36.Kapitel

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"Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Hier ist noch nie jemand unbemerkt reingekommen."
"Keine Ahnung, vielleicht hat ihnen jemand geholfen. Weißt du, wie viele es sind?"
"Waren triffts wohl eher; ich habe bis jetzt zehn gezählt, Colin hat sieben erledigt. Von den anderen weiß ich bis jetzt noch nichts, in ein paar Minuten wollten sich alle melden und Bericht erstatten."
Obwohl Christina und Damon relativ leise sprachen, verstand ich einen Teil ihres Gesprächs. Ich musste eingeschlafen sein, anders konnte ich mir die fehlenden Erinnerungen nicht erklären. Wenigstens hatte ich mich inzwischen beruhigt. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich dennoch, als ich an die letzten Stunden zurückdachte. Wenn ich immer so ein Problem damit haben würde jemanden zu erschießen, war ich definitiv im falschen Beruf gelandet. "Ähm...", ich räusperte mich kurz, woraufhin alle sich überrascht zu mir drehten. "Also ich glaube ich weiß, wer denen geholfen hat." Unsicher sah ich mich um und stand auf; zu meiner Erleichterung schien niemand meinen Nervenzusammenbruch von vorhin ansprechen zu wollen. Mein Blick blieb schließlich bei Damon hängen, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete. Ich konnte seine Gedanken förmlich hören. 'Spuck's schon aus, Prinzessin, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.' Doch ausnahmsweise beherrschte er sich und trommelte nur ungeduldig mit den Fingern auf einen Tisch. Wo waren wir hier überhaupt? Hatte irgendwie Ähnlichkeit mit einem Bunker, jedenfalls hatte ich mir so etwas immer so vorgestellt. Oder ein Panikraum. Wartet mal, war das nicht im Endeffekt sogar das selbe? Zumindest schienen die dicken Betonwände einiges auszuhalten, die Tür dürfte auch nicht so einfach aufzubekommen sein.
"Lola?" Erschrocken konzentrierte ich mich wieder auf die Realität. Christina sah mich abwartend an, hatte ich irgendetwas verpasst? Verwirrt starrte ich zurück.
"Du sagtest, dass du weißt, wer der Verräter ist", erinnerte sie mich. "Ja, stimmt. 'tschuldigung, ich war gerade irgendwie mit den Gedanken woanders. Dieser Marvin von den neuen Rekruten macht zumindest mit denen gemeinsame Sache, ob er ihnen auch hier reingeholfen hat, weiß ich nicht." Ich versuchte ihrem forschenden Blick auszuweichen, landete jedoch stattdessen bei Damon, der mich aufmerksam musterte. Auch nicht viel besser. Ein bedrückendes Schweigen folgte auf meine Anschuldigung, was mich dazu bewegte die dunkleren Flecken auf dem kalten Boden zu betrachten. Möglicherweise war der Beton hier unregelmäßig aufgetragen oder durch irgendetwas verschmutzt worden, ich würde es wohl nie erfahren.
"Was macht dich da so sicher?" Zu meiner Überraschung ließ Damon sich nicht von seiner Abneigung gegen Marvin lenken, sondern schlug einen einigermaßen neutralen Tonfall an. "Naja...also....", ich holte tief Luft und beschloss einfach alles zu erzählen. Vielleicht würde es irgendwie hilfreich sein. "Nachdem du mich in deiner Wohnung eingeschlossen hattest, habe ich ein paar Minuten später Schüsse gehört. Kurz danach hat dann jemand an der Tür gerüttelt..." "Du hast doch nicht etwa aufgemacht, oder?", unterbrach er mich stirnrunzelnd. Genervt schüttelte ich den Kopf, jetzt hatte ich den Faden verloren. "Natürlich nicht, ich bin doch nicht blöd. Ich habe nach etwas womit ich mich verteidigen konnte gesucht. Da du ja alle Waffen mitgenommen hattest, blieb mir nur mein Messer." Den Stein verschwieg ich lieber, das war mir irgendwie peinlich. Wer verteidigte sich schon mit einem Stein? Das klang echt bescheuert. "Jedenfalls habe ich mich dann hinter der Tür versteckt und abgewartet. Nach ein oder zwei Minuten hatten sie das Schloss geknackt und sind reingekommen. Überraschenderweise haben sie mich tatsächlich nicht gesehen, dafür habe ich gehört, wie zwei sich darüber stritten, ob ich überhaupt da war. Die eine Stimme kam mir bekannt vor, aber ich konnte sie nicht einordnen, bis...." Aus keinem bestimmten Grund hielt ich inne; obwohl es um Marvin, den ich nicht ausstehen konnte, ging, bereitete es mir Bauchschmerzen ihn verraten zu müssen. Aber jetzt konnte ich auch nicht mehr abbrechen und wenn er wirklich mit Newton unter einer Decke steckte, hatte er nichts anderes verdient.
"Biiiis....?" Damon sah mich ungeduldig an. Wahrscheinlich wartete er nur auf einen endgültigen Beweis, um sich auf Marvin zu stürzen. Wobei es ja schonmal ein Erfolg war, dass er überhaupt wartete. "..bis Marvin mich gefunden und einen blöden Kommentar abgeben hat. Als er auf mich losgegangen ist, habe ich ihn K.O. geschlagen und wollte abhauen. Dann sind aber die anderen vier aufgetaucht, woraufhin ich sie gegen die nächste Wand fliegen ließ, mir Marvins Waffe schnappte und wegrannte", beendete ich schnell meine Erklärung und starrte erneut auf den grauen Boden. Warum waren wir überhaupt hier? Es wäre doch sinnvoller nach den Eindringlingen zu suchen, anstatt hier dumm herumzusitzen. Bevor noch irgendjemand einen Kommentar zu Marvin abgeben konnte, wurde die Stille durch das Knacken eines Funkgeräts unterbrochen.
"Zentrale? Hier ist Lucy." Aha, also waren wir das Zentrum des Abwehrsystems und koordinierten alles von hier aus. Das würde zumindest erklären, warum Damon noch hier war. Wer allerdings diese Lucy war, konnte ich nur raten. Wahrscheinlich irgendeine ranghohe Phoenix die eine der Kampftruppen leitete.
"Wir haben ein kleines Problem, Newtons Leute sind in den Überwachungsraum eingedrungen, wir kommen nicht an ihnen vorbei." Das war schlecht. Ziemlich schlecht sogar wenn man's genauer bedenkt. Offenbar sah Damon das ähnlich, andernfalls würde er wohl kaum so fluchen.
"Bleibt wo ihr seid, ich komme", antwortete er schließlich und tippte irgendeinen Code in eine Schalttafel neben der Tür.
"Damon?", begann ich zögerlich. "Nein." "Aber..." Während ein grünes Licht anging und die tonnenschwere Tür sich langsam öffnete, drehte er sich wieder zu mir und funkelte mich wütend an. "Diskutiere nicht mit mir, Prinzessin. Du bleibst hier, notfalls binde ich dich irgendwo fest." Eingeschüchtert senkte ich den Blick; vielleicht hatte er Recht und ich sollte hier bleiben, aber andererseits könnte ich helfen. Kurz dachte ich darüber nach, doch noch einen Versuch zu wagen, ließ es dann aber doch lieber bleiben. Wenn Damon in dieser Stimmung war, sollte man sich echt nicht mit ihm anlegen, die Erfahrung hatte ich schon oft genug gemacht.
"Ich widerspreche dir ja nur ungern, aber du solltest Lola wirklich mitnehmen. Abgesehen davon, dass übernatürliche Fähigkeiten immer hilfreich sind, könnte sie sozusagen als Lockvogel fungieren." Christinas ruhiger Einwand ließ mich verblüfft aufsehen; damit, dass jemand hier der selben Meinung wie ich war, hatte ich nun am allerwenigsten gerechnet. Damon hingegen schien alles andere als begeistert von der Idee zu sein. "Das ist nicht dein Ernst."
"Doch, ist es. Newton will Lola, das hat die Aktion von vorhin erneut bewiesen. Sie würden ihr nichts tun, wären aber abgelenkt", erwiderte sie. Auf die Idee war ich nun nicht gekommen, sonderlich gut gefallen tat sie mir auch nicht. Wenn irgendetwas schief ging, würde ich ziemlich bald mal wieder meinem wahr gewordenen Albtraum gegenüber stehen. Stirnrunzelnd schaute Damon zwischen Christina und mir hin und her. "Du weißt, was ich davon halte Rekruten in einen richtigen Kampf zu schicken...."
"Ich bleibe auch die ganze Zeit hinter dir", warf ich schnell ein. Ich wollte unbedingt helfen, schließlich war das im Endeffekt alles meine Schuld, ohne mich würde Newton sich gar nicht mit den Rebellen befassen. Und wenn ich dafür eben den Lockvogel spielen musste, war das immer noch besser als untätiges Abwarten.
"Meinetwegen. Aber wenn du es auch nur einmal wagst meine Befehle zu missachten, bist du schneller wieder hier, als du reagieren kannst und kannst dich auf eine unangenehme Strafe freuen", knurrte mein Ausbilder mich an und schob mich aus dem sicheren Raum. Offenbar hatte er auch die Vorteile meiner Anwesenheit eingesehen. Oder er hatte keine Lust mehr mit Christina zu diskutieren und spekulierte nun darauf, dass ich irgendeinen winzigen Fehler machte. Da konnte er lange drauf warten, ich war doch nicht lebensmüde. Apropos, "Bekomme ich auch eine Waffe oder soll ich mich hinter dir verstecken?" Augenverdrehend drückte er mir eine Pistole in die Hand. "Betäubungsmunition, pass trotzdem auf, dass du dich nicht selbst oder, noch schlimmer, mich anschießt." "Sehr witzig", murmelte ich und senkte die Waffe. Ich würde sie ganz sicher nicht die ganze Zeit mit ausgestreckten Armen vor mich halten, das war mir viel zu anstrengend. "Glaubst du es war Zufall, dass Newtons Leute ausgerechnet jetzt auftauchen?" Wie versprochen hielt ich mich dicht hinter Damon und versuchte nicht daran zu denken, dass uns jederzeit jemand angreifen konnte.
"Nein", erwiderte er. Irgendetwas in seinem Tonfall hielt mich davon ab weiter zu fragen; wahrscheinlich befürchtete er, dass uns jemand hören konnte. Lächerlich, die Gänge waren wie ausgestorben. Wie konnte es eigentlich sein, dass so wenige Leute eine Gemeinschaft von mehreren tausenden Menschen lahm legen konnten? Nur, weil die Waffen hatten, musste sich doch nicht jeder verstecken. Stattdessen sollten die uns lieber helfen, immerhin würden wir dann definitiv in der Überzahl sein.
"Wa..." Meine Beschwerde über Damons abruptes Stehenbleiben und mein darauf folgender Zusammenstoß mit ihm wurde durch seine Hand auf meinem Mund erstickt. Irritiert blieb ich stehen und lauschte; also entweder das Geräusch war plötzlich verschwunden oder Damon hörte Gespenster. Abgesehen von unserem leisen Atmen war es still. Ungeduldig versuchte ich mich los zumachen und schaffte es zumindest seinen Griff etwas zu lockern. "Ich habe begriffen, dass ich leise sein soll", zischte ich ihn an. "Tatsächlich?", raunte er zurück und bedachte mich mit einem bösen Blick. Augenverdrehend lehnte ich mich gegen die Wand, langsam übertrieb er es wirklich. Als ob hier jemand wäre, wenn überhaupt waren das wahrscheinlich unsere Leute.
"Verdammt nochmal, Lucy, musst du dich so anschleichen?" Sagte ich ja, keine feindlichen Männer. Stattdessen nur eine ziemlich überrascht aussehend Braunhaarige, die gar nicht so schnell reagieren konnte, wie Damon ihr den Arm auf den Rücken drehte und gegen die Wand drückte. Er ließ sie zwar genauso schnell wieder los, schien aber dafür noch verärgerter zu sein. "Was ist bitte an 'bleib wo du bist' so schwer zu verstehen?"
"Ähm...also...", stammelte Lucy und rutschte unauffällig ein Stück zur Seite. " Ich war mir nicht sicher, ob....und da dachte ich eben.." "Ist doch egal, die Frage ist eher, was wir jetzt machen. Von dumm rumstehen und diskutieren kommen wir auch nicht weiter", kam ich ihr zu Hilfe. Abgesehen davon, dass ich genau das meinte, was ich gesagt hatte, wusste ich ziemlich gut wie es Lucy gerade ging. Ich wäre auch nicht einfach irgendwo geblieben, am Ende hätte mich da noch jemand gefunden. Blöderweise lenkte ich damit Damons Aufmerksamkeit wieder auf mich und so wie er mich ansah gefiel es ihm überhaupt nicht, dass ich mich gerade eingemischt hatte. "Die Frage ist nicht, was wir machen, sondern was Lucy und ich jetzt machen. Du bleibst hier und wartest", knurrte er mich an und verschwand um die nächste Ecke. Das braunhaarige Mädchen warf mir noch einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie ihm folgte. Perplex starrte ich ihnen hinterher; erst wollte Damon nicht, dass ich mit kam und jetzt ließ er mich einfach ganz allein in einem Korridor ohne Versteckmöglichkeiten stehen. Noch unlogischer ging es doch gar nicht mehr.
Verständnislos lehnte ich mich gegen die Wand und sah abwechselnd in beide Richtungen des Ganges. Warum sollte ich ausgerechnet hier warten, das ergab keinen Sinn. Mal ganz davon abgesehen, dass ich kaum eine Chance hätte, wenn Newtons Leute plötzlich hier auftauchen würden. Sollte ich dann eigentlich immer noch hier stehen bleiben oder durfte ich in diesem Fall abhauen? Die Frage hätte ich vielleicht schon früher stellen müssen, aber es konnte ja niemand ahnen, dass ich möglicherweise schon ziemlich bald in eine Situation geraten könnte, in der ich entweder mich selbst rettete oder Damons Befehl befolgte. Und wenn die Typen wirklich im Überwachungsraum waren, konnten sie mich problemlos mit Hilfe der Kameras finden. Kameras....Unauffällig suchte ich meine Umgebung ab und war nicht sonderlich überrascht an der gegenüberliegenden Wand eine zu finden. Allmählich beschlich mich ein unangenehmer Verdacht; hatte Damon mich jetzt ernsthaft als Köder zurückgelassen? Das würde zumindest erklären, warum ich hier warten sollte, aber ich verstand den Sinn hinter dem Plan nicht. Wozu sollte meine Gefangennahme denn gut sein? Ich bezweifelte, dass die Eindringlinge dann einfach wieder verschwinden würden.
Das Geräusch von Schritten ließ mich aus meinen Überlegungen aufschrecken. Wer auch immer da kam, gab sich keine sonderlich große Mühe leise zu sein. Der Drang so schnell wie möglich weg zu rennen verstärkte sich mit jeder Sekunde mehr und ich umklammerte meine Waffe fester. Die Hoffnung, dass sie an mir vorbei laufen würden hatte sich bereits in Luft aufgelöst. Unruhig sah ich über meine Schulter, betete, dass Damon plötzlich um die Ecke kam und mir half. Wie zu erwarten tauchte er aber nicht auf; sollte ich mich jetzt wirklich gefangen nehmen lassen? Eine kurze Einweisung in seinen Plan wäre echt hilfreich gewesen.
Als ungefähr zwanzig Männer grinsend in meine Richtung kamen, hatte ich meine Entscheidung bereits getroffen. Ich würde mich so gut es ging verteidigen; eine richtige Chance abzuhauen hatte ich zwar angesichts ihrer Überzahl nicht, aber ich würde auch nicht kampflos aufgeben.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt