultern. Ich habe irgendwie gar keinen Hunger und was ich essen möchte weis ich auch nicht. 
“Setz dich schon mal, ich gucke mal und bringe dir dann was mit.”
Ich nehme dann am Tisch Platz, während die anderen etwas zu essen holen. Sobald ich wieder allein bin, hänge ich wieder in meinen Gedanken fest, die von Sorge und Angst dominiert werden.
Ich hasse das Krankenhaus, ich will hier endlich weg, jedoch möchte ich es nur gemeinsam mit Taehyung verlassen. Meine Augen brennen und ich muss gegen meine Tränen ankämpfen. Ich versuche ruhig zu atmen und meine Tränen wegzublinzeln. Ich will hier jetzt nicht die Fassung verlieren. Ich zucke leicht zusammen, als ein Tablett auf unseren Tisch gestellt wird, ein weiteres folgt. Dann setzten sich meine Freunde an den Tisch. Namjoon reicht mir Stäbchen und eine Flasche Wasser. Ich nehme sie dankend an und mache mich sogleich daran, den Deckel aufzuschrauben und etwas zu trinken. Habe ich heute überhaupt schon etwas getrunken? Ich glaube nicht. 
Ich habe sie fast geleert, da stelle ich sie wieder ab und bemerke, dass mich drei Augenpaare besorgt angucken. Oh Shit.
Sofort greife ich nach meinen Stäbchen und wünsche allen einen guten Appetit.
“Na los, das Essen wird sonst kalt", fordere ich sie auf und hoffe, sie sprechen mich jetzt nicht auf meine Hände an.
Warum ist mir das gerade so unangenehm, denke ich. Tue ich nicht gerade wieder genau das gleiche und weiche aus, über meine Gefühle zu reden?
Das Brennen in meinen Augen nimmt zu und ich versuche mich stur auf das Essen zu konzentrieren. Auch die anderen essen jetzt, sie merken wohl, dass ich gerade nicht darüber reden will und belassen es fürs Erste. 
Während wir essen, unterhalten sich Jimin, Yoongi und Namjoon. Ich antworte nur knapp und nur wenn sie mich direkt ansprechen. Mein Blick bleibt starr auf meinen Teller gerichtet. Doch viel bekomme ich vom Essen nicht runter und schon nach kurzer Zeit lasse ich meine Stäbchen wieder sinken. Mir ist auf einmal so übel. Ich reibe mir mit meinen Händen übers Gesicht und trinke dann den Rest Wasser, den ich noch in der Flasche hatte. 
“Esst noch in Ruhe auf, ich gehe nur kurz vor den Eingang, frische Luft schnappen.”
Mit diesen Worten stehe ich auf und verlasse die Cafeteria, um Richtung Haupteingang und dann nach draußen zu gehen. 
Ich trage nur eine Sweatjacke und die Temperaturen sind mittlerweile nur noch im einstelligen Bereich, doch die Kälte tut mir gerade gut. Ich setze mich auf eine Bank. Hier und da verlassen Menschen das Krankenhaus oder sie betreten es gerade. Dieses große Gebäude, in dem so viele einzelne Schicksale gerade ihre eigene Geschichte erleben. So viel Leid und gleichzeitig Hoffnung und Glück. 
Ich habe in der Zeit, während ich hier bin, schon so viele Menschen weinen sehen. Aber ich habe auch viele Lachen gesehen, die ihre Liebsten besuchen oder mit ihnen gemeinsam die Klinik verlassen konnten. Manchmal ist der Gedanke tröstlich, das es unzählige Menschen auf der Welt gibt, denen es genauso geht, dass man nicht alleine mit diesen Gefühlen ist. 
Aber Taehyung wird wieder gesund, er muss einfach. Ich weis gar nicht, wie ich weitermachen könnte, wenn er es am Ende doch nicht schafft. Was würde passieren, wenn er plötzlich stirbt? Ist das überhaupt realistisch? Kann er wirklich noch sterben? Ich denke an die Ärzte und ihre besorgten Gesichter und daran, wie schnell Taehyungs Zustand immer schlimmer wurde. Nein, ich steigere mich da jetzt rein. Deswegen ist er ja auf der Intensivstation, zur Sicherheit und er ist stark, er hat es schon so weit geschafft. 
Trotzdem kann ich meine Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten. Ich will einfach nicht mehr.
Ich ziehe ein Taschentuch aus meiner Jackentasche und halte es mir vors Gesicht. Mir egal, wenn mich Leute sehen. Dann weine ich einfach. Langsam spüre ich auch die Kälte und ich fange an zu zittern, aber auch das ist mir gerade egal. 
Doch nur kurze Zeit später, spüre ich, wie mir eine Jacke umgelegt wird. Ich sehe nicht auf, ich erkenne auch so, dass es Namjoons ist.
“Komm”, sagt er jetzt und legt einen Arm über meine Schulter, “wir gehen rein, es wäre jetzt wirklich keinem damit geholfen, wenn du jetzt auch noch krank wirst.”
Ich höre auf Namjoon und stehe auf.
Ich kann und will ihm gerade nicht antworten, aber ich folge ihm wortlos und gehe mit ihm in Richtung Eingang zurück, an dem auch Jimin und Yoongi stehen. Immer wieder drücke ich mein Taschentuch an meine Augen, ich kann einfach nicht mehr aufhören zu weinen. Zu dritt machen wir uns dann auf den Weg zu den Stationen und ich sage: “Ich will jetzt zu Tae.” 
“Bist du dir sicher, wollen wir nicht erstmal reden?”, fragt Namjoon und ich schniefe als Antwort. Ich atme einmal tief ein und versuche es dann nochmal mit einer Antwort: 
“Wir können auch da reden, er schläft wahrscheinlich eh und ich…, ich will ihn sehen.”
“Okay”, sagt Namjoon und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu Taehyung.

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt