35.Kapitel

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Ein lautes Klingeln unterbrach uns und ließ mich zusammenzucken. Mit einem verärgerten Knurren ließ Damon mich los. "Kann man hier nicht einmal seine Ruhe haben?" Nein, offenbar nicht. Und wer auch immer da störte schien es ziemlich eilig zu haben, denn er oder sie legte es scheinbar darauf an, einen neuen Rekord im Dauerklingeln aufzustellen. Neugierig folgte ich Damon zur Tür; irgendetwas musste passiert sein, andernfalls würde wohl niemand so einen Aufstand machen.
"Meine Güte, ich dachte schon, du machst gar nicht mehr auf." Der dunkelhaarige Mann runzelte kurz die Stirn als er mich sah. Ich kannte ihn lediglich vom Sehen, doch seine schwarzen Sachen ließen darauf schließen, dass er ebenfalls zu den Phoenix gehörte. "Wir haben einen Code 3, ich sag den anderen Bescheid." Und schon war er wieder weg, er hatte es wohl echt ziemlich eilig. "Was ist ein Code 3?" Verwirrt beobachtete ich Damon dabei, wie er aus einem versteckten Tresor hinter einigen Pflanzen mehrere Waffen holte. "Und warum hast du ein Waffenarsenal in deinem Wohnzimmer?" Anstatt auf meine Fragen zu antworten kramte er bloß aus einem anderen Schrank ein Funkgerät raus. "Damon?" So langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl, das sah für mich nicht gerade wie eine Übung oder so etwas aus.
"Code 3 bedeutet, dass irgendjemand unerlaubt hier eingedrungen ist, vermutlich Newtons Leute. Ich habe ja gesagt, dass sie das Signal zurückverfolgen, aber auf mich hat ja mal wieder keiner gehört. 'Wir haben alles unter Kontrolle'. Wer's glaubt, offensichtlich haben die nichts unter Kontrolle", sagte Damon wütend und ging an mir vorbei, um die Wohnung zu verlassen. Ohne zu zögern folgte ich ihm, wurde jedoch an der Tür wieder gestoppt. Was sollte das denn jetzt?
"Du bleibst hier."
"Was?" Perplex starrte ich ihn an. "Aber ich kann doch helfen, wozu hast du mir denn das Kämpfen beigebracht, wenn ich jetzt nur rumsitzen und abwarten soll?" Und ich hatte mich schon gewundert, warum er mir keine Waffe gegeben hatte. Mein Ausbilder verdrehte genervt die Augen und schob mich wieder zurück in seine Wohnung. "Du hast noch lange nicht alles gelernt; das ist kein Spiel, Lola. Die werden dich ohne zu zögern erschießen und um ehrlich zu sein wollte ich dich frühestens in ein paar Jahren beerdigen, aber nicht heute."
"Aber...", setzte ich erneut an, verstummte jedoch sofort wieder. Es hätte nichts gebracht meine ausschlaggebenden Argumente zu präsentieren, denn ich war allein. Und er hatte garantiert die Tür abgeschlossen. Versuchsweise rüttelte ich trotzdem daran, hätte ja klappen können. Missmutig ließ ich mich zu Boden rutschen und dachte nach. Möglicherweise sollte ich wirklich einfach hier bleiben und abwarten, andererseits starben da draußen vermutlich gerade Menschen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand von meinen Freunden dabei war, war ziemlich hoch. Sie würden zwar vermutlich irgendwohin evakuiert werden, aber ich bezweifelte, dass alle ohne Probleme an diesem Ort ankommen würden. Die Ausgänge waren sicherlich versperrt, ich erinnerte mich dunkel, dass einer der Kameraüberwachungsbeamten etwas in der Richtung erwähnt hatte. Was mich wiederum zur nächsten Frage brachte: wie konnte hier irgendjemand unbemerkt eindringen, wenn doch mindestens alle Zugänge pausenlos überwacht wurden? Das grenzte meiner Meinung nach schon fast an Unmöglichkeit. Doch wenn es jemand geschafft hatte die ganzen Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen, konnten sie genausogut ohne Probleme hier eindringen, womit Damons Plan, mich zu schützen, scheiterte. Und wenn es tatsächlich Newtons Leute waren, würden sie mich nicht umbringen, sondern eher gefangen nehmen und zu ihm bringen. Bei diesem Gedanken schüttelte ich mich vor Ekel, schlimmer als bei ihm zu landen, konnte es nicht mehr werden.
Mehrere Schüsse auf dem Gang ließen mich erschrocken aufspringen; als dann auch noch jemand an dem Türgriff rüttelte verlor ich endgültig die Fassung. Die wollten doch nicht ernsthaft hier rein, oder? Dass es jemand von unserer Seite war, schloss ich aus. Derjenige würde bestimmt nicht versuchen die Tür aufzubrechen, sondern wenigstens vorher rufen. Panisch sah ich mich um; ein Versteck zu suchen konnte ich vergessen, so viel Zeit hatte ich nicht mehr und vermutlich würden die mich sowieso finden. Stattdessen brauchte ich irgendetwas, das ich als Waffe nutzen konnte. Mein Blick blieb schließlich an einem großen Stein, der wahrscheinlich als Türstopper diente, hängen. Theoretisch müsste ich damit einen Angreifer außer Gefecht setzen können, ans Töten wollte ich lieber nicht denken. Inzwischen hatten die Männer, ich ging einfach mal davon aus, dass keine Frau dabei war, draußen damit aufgehört gewaltsam hier rein kommen zu wollen. Stattdessen machte sich jetzt irgendjemand am Schloss zu schaffen. Innerlich betend, dass es ihnen nicht gelingen würde es zu knacken, stellte ich mich an die Wand neben der Tür, in der rechten Hand den Stein, in der linken mein Messer. Mit ein bisschen Glück würden sie nur einen kurzen Blick in die Wohnung werfen, mich aufgrund meines ziemlich schlechten Verstecks nicht sehen und wieder verschwinden. Ich verstand sowieso nicht, was die hier wollten. Es war doch offensichtlich, dass das keine Waffenkammer oder sowas war. Und wissen, dass ich hier war, konnten sie eigentlich auch nicht. Jedenfalls wüsste ich nicht woher.
Zitternd umklammerte ich meine provisorischen Waffen fester, als die Tür mit einem leisen Quietschen aufschwang. Offenbar waren meine Gebete mal wieder nicht erhört worden. Ich hielt ängstlich die Luft an; den Impuls die Augen zu schließen unterdrückte ich lieber. Die Nummer mit 'wenn ich sie nicht sehe, sehen sie mich nicht' funktionierte schon lange nicht mehr.
"Bist du sicher, dass sie hier ist?" Verzweifelt drückte ich mich tiefer in die Ecke. Noch versperrte die geöffnete Tür meine Sicht, doch die Stimme bestätigte mir, dass es erstens mehrere Leute sein mussten und sie zweitens tatsächlich nach mir suchten. Bravo, Damon, jetzt passiert genau das, was du verhindern wolltest.
"Ja, bin ich. Er hat sie garantiert nicht mitgenommen und eine ihrer Freundinnen hat vorhin irgendetwas hierher gebracht. Sie muss noch hier sein." Moment mal, die Stimme kannte ich doch. Bloß woher... denk nach, Lola, irgendwo hast du diesen Tonfall schonmal gehört. Das Geräusch von Schritten lenkte meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne; wenn ich richtig gezählt hatte, waren es mindestens fünf Personen, die nun systematisch nach mir suchten. Vielleicht...vielleicht hatte ich ja Glück und konnte mich unbemerkt rausschleichen und Hilfe holen. Wobei ich vermutlich nicht die einzige war, die momentan Hilfe benötigte. Aber abhauen war schonmal eine gute Idee, wenn ich jetzt noch wüsste, ob vor der Tür eine Wache stand...
"Wenn das mal nicht der älteste Trick der Welt ist." Irgendjemand war tatsächlich auf die Idee gekommen, mal hinter die Tür zu sehen. Nein, nicht irgendjemand, sondern dieser bekloppte Marvin, der sich an seinem ersten Tag hier so aufgespielt hatte. Daher kannte ich die Stimme also, seit wann war der eigentlich nicht mehr auf der Krankenstation? "Und du bist tatsächlich drauf reingefallen, dümmer geht's ja wohl nicht", antwortete ich spöttisch. Das wiederum bewegte ihn dazu mich anzugreifen. Genau das hätte ich ihm nun nicht empfohlen, innerhalb von wenigen Sekunden lag er stöhnend am Boden. Man sollte sich wirklich nicht als unerfahrener Kämpfer mit jemanden, der schon einigermaßen gut darin war, anlegen. Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn und riss stattdessen die Tür auf, um zu verschwinden, ehe die anderen auftauchten. Zu spät, bevor ich auch nur einen Schritt machen konnte, wurde ich am Arm gepackt und herumgewirbelt. Reflexartig schlug ich meinem Angreifer mit voller Kraft den Stein an den Kopf, woraufhin er mich losließ und zu Boden ging. Das würde ihm einige Kopfschmerzen bereiten, vielleicht sollte ich öfters Steine benutzen. Der Lärm hatte jedoch auch die anderen drei alarmiert; sie näherten sich mir betont langsam, mit erhoben Waffen.
"Keinen Schritt weiter oder ich schieße", drohte der Erste. Für einen Moment wägte ich meine Möglichkeiten ab. Sie würden nicht schießen, jedenfalls nicht tödlich. Aber gegen alle auf einmal hatte ich auch keine Chance, also blieb eigentlich nur mich der Telekinese zu bedienen. Damit hatten sie anscheinend wirklich nicht gerechnet und flogen mit erstaunten Gesichtern quer durch den Raum. Jetzt oder nie, so schnell ich konnte rannte ich zum Ausgang. Nebenbei schnappte ich mir noch die Pistole des halb bewusstlosen Marvins und entsicherte sie. Lange würden die Typen nicht brauchen, um mir zu folgen, doch jetzt hatte ich einen entscheidenden Vorteil im Gegensatz zu gerade eben: ich war bewaffnet und würde nicht zögern auch zu schießen. Jedenfalls nicht, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
Wo genau ich hin rannte, wusste ich auch nicht, aber früher oder später musste ich ja mal auf jemanden, der nicht zu Newtons Leuten gehörte, treffen. Unterwegs sah ich immer wieder Menschen auf dem Boden liegen. Ob sie tot oder nur bewusstlos waren, konnte ich nicht nachprüfen, aber ich hoffte auf letzteres.
Ein Schusswechsel in der Nähe ließ mich schließlich langsamer werden. Vorsichtig spähte ich um die Ecke; im ersten Moment konnte ich niemanden ausmachen, lediglich eine verschwommene Bewegung und Schüsse. Eigentlich konnte das ja nur... "Vorsicht!" Aus einem weiteren Gang war ein Soldat, der definitiv nicht zu uns gehörte, aufgetaucht und zielte. Ein lauter Knall ertönte und Damon, der stehen geblieben war, drehte sich zu mir um. Ich erwiderte seinen ungläubigen Blick, sah den feindlichen Mann getroffen auf den Boden sinken und starrte schließlich auf die Pistole in meinen Händen. Ich hatte geschossen. Unbewusst war ich vorgetreten, hatte kurz gezielt und ihn erschossen. Einfach so. Ein großer Blutfleck breitete sich unter dem leblosen Körper aus, während ich langsam die Waffe sinken ließ. Erst allmählich erreichte mich die Erkenntnis, was ich gerade getan hatte. Ich hatte einen Menschen getötet, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Bei diesem Gedanken wollte ich eigentlich weinen, doch es kamen keine Tränen. Ich starrte bloß geschockt auf den Toten und rührte mich nicht.
"Danke. Ich würde ja sagen, dass alles wieder gut wird, aber ich will dich nicht anlügen", murmelte Damon, während er mich umarmte. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er zu mir gekommen war. Teilnahmslos ließ ich es über mich ergehen, meine Gedanken noch immer bei dem Mann, den ich erschossen hatte. Vielleicht hatte er keine Wahl; musste alle Befehle befolgen um seine Familie zu schützen. Seine Familie....er würde sie nie wieder sehen. Irgendetwas daran löste mich aus meiner Erstarrung. "Ich habe ihn getötet, oh Gott, ich habe ihn umgebracht...", flüsterte ich verzweifelt und klammerte mich nun doch an Damon fest.
"Ich weiß, Prinzessin, ich weiß..." Er strich mir beruhigend über den Rücken. "Deswegen wollte ich nicht, dass du mitkommst; ich wollte dir das ersparen."
"Aber du hättest es mir nicht ewig ersparen können. Früher oder später musste das passieren. Er..er hätte dich getötet, wenn ich nicht zuerst...", ich brach ab. Auf eine seltsame Art und Weise betrachtete ich das Geschehene plötzlich objektiv, als hätte ich meine Gefühle einfach abgeschaltet. Möglicherweise hatte ich ja einen Schock und es lag daran, vielleicht hatte mein Gehirn auch einfach beschlossen die schmerzenden Gedanken und Gefühle auszublenden.
"Lola, wir müssen hier weg. Glaubst du, du schaffst das?" Damon musterte mich besorgt, woraufhin ich nur nickte. Ich würde es schaffen müssen, eine andere Wahl hatte ich nicht. Außer vielleicht die, bei Newton zu landen oder zu sterben, beide waren aber keine erwägenswerte Optionen. Zielstrebig lotste Damon mich durch die Gänge; wenigstens begegneten wir niemandem, ich bezweifelte, dass ich momentan schnell genug reagieren könnte. Noch immer fühlte sich alles an, als wäre ich in Watte gepackt. Selbst, dass Liz mir um den Hals fiel, nachdem wir einen großen Raum betreten hatten, nahm ich kaum war.
"Lola? Hey, Lola." Irgendjemand schnippste vor meinem Gesicht rum, bis ich aufsah. Alle starrten mich mehr oder weniger besorgt an, als ich plötzlich Tränen auf meinen Wangen spürte. Warum fing ich denn jetzt an zu weinen? Stirnrunzelnd wollte ich Liz fragen, doch ich brachte nur ein leises Schluchzen heraus. Ich hatte mich immer gefragt, was mit 'hysterisches Weinen' gemeint war, aber mein momentaner Zustand passte irgendwie zu dem Begriff. Obwohl ich es verzweifelt versuchte, konnte ich einfach nicht aufhören. Auch, dass Damon mich erneut an sich zog half nicht; irgendwie machte es das sogar fast noch schlimmer.
"Was ist mit ihr?" Anne. Ich konnte ihre Besorgnis geradezu spüren. "Sie hat einen Schock erlitten, der jetzt nachlässt", antwortete Liz. "Was ist passiert, Damon? Ich dachte, dass Lola in deiner Wohnung war..." Stimmt, bis jetzt wusste ja noch keiner, warum ich nicht mehr da war.
"Keine Ahnung, wie sie da rausgekommen ist. Sie ist bloß plötzlich aufgetaucht und hat einen Mann erschossen, um mich zu retten. Das dürfte den Schock verursacht haben." Super, dass ihr das geklärt habt, könnte mir dann bitte jemand sagen, wie ich aufhören konnte Damons T-shirt voll zu heulen? Mein Versuch mich zu beruhigen scheiterte in einem erneuten Schluchzen; irgendjemand legte mir eine Decke um die Schultern, weil ich zitterte, doch viel helfen tat das nicht.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt