Kapitel 30

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Die Nacht verlief überwiegend ruhig.
Die Pflegekräfte kamen noch ein paar Mal herein und haben nach Taehyung gesehen und ich habe dementsprechend unruhig geschlafen.
Aber Taehyungs Zustand war relativ stabil und dank Schlafmedikamente konnte er auch gut durchschlafen. 
Trotzdem sieht er jetzt sehr blass aus. Seine Lippen sind rau und aufgesprungen und jede Bewegung scheint ihn anzustrengen. 
“Meinst du, du kannst etwas essen?”, frage ich ihn jetzt, als wir unser Frühstück erhalten haben. Taehyung zuckt mit den Schultern, dann sagt er leise: "Ehrlich gesagt ist mir schlecht und der Gedanke, etwas zu essen, macht es nicht gerade besser.” 
Er lässt seine Schultern hängen und fummelt an seiner Bettdecke herum. Auch wenn es nicht das ist, was ich erhofft hatte zu hören, lege ich jetzt eine Hand auf seine Schulter und sage: “Hey, das ist okay, soll ich dir stattdessen einen Tee bringen?”
Taehyung lächelt leicht und nickt. 
Ich stelle Taehyung den Tee neben sein Bett, auf den Beistelltisch ab und setze mich dann zum Frühstücken an den Tisch. Ich möchte es ihm nicht so zumuten, direkt mit meinem Essen neben ihm zu sitzen. 
Während ich esse, scrolle ich durch meine Nachrichten und beantworte diese. Dann wende ich mich an Taehyung und frage: "Meinst du, du schaffst heute wieder Besuch von allen zu bekommen  oder soll ich wem absagen?” 
Ich mache mir wirklich Sorgen, dass es Taehyung zu viel werden könnte. 
“Ich weis nicht”, höre ich ihn jetzt leise sagen.
Ich sehe ihn einige Zeit schweigend an. Er verhält sich heute wirklich anders, kein Wunder, bei dem, was er seit gestern Abend alles durch hat.  
Ich stehe auf und gehe zu ihm, dann setze ich mich zu ihm ans Bett. 
Ich lege meine Hand vorsichtig auf seinen Kopf und streiche durch seine Haare. 
“Machst du dir Sorgen, sie könnten sehen, dass es dir nicht gut geht und dann anfangen sich ebenfalls zu sorgen?”, sage ich. Taehyung nickt. 
“Ich kann vorher mit ihnen reden. Wenn du willst, können wir auch ein Zeitfenster vereinbaren, dass sie heute nicht so lange bleiben, hm?”
Wieder folgt ein Nicken von Taehyung.
“Danke”, haucht dieser und fügt dann noch ein, “Ich liebe dich", hinzu.
Ich drücke ihm einen Kuss auf die Stirn und setze mich dann wieder an den Tisch zurück, um zu Ende zu frühstücken und den anderen zu schreiben.

Kurz vor 13 Uhr treffe ich mich dann mit Taehyungs Eltern, Jimin und Jieun, vor dem Eingang. Ich hatte ihnen geschrieben, dass ich mich vorher nochmal mit ihnen treffen wollte, um zu reden. Ich habe sie aber schon schriftlich darum gebeten, heute den Besuch etwas kürzer zu halten. 
Bevor wir aber zu Taehyung gehen, setzen wir uns noch einen kleinen Augenblick in die Cafeteria, damit ich alle Updaten kann.
“Also”, beginne ich “Taehyung geht es seit gestern Abend nicht so gut und er musste sich gestern auch mehrfach übergeben und hatte Fieber. Sein Körper reagiert wohl gerade auf die Chemotherapie.”
Alle sehen mich besorgt an und ich rede weiter: “Heute morgen bei der Visite, hat der Arzt beschlossen, keine dritte Chemotherapie durchzuführen. Heute und morgen bekommt er also Zeit, sich wieder zu erholen." 
“Heißt das, er bekommt dann übermorgen noch eine oder soll er dann operiert werden?” Fragt jetzt Taehyungs Vater.
“Nein er bekommt keine dritte mehr vor der OP. Sie meinten, dass man das seinen Körper nicht mehr zumuten wolle und die beiden vorerst ausreichend sein müssten.” 
“Aber was ist, wenn sie doch nicht reichen und das am Ende ein Fehler ist?”, fügt nun Taehyungs Mutter besorgt hinzu. Ich schüttel meinen Kopf und gebe zur Antwort:
“Ich glaube wirklich, eine dritte Chemotherapie könnte jetzt mehr schaden als nutzen und er wird ja nach der Operation noch weitere bekommen.” 
Taehyungs Mutter nickt und ich rede weiter: “Sie wollen aber auch keine unnötige Zeit verlieren und ihn bereits übermorgen operieren, sofern es sein körperlicher Zustand dann auch wirklich zulässt. Er wird danach auch nochmals direkt auf die Intensivstation verlegt, einfach zur Sicherheit.”
Alle nicken. 
Nachdem ich noch einige weitere Fragen beantworten konnte, gehen wir nun zu Taehyung aufs Zimmer.
Ich klopfe einmal, bevor ich die Tür öffne und trete dann als Erster ein.
“Tae?” sage ich leise, da dieser regungslos und mit geschlossenen Augen in seinem Bett liegt. Langsam öffnet er seine Augen und ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen, als alle eintreten. Zuerst begrüßen ihn seine Eltern, dann Jimin und Jieun. 
“Wir haben dir was mitgebracht”, sagt Jimin und holt etwas aus einem kleinen Stoffbeutel.
Er zieht einen Bilderrahmen hervor, an dem seitlich ein kleiner Plüsch Teddy hängt. Auf dem Foto sind Jieun, Taehyung und Jimin. 
Taehyungs Augen weiten sich leicht und dann wird sein Lächeln etwas breiter.
“Danke”, sagt er, "jetzt hab ich euch auch immer hier.”
Jimin stellt das Foto auf dem Beistelltisch, neben Taehyungs Bett, ab.
Dann legt er seine Hand auf Taehyungs Kopf und streichelt diesen leicht.
“Ich freue mich schon drauf, wenn wir bald mal wieder zusammen Spaß haben können und neue Erinnerungen sammeln. Dann müssen wir neue Fotos machen und Jungkook darf dann natürlich auch nicht fehlen.”
Jimin lächelt und sieht dann kurz zu mir herüber.
“Und Yoongi?”, kommt es leise von Taehyung.
“Hmm”, sagt Jimin, “Yoongi vielleicht auch.”
“Und wann kommt mein Traumprinz?” fragt Jieun jetzt frustriert und Jimin klopft ihr auf die Schulter, ehe er sagt: “Der wird auch schon noch auftauchen.”
Jieun macht einen Schmollmund: "Dann bin ich ja nur noch von Paaren umgeben.” 
“Wo wart ihr denn da auf dem Foto?”, frage ich jetzt die beiden.
Auf dem Foto sind nur ihre Gesichter abgebildet. Sie posieren fürs Bild und in einer Ecke sieht man etwas Zuckerwatte.
“Lotte World”, sagt Jieun, “Das war kurz nach unserem Abschluss, ist also schon ein paar Jahre her.”
“Ja, damals waren wir so froh, die Schule endlich geschafft zu haben und ich war kurz davor, dem Militär beizutreten."
Jimin scheint in Erinnerungen versunken während er spricht.
"Wir haben fast jeden Tag Ausflüge gemacht und alles abgeklappert, was nur ging.”
Jetzt lacht er und auch Jieun lächelt.
"Ja, wir dachten, wenn du zum Militär gehst, ist unsere gemeinsame Zeit  vorbei und wir werden dich vorerst nicht wieder sehen”, sagt sie. 
Jimin grinst. “Und am Ende habe ich jede freie Zeit, die ich während des Militärs hatte, damit verbracht, euch auf die Nerven zu gehen.” 
“Ohja das hast du, du warst wie ne Klette und bist zwischen deiner Familie und uns hin und her gependelt, kaum warst du weg, warst du auch schon wieder da.”
Jieun knufft ihn sanft in seine Seite und Jimin antwortet ihr gespielt empört: “Die Zeit war wirklich nicht leicht für mich, ihr wart mein Rettungsanker, das war wie im Knast mit Straf-Aufgaben."
Ich muss über Jimins Antwort und seine Mimik, die er dazu macht, lachen. Auch Taehyung lächelt jetzt. Er ist zwar still, aber seine Aufmerksamkeit liegt die ganze Zeit auf uns. 
Doch irgendwann fielen ihm immer wieder die Augen zu, bis er schließlich eingeschlafen sein musste. 
“Jungkook?” zieht Jimin jetzt wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.
“Ich war anfangs etwas besorgt, dass du Taehyung vielleicht von dir stoßen würdest, nicht jeder würde das alles, kurz nachdem man sich erst kennengelernt hat, mitmachen. Danke, dass du für ihn da bist.” 
Mir ist das etwas unangenehm, dass er sich für etwas bedankt, das doch das mindeste ist, was ich jetzt tun kann.
"Quatsch", sage ich, “natürlich bin ich für ihn da, ich liebe ihn.” 
Mir wird gerade so richtig klar, nachdem ich die Worte ausgesprochen habe, wie sehr ich mir dessen ohne Zweifel bewusst bin. Wie tief sich meine Gefühle in den letzten Tagen gefestigt haben. Es ist immer noch seltsam, da wir uns noch gar nicht so lange kennen und doch fühlt es sich so an, als wären schon Monate vergangen. Wir haben nicht mal über unseren Beziehungsstatus gesprochen. Im Moment gibt es auch so einiges wichtigere als das und doch ist da dieses Gefühl, das mir sagt, wir brauchen es gar nicht aussprechen. 
Jimin und Jieun lächeln mich daraufhin an und ich kratze mich leicht verlegen am Kopf.
Kurz darauf verabschieden sich alle von mir mit einer Umarmung und verlassen das Zimmer. 

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt