Lange warten musste ich nicht, da bekam ich schon einen Anruf von Lena.
,,Hey ho!", rief sie ins Mikrofon.
,,Hey."
Kurz gefasst berichtete ich ihr von all dem, was vorhin passiert war. Ihre Reaktion konnte ich mir schon denken.
,,Wie geil ist das denn?!", schrie sie genauso laut wie ihre Begrüßung. Diesmal aber mit mehr Freude.
,,Ich will ihn auch kennenlernen", sagte sie sofort.
,,Damit du auch Rücken- und Beinschmerzen bekommst?"
,,Die haben sich sicher gelohnt."
Anhand ihrer Stimme konnte ich schon erkennen, dass sie grinste.
,,Nicht wirklich", meinte ich skeptisch. ,,Nicht im Geringsten!"
,,Blablabla", quasselte sie dazwischen.
Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel, wie gegenüber das Licht anging.
,,Hoffentlich geht er auf unsere Schule", zwitscherte Lena weiter, ,,und am besten noch in unsere Klasse. Ich weiß gar nicht, was du hast. Er sieht richtig gut aus."
,,Keine Ahnung, wann du das lernen wirst, Lena. Aber Aussehen ist nicht alles", meinte ich besserwisserisch.
,,Du achtest doch auch aufs Aussehen."
,,Nicht nur", murmelte ich. Sofort lachte sie laut los.
,,Du", sagte sie dann, als sie sich wieder gefangen hatte, ,,ich muss auflegen. Wir sehen uns beim Tanzen."
,,Okay, tschüss!"
Auf einmal war sie weg und in meinem Zimmer war es wieder still. Schnell verabschiedete ich mich noch einmal im Chat von ihr.
Jetzt hatte ich keinen Grund mehr am Laptop zu sein, also fuhr ich ihn herunter und nahm auf meinem Drehstuhl Platz. Mit ihm fuhr ich vor das Fenster und zog die Vorhänge ein wenig zur Seite. Es dauerte nicht lange, dann konnte ich auch Tyler wiedersehen. Aber er schaute nicht zu mir herüber. Im Gegenteil. Er warf einen Blick in eine ganz andere Richtung und ließ seine Arme kreisen. Wärmte er sich etwa auf?
Unverhofft ertönte plötzlich eine laute Musik, die zu 100% aus seinem Zimmer kam. Sie war wirklich nicht zu überhören. Für wenige Sekunden verschwand er plötzlich, aber es dauerte keine Minute, da kam er ruckartig ins Zimmer gesprungen. Er tanzte.Mit Breakdance hatte ich mich noch nie beschäftigt. Zwar fand ich es cool, wie sich die Leute auf dem Kopf drehten, durch die Luft flogen und auch sonst geniale Bewegungen absolvierten. Ich hingegen tanzte Ballett. Das war ganz anders als die schnellen Bewegungen, die Tyler machte. Ballett war eleganter und ein klassischer Bühnentanz hinter dem sich meist eine Geschichte verbarg.
Bei Tylers Kunstform war ich mir sehr unsicher.
Aber eins wusste ich genau, er sah beim Tanzen mörderisch gut aus.
Es wurden total viele Muskeln beansprucht. Trotzdem schaffte er einen Handstand auf nur einer Hand. Schwer beeindruckt hatte ich ihm zugeschaut.
Meine Mutter hatte mich, als ich sechs war, zum Ballett gezwungen. Jedenfalls war ich davon nicht begeistert gewesen, aber dort traf ich meine Freunde.
Es fand beim Jugendtreff im Dorf statt und die Leute waren dort mehr oder weniger nett.
Nach einer Weile verstummte die laute Musik aus Tylers Zimmer. Er nahm jetzt auf seinem Bett Platz und hielt sein Handy in seinen Händen. Kurze Zeit später stand er wieder auf und zog sein T-Shirt aus. Zwar kam ich mir wie eine Stalkerin vor, doch ich schaute nicht weg. Außerdem wusste er ja nicht, dass ich ihn sah. Nachdem er sich kurz durch sein zerzausten Haare fuhr, verschwand er aus seinem Zimmer. Schade eigentlich.