Kapitel 32

15 1 0
                                    

Wir haben noch lange gemeinsam einfach nur so da gelegen. Irgendwann wollte Taehyung sich dann bei mir entschuldigen, aber ich habe es abgeblockt und gesagt, dass er sich für nichts entschuldigen müsse. 
Mir wird langsam bewusst, was für einen weiten Weg wir noch vor uns haben und dass es bestimmt nicht immer leicht wird. Wie kann ich ihm bloß seine Zweifel nehmen oder diese wenigstens etwas weniger machen.
Ich mache mir solche Sorgen, eigentlich weis ich gar nicht, wie es Taehyung wirklich geht, was tief in ihm drinnen wirklich vor sich geht.
Wir alle legen unseren Fokus im Moment auf seine körperliche Gesundheit. Wir wollen alle, dass seine Wunden schnell heilen und er wieder “gesund” wird.
Doch wie geht es ihm wirklich? Wie ging es ihm, bevor das alles passiert ist? Bevor er versucht wurde, umgebracht zu werden… 
Und jetzt hat er auch noch sein Bein verloren, als wäre der Rest nicht schon genug. 
Und die Therapie, die er hat, holt doch alles Vergangene wieder hoch an die Oberfläche, diese Last hat er nun noch zusätzlich zu tragen.
Ich atme geräuschvoll aus und drehe meinen Kopf zu Taehyung, der an seinem Handy ist und darin herumtippt. 
Ich sehe ihn an, während er tippt. Alles an ihm ist so wunderschön, denke ich. Trotz der Blutergüsse im Gesicht und seine leicht eingefallenen Wangen, ist er einfach so wunderschön. Ich könnte ihn den ganzen Tag beobachten und mich einfach in ihm verlieren. 
Und er weis es wahrscheinlich nicht einmal, was er für eine Wirkung auf mich und andere hat. Plötzlich lässt Taehyung sein Handy auf seinen Schoß sinken und sieht mich an. 
“Hab ich was falsch gemacht?”, fragt er und ich schüttel meinen Kopf.
“Wie kommst du darauf? Darf ich dich nicht angucken?” 
Ich lächel dabei und sehe weiter sehnsüchtig zu Taehyung. Dieser kratzt sich jetzt etwas verlegen am Kopf und wendet seinen Blick ab. 
“Doch darfst du, aber ich sehe grad wirklich schrecklich aus…” nuschelt Taehyung und ich greife nach seinem Gesicht und lege behutsam meine Hände darum. Ich drehe seinen Kopf zu mir und unsere Blicke treffen sich.
“Tae, du bist wunderschön und dich kann einfach nichts entstellen, das kannst du mir glauben. Gott ich könnte dich den ganzen Tag lang betrachten, wirklich.”
“Was?”, sagt Taehyung jetzt verlegen, “sagt derjenige, der ein so schönes Gesicht hat und dem einfach alles steht.”
Jetzt muss ich lachen und schüttel meinen Kopf. Ich meine, ich weis das ich nicht hässlich bin, aber als totale Schönheit würde ich mich jetzt nicht betrachten. Das ist definitiv Taehyung.
“Was, warum lachst du?”, sagt Taehyung, jetzt etwas eingeschnappt und ich streichel ihn über seinen Kopf.
“Nimm es einfach an Tae, du bist wirklich wunderschön und ich kenne niemanden, der an dich herankommt, auch ich nicht.”
Ein kleines Lächeln umspielt Taehyungs Lippen. Dann lässt er sich zurück ins Bett sinken.
“Danke Jungkook, aber ich werde meine Meinung nicht ändern.”
Er verlagert ein wenig sein Gewicht und zischt dann plötzlich auf. Ich wende mich ihm sofort zu: “Tae? Alles in Ordnung? Soll ich dir helfen?”
Er sieht zu mir und wieder legt sich ein leichtes Lächeln um seinen Mund als er mir antwortet:
“Alles gut, ich muss vorsichtig sein, hab eben mein Bein…”, er stockt kurz und redet dann weiter:
“Oder besser gesagt das, was davon noch übrig ist, etwas doll bewegt.”
“Warte”, sage ich und stehe auf, um zu seiner anderen Seite des Bettes zu gehen. “Liegst du noch bequem? Ich kann dein Bein eben noch etwas hochlagern.”
Ich will gerade seine Bettdecke an seinem Stumpf zur Seite schlagen, da ruckt Taehyung nach oben und ruft: “Nicht!”. 
Ich bin etwas perplex und lasse die Decke an Ort und Stelle. Ich sehe ihn an und versuche nochmal zu erklären, was ich vorhabe. 
“Taehyung, der Pfleger hat dein Bein.., deinen Stumpf hochgelegt und ein Kühlpack drauf gelegt, ich wollte nur nachsehen, ob noch alles an Ort und Stelle ist, schließlich hast du dich doch eben bewegt." 
Taehyung sitzt einfach nur da und sieht mich an. Ich sehe ihm förmlich an, wie die Gedanken hinter seinem Kopf rattern und ich kann mir nur zu gut denken, was dort drin alles vor sich geht. 
“Taehyungie”, sage ich jetzt sanft, “Ich hab das doch eh schon gesehen und mir ist es ehrlich gesagt egal, dass du jetzt nur noch ein Bein hast. Selbst wenn du gar keine mehr hättest oder sie dir irgendwo ein drittes angenäht hätten, du bist dadurch nicht weniger wert und wie ich schon bereits gesagt habe, kann dich nichts entstellen. Und erst recht brauchst du dich dafür nicht schämen. Es gibt so viele Menschen da draußen, denen ein oder mehrere Gliedmaßen fehlen und die trotzdem so viel erreichen. Es sollte einfach kein Thema sein.“
Ich beuge mich zu ihm und küsse ihn auf die Stirn
Dann klappe ich die Decke um und richte das Kissen etwas, was unter seinem Stumpf platziert wurde und lege das lange Kühlpack wieder richtig, es war nämlich wirklich etwas verrutscht. 
Dann lege ich die Decke vorsichtig zurück und wende mich Taehyung zu, der nach meinen Worten angefangen hat zu weinen.
Ich nehme ihn in den Arm. 
“Es ist okay Taehyung, du hast so viele schlimme Dinge erlebt, das braucht alles Zeit. Bitte verstecke deine Gefühle nicht vor mir, okay?”
Er nickt und sein Weinen wird stärker. Er schluchzt und gibt herzzerreißende Laute von sich und verdammt, ich könnte auf der Stelle mit weinen. Ihn so zu erleben tut weh, aber ich weiß auch, dass es wichtig für ihn ist, es immer wieder rauszulassen und ich muss gerade stark für ihn sein. 
“Es fühlt sich so an als ob ich… ich” kommt es jetzt von Taehyung, nachdem er sich etwas beruhigt hat, “ als ob ich das alles… alles verdient habe.”
Der hat gesessen. Das zu hören ist schrecklich und ich würde ihn gerade am liebsten anbrüllen, was ihm einfällt. Ich versuche gleichmäßig zu atmen und meine Gefühle unter Kontrolle zu behalten.
“Du weißt hoffentlich, dass das totaler Schwachsinn ist, was du da sagst.” 
Während ich ihm antworte, behalte ich ihn weiter im Arm.
Taehyung nickt zögerlich und redet dann weiter: 
“Ich weiß, irgendwie dass das  natürlich nicht stimmt. Und trotzdem ist da dieser eine Teil in mir, der das für die Wahrheit hält. Klingt dämlich oder?"
“Nein”, antworte ich ihm. 
“Das klingt absolut nicht dämlich. Ich weiß nicht viel über deine Vergangenheit, aber du hast bestimmt schon so einiges erleben müssen und dein scheiß Ex muss das Schlimmste von allem gewesen sein. Dieser psychopathische Narzissten Arsch! Ich hoffe, er verrottet eines Tages in der Hölle.”
Ich bin gerade dabei, etwas meine Selbstbeherrschung zu verlieren, aber das musste jetzt raus. Ich habe schon Angst vor dem Tag, an dem ich ihm gegenübertreten muss. Ich kann einfach für nichts garantieren.
Taehyungs Tränen sind versiegt und jetzt liegt ein Lächeln auf seinen Lippen, das seine Augen erreicht.
“Du schaffst es immer wieder, dass es mir besser geht”, sagt er jetzt und zieht mich wieder zu sich heran, um mich zu küssen.

Gebrochen | TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt