66. Kapitel

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Unruhig versuchte ich die durcheinander wirbelnden Gedanken in meinem Kopf einigermaßen zu sortieren. Allmählich realisierte auch der kleinste Teil von mir, was Damon gesagt hatte. Abgesehen davon, dass er mich liebte, das würde ich nicht so schnell glauben, ich konnte es einfach nicht.
Doch was den Rest anging - es ergab Sinn, irgendwie. Ich traute es der Regierung mehr als zu, jeden Menschen in ihrem Sinne zu manipulieren, auch wenn ich die Hintergründe vom Verändern der Erinnerungen noch nicht nachvollziehen konnte, geschweige denn eine Idee hatte, wie das möglich war.
Allein die Tatsache, dass es offenbar möglich war, bereitete mir Kopfschmerzen von all den Dingen, über die ich unwillkürlich nachdenken musste. Wenn man wirklich so einfach Menschen manipulieren konnte, woher sollte ich dann wissen, wem ich trauen konnte?
"Wie kann es dann sein, dass du mir gerade das alles erzählt hast? Wenn die Wissenschaftler der Regierung dich manipuliert haben, dürftest du gar nicht wissen, dass sie es getan haben", fragte ich schließlich, in der Hoffnung so zumindest etwas Ordnung in das Chaos zu bringen.
Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass Damon deutlich entspannter als noch vor ein paar Minuten war. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte er wirklich befürchtet, dass ich ausrasten oder ihm nicht glauben würde, was auch irgendwie verständlich war, wenn man bedachte, dass er mich liebte. Oder nein, das glaubte ich ihm doch nicht. Aber vielleicht tat er es ja wirklich? Das würde zumindest einige Dinge erklären - und noch mehr verkomplizieren.
"Soweit ich weiß, wirkt die Manipulation nicht dauerhaft, sondern muss immer wieder erneuert werden, jedenfalls ist das die Erklärung von Clara", begann Damon, bevor ich ihn unterbrach. "Warte mal, soll das heißen, du warst bei den Rebellen? Wann das denn? Und warum erwähnst du das erst jetzt? Könntest mich um Himmels Willen mal aufklären? Ich verstehe überhaupt nichts mehr."
Er warf mir einen verärgerten Blick zu, der verhinderte, dass ich noch mehr Fragen hintereinander stellte. Und ich hatte schon befürchtet, er wäre jetzt ausnahmslos nett zu mir.
"Wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest -"
"Also ständig würde ich es nun nicht nennen", murmelte ich, ehe ich beschloss lieber den Mund zu halten. Wo hatte ich eigentlich plötzlich wieder den Mut, Damon zu widersprechen, her? Musste an dem Wahrheitsserum liegen.
"- hätte ich dir schon alles erklärt und doch, du unterbrichst mich ständig. Um zurück zum Thema zu kommen, ja, ich war bei den Rebellen, was glaubst du denn, wo wir gerade hinfahren?", fuhr er fort. "An dem Tag, als du fliehen konntest, gab es doch einen Alarm. Um genau zu sein, wurde der von einer Gruppe Soldaten, die das Gebäude angriffen, ausgelöst. Ursprünglich wollten sie dich retten, was du dann aber schon hervorragend selbst erledigt hast, weswegen sie sich dann darauf beschränkten, mich gefangen zu nehmen."
Die Betonung lag auf gefangen nehmen. Schön zu wissen, dass sich tatsächlich jemand nach zwei Wochen die Mühe gemacht hatte, mir helfen zu wollen. Auf die Idee hätten sie ruhig eher kommen können.
Und was sollte das eigentlich heißen, dass wir zu den Rebellen wollten? Ich dachte ernsthaft die ganze Zeit, dass wir auf dem Weg zu irgendeinem Standort des Geheimdienstes waren und jetzt erzählte er mir ganz nebenbei, dass ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht hatte?!
Ich schluckte den nächsten sarkastischen Kommentar herunter und konzentrierte mich stattdessen lieber wieder darauf, weitere nützliche Informationen zu bekommen. "Das erklärt aber immer noch nicht, warum die Manipulation verschwunden ist." Ich erinnerte mich gerade noch rechtzeitig daran, dass das Wahrheitsserum nur bei richtigen Fragen wirkte und hängte schnell noch eine dran. "Also was ist passiert, nachdem du von unseren Leuten gefangen genommen wurdest?"
"So richtig weiß ich das auch nicht mehr, ich kann mich an den Großteil der Zeit während ich bei der Regierung war nur noch Bruchstückhaft erinnern", sagte Damon und schenkte mir einen Unterbrich-mich-jetzt-bloß-nicht-wieder-Blick. "Ich kann dir nur sagen, was mir berichtet wurde. Anscheinend haben sie mich etwa eine Woche in einer Zelle unter strengster Bewachung sitzen gelassen und währenddessen beratschlagt, was sie am Besten mit mir machen sollten. Keiner hatte eine Idee, was genau mit mir los war, aber zumindest waren sie schlau genug, mir nicht zu vertrauen.
An einem Morgen hat dann einer der Wächter festgestellt, dass ich mich anders verhalten habe. Ab dem Zeitpunkt sind meine Erinnerungen wieder vollständig, weswegen Clara vermutet, dass die Manipulation des Gedächtnisses nur temporär ist.
Jedenfalls hat Christina dann beschlossen, mir zumindest soweit trauen zu können, um mit einem Verhör zu beginnen." Er machte eine kurze Pause, schien zu warten, ob ich irgendetwas dazu sagen wollte.
Doch ich blieb still, wollte viel zu gern wissen, was als nächstes passierte, als das ich es gewagt hätte, ihn zu unterbrechen.
"Wie du dir vielleicht denken kannst, hatte ich das Vergnügen, während der Befragung ununterbrochen unter dem Wahrheitsserum zu stehen. Dementsprechend mussten sie ziemlich schnell einsehen, dass ich kaum etwas von dem wusste, was geschehen war.
Ich habe ständig gefragt, was zum Teufel das alles sollte, bis Alaric schließlich vorgeschlagen hat, dass sie mir die Überwachungsvideos, die sie von irgendeinem Speicherort der Regierung angezapft hatten, zeigen sollten.
Ich schwöre dir, wenn ich gewusst hätte, was ich darauf sehen und vor allem hören würde, hätte ich mich geweigert. Allein schon dich so schreien zu hören..."
"Nein!", unterbrach ich ihn erschrocken. "Lass uns einfach nicht darüber reden, okay?" Ich hatte es gerade geschafft, die Erinnerung einigermaßen zu verdrängen und hatte nicht vor, die Wunden durch dieses Gespräch wieder aufzureißen.
Damon musterte mich nachdenklich. "Wir sollten aber darüber reden."
"Ist mir egal, was wir sollten, ich will es nicht, akzeptiers einfach", erwiderte ich verärgert. Es war meine Sache, wie ich damit klar kam und ging ihn überhaupt nichts an. Ich war bis jetzt ohne darüber zu reden ausgekommen also würde ich es auch noch länger tun. "Den Rest der Geschichte kann ich mir denken; du konntest Christina überreden, dir zu erlauben mich zu suchen, wohl wissend, dass ich eine riesen Angst vor dir hatte und generell nicht sonderlich gut auf dich zu sprechen war. Hast du eigentlich auch mal eine Sekunde lang darüber nachgedacht, wie ich mich dabei fühle?! Und was ist überhaupt so lustig, dass du die ganze Zeit so dämlich grinst?"
"Ja, ich habe darüber nachgedacht, wie du dich fühlst, sogar öfter als du glaubst. Was deine zweite Frage angeht; ich habe es vermisst, mit dir zu diskutieren", sagte er schmunzelnd. "Und schon allein die Tatsache, dass du nicht mehr schweigend aus dem Fenster starrst, sondern mich anschreist, zeigt dass du gar keine so große Angst mehr vor mir hast. Mal ganz davon abgesehen, dass du 'hatte', nicht 'habe' gesagt hast."
"Idiot", murmelte ich und beschloss doch wieder aus dem Fenster zu sehen. Meine Antworten hatte ich ja jetzt, da konnte ich Damon genauso gut erneut ignorieren.
Außerdem konnte ich so besser nachdenken und die verschiedenen Puzzleteilchen zu einem Ganzen zusammensetzen. Die Tatsache, dass ich keine Angst mehr vor Damon hatte, stimmte im Übrigen auch nicht. So schnell verschwand sie nicht.
"Komm schon, Prinzessin, du willst mich doch nicht ernsthaft wieder ignorieren, oder?", fragte er spöttisch. Meine aufschlussreiche Antwort "doch" schien ihn nicht davon abzuhalten, mir weiterhin ein Gespräch aufdrängen zu wollen. "Worüber denkst du nach?" Immerhin hatte er es diesmal geschafft, wieder einen freundlichen Tonfall anzuschlagen.
Trotzdem hatte ich alles andere als Lust, ihm zu antworten und verfluchte mich innerlich selbst, das Wahrheitsserum genommen zu haben. Diese Frage konnte ich nicht mit einem einfachen ja oder nein abfertigen.
"Im Moment?", sagte ich genervt. "Über vieles, jetzt gerade habe ich überlegt, ob ich dir wirklich vertrauen kann."
"Warum solltest du es nicht können?", wandte er stirnrunzelnd ein.
"Wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest, hätte ich dir das schon erklärt", ahmte ich ihn nach und registrierte zufrieden, dass erneut Ärger in seinen Augen aufblitzte. Er war nicht der Einzige, der unfair sein konnte. "Also, ich bezweifle, dass du dir schonmal Gedanken darüber gemacht hast, weswegen du es vermutlich nicht nachvollziehen kannst, aber das ist ja auch egal. Ich habe darüber nachgedacht, dass du zwar aufgrund des Wahrheitsserums das gesagt hast, was du als wahr empfindest, doch das bedeutet nicht, dass es auch die richtige Wahrheit ist."
Damon starrte mich kurz an, als hätte ich in einer fremden Sprache geredet. "Was?"
Ich sagte ja, dass er's nicht verstehen würde. Seufzend setzte ich zu einer Erklärung an. "Na das Serum bewirkt doch nur, dass man das sagt, was man für wahr hält, was aber nicht heißt, dass es auch wahr ist. Wenn man es von der Seite betrachtet, gibt es mehrere Möglichkeiten, was wirklich passiert ist.
Erstens: es ist alles so passiert, wie du gesagt hast.
Zweitens: es ist zwar alles genauso passiert, aber nachdem du bei den Rebellen warst, bist du nochmals in die Hände der Regierung gefallen, die wiederum deine Erinnerung so manipuliert haben, dass du es nicht mehr weißt.
Drittens: der Teil bis zu den Rebellen ist wirklich passiert und dann hat man deine Erinnerung so verändert, dass du glaubst, entkommen zu sein, während du in Wirklichkeit noch unter dem Einfluss der Regierung stehst. Wobei hier dagegen spricht, dass du das Wahrheitsserum dabei hast, also scheidet diese Möglichkeit vermutlich aus.
Viertens: unsere beiden Erinnerungen wurden manipuliert und nichts davon ist wirklich passiert.
Fünftens: du wurdest gar nicht manipuliert bevor ich abhauen konnte und hast tatsächlich nur wegen dem Geld so gehandelt und wurdest später manipuliert, damit du mir ehrlich das alles erzählen kannst und ich dir somit glauben sollte." Ich stoppte kurz in meiner Erklärung und überlegte, ob ich irgendetwas vergessen hatte. Nein, weiter war ich in meinen Überlegungen noch nicht gekommen.
"Wow, das war...interessant. Zugegebenermaßen habe ich wirklich noch nie darüber nachgedacht. Also könnte es theoretisch auch sein, dass wir gerade nicht auf dem Weg zu den Rebellen sind sondern mit ein bisschen Pech direkt in ein Forschungslabor der Regierung hereinspazieren", bemerkte Damon nach einigen Sekunden.
"Jep", war mein geistreicher Kommentar dazu, während ich mit den Gedanken schon wieder woanders war. "Wenn man Erinnerungen manipulieren kann, muss man sie doch auch 'ansehen' können. Warum solltest du mich dann foltern, um an Informationen zu kommen? Die Wissenschaftler hätten mich doch auch einfach der selben Prozedur wie dich unterziehen können. Dann hätten sie viel schneller gewusst, dass ich ihnen nicht sagen konnte, was sie hören wollten."
"Außer... die Technik ist noch nicht ganz ausgereift und sie wollten sie erstmal an mir testen, um mögliche Nebenwirkungen festzustellen", konterte Damon.
"Aber das macht doch auch keinen Sinn. Warum sollten sie's an dir testen und an mir nicht? Und warum halten wir an?" Ich versuchte einen Blick nach draußen zu erhaschen, doch der noch immer tobende Schneesturm verhinderte, dass ich etwas erkennen konnte.
"Wir halten an, weil ich bei dem Wetter schon seit mehreren Minuten nicht mehr die Straße erkennen kann. Und ich habe keine Ahnung, warum sie es an mir getestet haben und an dir nicht. Vielleicht befürchten sie, dass das Herumpfuschen in den Erinnerungen irgendwann zum Tod führt und wollten nicht riskieren, dass ihnen die bis jetzt einzige bekannte Person, die Telekinese beherrscht, vorzeitig wegstirbt."
Ohne das leise Geräusch des Motors erschien mir die plötzliche Stille im Wagen nahezu gespenstisch. Das Heulen des Windes draußen trug auch nicht gerade zu einer angenehmen Atmosphäre bei.
Ich räusperte mich unbehaglich, als ich feststellte, dass Damons Aufmerksamkeit nun, wo er sich nicht mehr auf das Fahren konzentrieren musste, vollständig auf mir lag. "Das wäre zumindest eine Erklärung, wirklich wissen werden wir es wohl nie. Aber wir müssen doch nicht wegen dem Sturm anhalten, diese Fahrzeuge haben doch normalerweise einen Autopilot, oder?" Wer wusste schon, wie lange ein Schneesturm dauern konnte und ehrlich gesagt war ich nicht gerade scharf darauf, mehrere Stunden lang allein mit Damon ohne irgendeine Beschäftigung auf so kleinem Raum festzuhängen.
"Weil der Nachteil an dem Autopilot ist, dass man uns damit innerhalb weniger Sekunden orten kann, was ich gerne vermeiden würde", sagte er, offensichtlich belustigt von meinem Unbehagen. "Aber ein paar andere Vorteile haben die modernen Autos auch noch. Beispielsweise könntest du die Zeit nutzen, um zu schlafen."
"Ich bin nicht müde, vielleicht solltest stattdessen lieber du schlafen", entgegnete ich herausfordernd. Ich würde nicht einmal eine Sekunde eindösen, solange Damon hier war und mich beobachten konnte. "Außerdem ist es viel zu unbequem, im Sitzen zu schlafen."
Verwirrt sah ich, wie ein undeutbares Grinsen über sein Gesicht huschte. "Wenn's weiter nichts ist."

Tadaaaa, ein neues Kapitel. Ich hatte es wirklich vermisst, Lola und Damon miteinander diskutieren zu lassen ^-^

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt