77. Kapitel

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Ein leises, beinahe schüchternes Klopfen riss mich aus meinen Überlegungen. Mein Blick huschte kurz zu Damon, ehe ich mich vorsichtig aus seiner Umarmung befreite und hoffte, dass ich ihn nicht weckte. Nachdem wir gefühlte Stunden über die verschiedensten Dinge geredet hatten, war er wieder eingeschlafen, während ich realisiert hatte, dass es gerade mal fünf Uhr morgens war.
Eine Weile hatte ich ebenfalls versucht, wieder zu schlafen, es aber schließlich aufgegeben und stattdessen den Moment genossen. Ich war glücklich.
In den letzten Stunden gab es keine kontrollsüchtige Regierung, keine Rebellen, die nicht viel besser handelten, und vor allem keinen Krieg, in dem wir alle umkommen könnten. Es gab nur uns beide, zwei Liebende, die glücklich waren, einfach nur nebeneinander zu liegen und zu reden, alles um sich herum vergessend.
Und diese winzige Idylle zerbrach mit eben jenem Klopfen auf einen Schlag, die Realität kehrte zurück.
Seufzend schlich ich zur Tür, insgeheim hoffend, das wer auch immer bereits wieder verschwunden war, und öffnete sie einen Spalt. Die plötzliche Helligkeit nach dem angenehmen Halbdunkeln in Damons Zimmer ließ mich die Augen zusammenkneifen. Als ich erkannte, wer genau da störte, entschied ich mich kurzerhand, doch vollständig auf den Gang zu treten und die Tür hinter mir zu schließen.
Das dürfte ein längeres Gespräch werden.
"Bitte sag mir, dass das jetzt genau das ist, wonach es aussieht", sagte Anne mit einem breiten Grinsen.
"Ich ... Was? Ist der Satz nicht normalerweise anders herum? Und warum soll ich das sagen? Wonach sieht es überhaupt aus?", fragte ich verblüfft. Anne schüttelte nur lachend den Kopf.
"Damon ist netter, wenn ihr zusammen seid und genau danach sieht es gerade aus."
Augenverdrehend ließ ich ihre Aussage unkommentiert, auch wenn ich ihr im Stillen Recht gab. Trotzdem erklärte das nicht, warum sie aufgrund dieser Neuigkeit so gut drauf war. Andererseits - so wie ich sie kannte, hatte sie bereits mit irgendjemandem Wetten abgeschlossen, dass ich Damon noch eine Chance geben würde. Und jetzt, wo ich so darüber nachdachte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass dieser jemand Colin war.
Da Anne anscheinend schon in Gedanken ihren Gewinn zusammenrechnete, wandte ich mich stattdessen an Liz, die mich kritisch musterte. "Bist du dir sicher?"
"Ja", antwortete ich mit einem schiefen Lächeln. "Ich habe bloß viel zu lange gebraucht, um mir das selbst einzugestehen."
"Na dann..." Sie schien nicht völlig überzeugt zu sein, hackte aber nicht weiter nach. "Eigentlich sind wir auch nur gekommen, weil wir dich gesucht haben. Ich hätte zwar hier als letztes gesucht, aber Anne hat darauf bestanden, womit sie mal wieder Recht hatte."
"Klar hatte ich Recht, schließlich kann ich inzwischen schon fast vorhersehen, was Lola tun wird, bevor sie es selbst weiß", schaltete sich meine Freundin ein und wich mit Leichtigkeit meinem scherzhaften Stoß aus.
"Dann kannst du mir doch bestimmt auch sagen, was ich als nächstes tun werde, oder?", erwiderte ich lachend.
"Mhm, warte, ich muss erst Kontakt zu den zukünftigen Ereignissen herstellen." Sie schloss scheinbar hochkonzentriert die Augen und vollführte geheimnisvolle Gesten, während sie unverständliche Worte murmelte.
Währenddessen trat Liz neben mich und beobachtete kopfschüttelnd unsere Freundin. "Das glaubst du doch nicht wirklich."
"Wer weiß", antwortete ich lächelnd, "vielleicht kann sie ja tatsächlich zu einem bestimmten Teil die Zukunft vorhersehen. Wundern würde es mich bei den ganzen Fähigkeiten, die es inzwischen gibt, nicht."
"Also", begann Anne, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte. "Du wirst Liz überzeugenden Argumenten nachgeben, auch wenn du dich bisher vehement dagegen gewehrt hast, und ihrer Bitte zustimmen. Dann wirst du heute noch einen Streit provozieren, dich in Dinge einmischen, die dich, wenn es nach anderen geht, nicht zu interessieren haben, und jemanden wiedertreffen, den du nicht leiden kannst." Zugegebenermaßen, die erste und letzte Vorhersage überraschten mich, doch die anderen waren weniger verwunderlich. Wahrscheinlich tat ich beides unbewusst mindestens einmal pro Woche, wenn ich mich nicht gerade in meinem Zimmer verkroch.
"Und", ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf Annes Gesicht, "du wirst dich gleich erschrecken."
"Wa-" Meine Frage blieb mir im Hals stecken, als ich urplötzlich hochgehoben, einmal im Kreis herumgewirbelt und wieder abgesetzt wurde.
Vollkommen überrumpelt lehnte ich mich an die Wand und versuchte, mein rasendes Herz einigermaßen zu beruhigen. Das war definitiv nicht witzig.
"Du musst aber auch alles verderben, Anne. Gönnst du mir nicht einmal ein bisschen Spaß?", beschwerte sich Damon und maß Anne mit einem anklagenden Blick.
"Das nennst du Spaß? Irgendwann kriege ich noch einen Herzinfarkt wegen sowas." Mein Versuch, mitleidserregend zu wirken, scheiterte daran, dass ich selbst ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Meinetwegen konnte Damon mich so oft erschrecken, wie er wollte, solange er sich dafür nicht mehr ununterbrochen Vorwürfe wegen Claras Tod machte.
"Ich konnte einfach nicht widerstehen", entgegnete Anne liebenswürdig. "Übrigens schön, dass du wieder unter den Lebenden weilst. Clara hätte nicht gewollt, dass du deine ganze Zeit damit verbringst, um sie zu trauern."
Damons Gesicht verfinsterte sich bei ihren Worten erneut. Erst, als ich wieder neben ihn trat, mich an ihn lehnte und er einen Arm um mich legte, entspannte er sich etwas.
Auch wenn es mich selbst noch immer erstaunte, konnte ich nicht leugnen, dass er Kraft aus meiner Nähe zu schöpfen schien. Und irgendwie war ich tatsächlich froh darüber.
"Um was genau wolltest du mich denn bitten, Liz?", erinnerte ich mich wieder an Annes mysteriöse Zukunftsvorhersage.
"Nun ... in einer Stunde findet die nächste Ratsversammlung statt und ich glaube, du solltest wirklich wieder einmal daran teilnehmen", sagte meine Freundin und hob die Hand, um meinen beginnenden Protest zu ersticken. "Ich weiß, dass du das für unnötig hälst, aber hör mir bitte kurz zu. Du hast letztens erwähnt, dass du die derzeitige Politik der Rebellen nicht gutheißt, schon allein das dürfte Grund genug sein, um sich in ebendiese einzumischen. Abgesehen davon bist du vor ein paar Monaten nicht umsonst Ratsmitglied geworden. Du hast dich noch nicht so lange mit den Themen beschäftigt und darüber diskutiert wie wir anderen, weswegen dir Dinge auffallen, an die kein anderer bisher gedacht hat und so etwas brauchen wir dringend. Nicht zu vergessen, dass die Baby-Sache auch noch nicht vollständig geklärt ist."
"Ich weiß nicht ...", murmelte ich unsicher. Sie mochte mit ihren Argumenten durchaus Recht haben, doch auf der anderen Seite widerstrebte es mir, wieder mit den Menschen, die, zumindest teilweise, ohne mein Wissen oder Einverständnis über meinen Körper verfügen wollten, zu sprechen. Und auch wenn ich mich notfalls dagegen verteidigen wollte, hatte ich wenig Lust, in einer Diskussion über dieses Thema zu enden. Zumal ich alles andere als die geborene Politikerin war.
"Komm wenigstens dieses eine Mal mit. Danach kannst du immer noch sagen, dass du das nicht willst", bat Damon.
Anne machte ebenfalls den Eindruck, als wäre sie dafür.
Drei gegen eins war auch so gar nicht unfair.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt