53. Kapitel

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Nachdenklich starrte ich aus dem großen Fenster, das eine gesamte Wand des Raumes einnahm. Obwohl ich es nie zugeben würde, war ich doch ziemlich erleichtert gewesen, dass ich meine Zeit hier offenbar doch nicht in dem kargen Zimmer ohne Fenster verbringen musste. Stattdessen war ich jetzt hier, saß auf einem Bett, sah in den bewölkten Himmel New Yorks und beschäftigte meine Gedanken mit der Suche nach einem Fluchtweg, um nicht wieder an Damon zu denken.
Die letzte Nacht hatte ich größtenteils damit zugebracht, zusammengerollt unter der Bettdecke zu liegen und den Damm aus aufgestauten Tränen endlich zu öffnen. Sonderlich viel hatte es nicht geholfen; eigentlich hatte ich gehofft, mich danach besser zu fühlen, aber die Trauer und Verzweiflung waren noch immer nicht vollständig verschwunden. Sie waren lediglich in den Hintergrund gerückt, um dort, ähnlich wie eine pochende Wunde, immer präsent zu sein und mich daran zu erinnern, was passiert war. Daran zu erinnern, dass ich mein Vertrauen in die falsche Person gesetzt hatte.
Ein leises Klopfen ließ mich kurz zusammenzucken, doch ich drehte mich nicht um, um nachzusehen, wer den Raum betreten hatte. Damon konnte es nicht sein, er würde garantiert nicht klopfen, das war das Einzige, was mich interessierte.
"Lola?" Dr. Xy, hätte ich mir ja denken können. Seufzend drehte ich mich nun doch um. Wahrscheinlich wurde ich sie schneller wieder los, wenn ich sie nicht ignorierte. "Wa...", zu meinem Ärger brachte ich nur ein leises Krächzen anstatt eines richtigen Wortes heraus und räusperte mich. "Was wollen Sie?" Immer noch nicht perfekt, aber zumindest besser als der undefinierbare Ton. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass mein Stimme nach der gestrigen Aktion kurzzeitig versagte, aber ich war noch nie so heißer gewesen.
Dr. Skylander schenkte mir einen mitleidigen Blick, ehe sie sich neben mich setzte. Gierig stürzte ich das Glas Wasser, das sie mir gab, hinunter. "Ich... ich habe dich gestern schreien hören", sagte sie leise und wich meinem Blick aus. Jetzt waren wir also plötzlich beim 'du'? Das ging ja schnell.
"Tatsächlich? Er hat gesagt, dass mich niemand hören würde. Tut mir leid, falls ich Sie damit gestört haben sollte." Ich schnaubte verächtlich und starrte unwillkürlich auf meinen Unterarm. Zu meiner Überraschung waren die Wunden innerhalb weniger Stunden vollständig geheilt gewesen, doch wie Damon es gesagt hatte, hatten sich dünne dunkelblaue Linien gebildet, die sich unangenehm vom Rest meiner Haut abhoben. Drei, teilweise ineinander übergehende, unterschiedlich große Dreiecke sowie ein Pentagramm bedeckten mein Handgelenk und ein Stück meines Unterarms. Sie taten nicht mehr weh, doch die Erinnerung an die Schmerzen bei ihrer Entstehung war noch mehr als stark.
Erschrocken, dass Dr. Xy ebenfalls meinen Arm betrachtete, zog ich blitzschnell den Ärmel meines Pullovers wieder bis zu den Fingerspitzen herunter und starrte erneut aus dem Fenster. Wenn sie nur gekommen war, um sich das Ergebnis dieses verdammten Gifts anzusehen, konnte sie genauso gut wieder verschwinden.
"Ich habe dir etwas zu Essen mitgebracht. Du hast doch sicher Hunger, oder?" Sie lächelte unsicher und schob ein Tablett näher zu mir. Ich bedachte es nur mit einem kurzen Blick, ehe ich wieder die Wolken draußen ansah. "Nein." Und das war nicht einmal gelogen. Ich hatte wirklich keinen Hunger, nicht einmal Appetit.
"Nun...", sie stand auf und beobachtete mich unschlüssig, "..ich lasse es hier stehen, vielleicht willst du ja nachher etwas." Ich antwortete nicht. Mit ein bisschen Glück würde sie jetzt endlich gehen und mich in Ruhe nachdenken lassen. Dass ich etwas essen würde, bezweifelte ich noch immer. "Warum sagst du ihm nicht einfach, wo das Versteck der Rebellen ist?" Diese Frau gab aber auch wirklich nie auf. "Weil ich es nicht weiß", murmelte ich, ohne sie anzusehen. "Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es nicht sagen. Ich verrate meine Freunde nicht, mal ganz davon abgesehen, dass das den Tod von tausenden unschuldigen Menschen bedeuten würde."
"Die Wenigsten würden tatsächlich hingerichtet werden."
"Und die Sklaverei ist so viel besser?", konterte ich. "Im Endeffekt hätten alle ein ziemlich beschissenes Leben vor ihrem Tod, dafür will ich nicht verantwortlich sein." Dazu kam noch die Aussicht, bei einem Geständnis zu Newtons Sklavin zu werden. Das war nicht gerade das Leben, was ich mir erträumte, also würde ich es noch so lange wie möglich hinauszuzögern. Wahrscheinlich ließ er mich momentan nur in Frieden, weil ich Hochverrat begangen hatte und es seinem Ruf schaden würde, wenn er sich vor meiner Verurteilung in irgendeiner Weise mit mir einlassen würde. Umso besser für mich.
"Aber...", setzte Dr. Skylander an, bevor sie grob unterbrochen wurde. "Was machen Sie hier?" Großartig, das hatte mir gerade noch gefehlt.
"I-ich habe Lola nur etwas zu Essen gebracht", erwiderte sie eingeschüchtert.
"Aha." Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sich Damon meinem Bett näherte und skeptisch zwischen Dr. Skylander und mir hin und her sah. "Und warum isst sie dann nichts?"
"Weil sie keinen Hunger hat", zischte ich genervt in seine Richtung. Auf irgendeine verrückte Art und Weise war ich froh über sein Verhalten. Es machte mich wütend und Wut war im Moment so ziemlich das Einzige, was die Möglichkeit hatte, die Verzweiflung zu verdrängen. Somit brach ich wenigstens nicht gleich wieder in Tränen aus.
"Ist mir egal, ob du keinen Hunger hast, du solltest etwas essen." Stirnrunzelnd blieb er ungefähr einen Meter vor mir stehen.
"Ist mir egal, ob es dir egal ist, ich werde nichts essen", sagte ich augenverdrehend und schob das Tablett demonstrativ von mir weg. Ich würde schon allein deswegen nichts essen, weil er wollte, dass ich es tat. Jeder noch so kleine Protest war ein Erfolgserlebnis für mein Selbstbewusstsein, das musste ich nutzen.
"Doch, wirst du", entgegnete Damon und machte noch einen Schritt in meine Richtung, was mich unwillkürlich zurückweichen ließ. Zu blöd nur, dass das Bett nicht sonderlich breit war, weswegen ich rückwärts herunterfiel. Angespannt stand ich wieder auf und funkelte Damon aggressiv an. "Damit ich es nachher vor lauter Schmerzen wieder auskotze? Nein danke, ich verzichte." Ich verschränkte die Arme und starrte ihn herausfordernd an. "Deswegen bist du doch hier, habe ich Recht?"
Er legte den Kopf schief, als wüsste er nicht so richtig, was ich meinte. "Eine Zwangsernährung ist ziemlich unangenehm, soweit ich weiß. Willst du es wirklich darauf ankommen lassen?" Wollte ich das? Eigentlich nicht, aber nachgeben wollte ich ebenso wenig. Hilfesuchend sah ich zu Dr. Xy, die jedoch gerade beinahe fluchtartig den Raum verließ. Ging es denn noch rücksichtsloser?
Für einige Sekunden schaffte ich es, dem Blickkontakt mit Damon standzuhalten, brach dann aber ab. Zähneknirschend huschte ich zurück zu meinem Bett und schnappte mir einen Apfel, ehe ich in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers lief. Dort setzte ich mich mit überkreuzten Beinen auf den Boden und hoffte, dass Damon nicht bemerkt hatte, wie sehr es mir widerstrebte, ihm den Rücken zuzuwenden.
Während ich an meinem Apfel knabberte und auf den Boden vor mir starrte, spürte ich, wie sich mir Schritte näherten. Also würde er nicht einfach gehen, wäre auch zu schön gewesen. "Du hast meine Frage nicht beantwortet."
"Ich weiß." Er setzte sich mir gegenüber und ich widerstand dem Drang, aufzuspringen und wegzulaufen.
"Was willst du dann hier?", murmelte ich und presste meine Fingernägel in meine Handfläche, um den aufkommenden Tränen entgegenzuwirken.
"Aufpassen, dass du auch wirklich etwas isst und nicht einfach alles wieder ausspuckst."
"Ich könnte es auch auskotzen."
"Als ob du das machen würdest", erwiderte er belustigt. Ich ertappte mich dabei, ebenfalls zu lächeln und biss mir schnell auf die Lippe. Ich sollte ihn hassen anstatt ein vollkommen normales Gespräch mit ihm zu führen, als wäre alles wie früher. Das war es nicht und das wussten wir beide. Wenn es nach mir ginge, würden wir uns bestenfalls nie wiedersehen. "Warum tust du das Alles? Wenn du doch sowieso für die Regierung bist, warum hast du dich dann erst den Rebellen angeschlossen?" Diese Fragen geisterten mir schon seit gestern Abend im Kopf herum. Und da Damon eh nicht verschwinden würde, konnte ich genauso gut hoffen, endlich Antworten zu bekommen.
"Ich weiß nicht. Eigentlich bin ich weder für die Regierung noch für die Rebellen. Wem ich mich anschließe, hängt ganz davon ab, welche Seite mehr Vorteile für mich bringt", antwortete er nach ein paar Minuten Schweigen, in denen ich mich schon damit abgefunden hatte, mal wieder keine Erklärung zu erhalten.
"Also stehst du nur auf deiner Seite?", ungläubig hob ich meinen Blick wieder. "Das kann nicht dein Ernst sein. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Menschen dir vertraut haben? Und du wirfst das einfach weg, weil du ein besseres Angebot bekommen hast....Wie kann man nur so kaltherzig sein?"
"Du würdest dich wundern, wie viele Menschen genauso handeln würden, wenn sie die Möglichkeit hätten." Das bezweifelte ich. Abgesehen von einer Handvoll Leute würde sich bestimmt niemand so selbstsüchtig verhalten, das konnte ich mir nicht vorstellen. "Du hast deine eigene Schwester verraten! Ich will gar nicht wissen, wie sich Clara jetzt fühlen muss." Ich war zornig aufgestanden und dazu übergegangen, Damon anzuschreien. Und ich fühlte mich tausendmal besser als vorher, jetzt, wo ich ihm meine Meinung sagte; das hätte ich schon viel eher tun sollen.
"Clara bekommt eine Begnadigung, falls sie geschnappt wird", sagte Damon ruhig und stand ebenfalls auf.
"Und das glaubst du?! Sie wird, wenn überhaupt, auch nur in der Sklaverei enden. Was willst du dann machen, sie kaufen? Wenn du mich fragst, ist das Alles einfach nur schwachsinnig. Sobald irgendwie die Chance besteht, dass die Rebellen diesen Krieg gewinnen werden, schlägt du dich wieder auf ihre Seite, richtig? Aber so wird das nicht laufen; Newton wird nicht zulassen, dass du wieder verschwindest. Selbst wenn er dir versprochen hat, dass du machen kannst, was du willst, sobald die Rebellen unschädlich gemacht worden sind, wird er das nie einlösen! Du wirst immer die Drecksarbeit für ihn erledigen müssen, angefangen dabei, mich zu foltern, bis hin, für ihn in den Kampf zu ziehen. Es ist krank, mit diesem Mann zusammenzuarbeiten!"
"War's das dann?" Perplex hielt ich inne und vergaß, was ich eigentlich noch sagen wollte. Anstatt wütend zu werden oder mich mitten im Satz zu unterbrechen, hatte er einfach abgewartet, bis ich mal Luft geholt hatte. Es interessierte ihn überhaupt nicht, was ich gerade gesagt hatte, es war ihm völlig egal.
"Nein, das war's noch nicht ganz", murmelte ich wütend. "Früher habe ich immer gedacht, dass so ungefähr der mutigste Mann bist, den ich kenne; jetzt habe ich begriffen, dass du eigentlich nur feige bist."
"Was?" Von einer Sekunde zur nächsten hing ich wortwörtlich an der Wand und versuchte hilflos Damons Hand von meinem Hals wegzubekommen. Verzweifelt strampelte ich mit den Beinen in der Luft und fing an zu husten. "Es...es ist feige, sich nicht...für eine Seite zu ent-scheiden und zu dieser...Entscheidung zu stehen." Allmählich begannen schwarze Punkte vor meinen Augen zu tanzen, Damon schien jedoch gar nicht daran zu denken, mich loszulassen.
"Urteile nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast", knurrte er leise und ignorierte meine Versuche, wieder auf den Boden zu gelangen.
"Luft...bitte...", röchelte ich panisch. Mein Sichtfeld war bereits vollkommen mit den schwarzen Punkten ausgefüllt, ich hörte das Blut unangenehm laut in meinen Ohren rauschen. Nicht mehr lange und ich würde vollständig ohnmächtig werden. Kurz bevor ich tatsächlich das Bewusstsein verlor, knallte ich plötzlich auf den harten Boden. Hustend und keuchend blieb ich liegen und atmete erleichtert die rettende Luft ein, bis ich meinen Beinen wieder zutraute, nicht sofort einzuknicken, wenn ich mich aufrichtete.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt