49. Kapitel

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Sehnsüchtig starrte ich auf den leeren Platz neben mir und unterdrückte ein Seufzen. Seit wir vor zwei Tagen knapp den Soldaten der Regierung entkommen waren, hatte ich kaum ein paar Stunden geschlafen. Von mehreren langen, beinahe schon verhörartigen, Gesprächen, was genau eigentlich passiert war, über Vorwürfe, dass ich Damon nicht von dieser schwachsinnigen Idee abgehalten hatte, bis hin zu endlosen Diskussionen, was man hätte besser machen können; im Endeffekt waren all diese Treffen reine Zeitverschwendung gewesen. Damon war, wie zu erwarten, nicht urplötzlich wieder gesund und munter aufgetaucht und allmählich verlor auch der Letzte die Hoffnung, dass das noch passieren würde.
Somit fehlte, mal wieder, ein Ratsmitglied, was uns jedoch nicht davon abhielt, eine weitere Krisensitzung einzuberufen. Besser gesagt, es hielt die anderen nicht davon ab, mich hatten sie nicht nach meiner Meinung gefragt, sondern einfach herbeordert.
"Darf ich fragen, warum wir hier sind?", sagte Laura gähnend und sah sich missmutig um. Ich wunderte mich immer noch, wie sie ein Ratsmitglied werden konnte; bis jetzt waren ihre Beiträge alles andere als nützlich gewesen. Damon hatte mir mal erklärt, dass auch eine Zivilistin beziehungsweise ein Zivilist im Rat sein musste, aber dafür gab es doch sicher geeignetere Personen.
Aber in einem musste ich ihr Recht geben, ich sah ebenfalls keinen Sinn darin, dass wir hier waren. Und wenn jetzt nochmal jemand alle Einzelheiten über das Geschehene hören wollte, sollten sie sich jemand anderen suchen. Dreimal musste meiner Meinung nach reichen, mal ganz davon abgesehen, dass uns das nicht weiter brachte.
"Wir sind hier, weil wir eine Entscheidung treffen müssen", erklärte Christina und drehte unruhig einen Kugelschreiber in ihrer Hand. "Glaubt irgendjemand hier noch daran, dass Damon zurückkommt?" Augenblicklich wurde die Atmosphäre noch bedrückender, als sie sowieso schon war. Nacheinander schüttelte langsam jeder den Kopf, bis Christinas Blick an mir hängen blieb. Ich hatte noch nichts gesagt, um ehrlich zu sein, wusste ich die Antwort selbst nicht. Einerseits wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass Damon einfach wieder auftauchen würde, doch andererseits wusste ich tief im Inneren, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. "Nein", murmelte ich schließlich leise und starrte wieder auf den leeren Stuhl.
Ich wollte nicht hier sein, ich wollte nicht über das weitere Vorgehen diskutieren. Das Einzige, was ich wollte, war, mich in mein Bett zu verkriechen und solange zu schlafen, bis das alles vorbei war. Schlafen, und diese schrecklichen Schuldgefühle, die mich ununterbrochen quälten, verdrängen. Anne, Zoey, Clara und sogar ich selbst versuchten mir einzureden, dass es nicht meine Schuld war; ich hätte überhaupt nichts tun können, um Damon davon abzuhalten zu gehen. Doch die Zweifel und das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben, ließen sich auch mit allen noch so guten Argumenten nicht abschalten. Im Gegenteil, desto mehr ich mir sagte, dass ich richtig gehandelt hatte, desto mehr Vorschläge, was ich anders hätte machen können, brachte meine innere Stimme.
"Ich verstehe gar nicht, warum wir uns noch immer mit diesem Thema auseinandersetzen. Die haben Damon sowieso umgebracht, das können wir auch durch einen Haufen Diskussionen nicht ändern." Leons genervte Stimme riss mich aus meiner Lethargie und ich starrte ihn ungläubig an.
"Damon ist nicht tot." Das konnte und wollte ich mir einfach nicht vorstellen; noch bestand die winzige Hoffnung, ihn irgendwann wiederzusehen.
"Woher willst du das wissen? Dafür gibt es keine Beweise", warf Freya ein und sah mich erwartungsvoll an. Allmählich wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie keine Ahnung von den Vorgehensweisen der Regierung hatten. "Newton würde Damon schon allein deswegen am Leben lassen, damit er irgendwelche Experimente zur Erschaffung der Supersoldaten an ihm durchführen kann. Jemand, der gleich zwei übernatürliche Fähigkeiten besitzt, ist viel zu wichtig, um getötet zu werden." Jedenfalls redete ich mir das die ganze Zeit ein; ich konnte nur beten, dass es auch die Wahrheit war.
"Mal ganz davon abgesehen, dass sie erstmal versuchen werden, alle Informationen über uns aus Damon herauszubekommen", ergänzte Colin meine Erklärung. "Ich bin dafür, dass wir eine Evakuierung anordnen. Die Gefahr, dass irgendjemand von den, zum Teil unbewachten, Eingängen erfährt, ist zu groß. Und unsere ganzen Sicherheitsvorkehrungen nutzen uns auch nichts, wenn Damon verrät, wie sie zu umgehen sind."
"Er würde uns niemals verraten", entgegnete ich. Im selben Moment erkannte ich, dass auch das Wunschdenken war.
"Freiwillig nicht, aber es gibt durchaus Methoden, um gegen den Willen eines Menschen an Informationen zu kommen. Und wenn die Regierung ebenfalls eine Art Wahrheitsserum besitzt..." Clara beendete den Satz nicht, doch wir alle wussten, was sie sagen wollte. Ich wusste nur zu gut, dass man sich diesem Zeug nicht widersetzen konnte.
"Also sollten wir wirklich hier verschwinden, bevor ein Haufen Soldaten mit übernatürlichen Kräften hier eindringen und uns alle umbringen", fasste Liz nachdenklich die bisherige Diskussion zusammen. Unsicher sah ich Christina an; wie immer hatte sie unser Gespräch schweigend verfolgt und machte auch jetzt keine Anstalten, einen Beitrag dazu zu leisten. Dann konnte ich genauso gut meine Bedenken vortragen.
"Aber wäre es nicht im Endeffekt ziemlich dumm, von hier zu verschwinden? Ich meine, wenn sie uns hier angreifen können, können sie das auch in jedem anderen Lager." Für einen Moment starrten mich alle fassungslos an, offenbar hatte noch niemand diese Möglichkeit bedacht.
"Der Einwand ist berechtigt, Lola. Aber sie können uns nicht angreifen, wenn sie nicht wissen, wo wir sind", beantwortete Christina selbst meine Frage.
"Wie...", ich dachte kurz nach. "Soll das heißen, Damon weiß nicht, wohin wir gehen könnten?" Jetzt war ich vollends verwirrt.
"Genau das heißt es. Er weiß zwar, dass es mehrere andere Verstecke gibt, aber er weiß nicht, wo sie sind. Für genau solche Fälle bin ich die Einzige, die die genaue Lage kennt." Klang einleuchtend, in dem Fall sollten wir wohl wirklich gehen. Andererseits.... Falls Damon wider Erwarten doch entkommen konnte, würde er uns nicht finden können. 'Natürlich könnte er das, immerhin ist es Damon von dem wir hier sprechen', beruhigte mich meine innere Stimme.
"Also, wer ist dafür, dass wir evakuieren?", fragte Colin nach einem letzten Blick zu Christina. Widerstrebend hob ich die Hand. Am liebsten würde ich hier bleiben, aber ich sah ein, das wir keine andere Wahl hatten.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt