46. Kapitel

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"Ich hoffe wirklich, dass dieser Alaric weniger streng ist als Damon. Wenn die nächsten Wochen auch nur halb so anstrengend werden, wie unsere bisherige Ausbildung, werde ich wahnsinnig", beklagte sich Zoey theatralisch. Sie, Kevin und ich warteten seit zehn Minuten angespannt auf Alaric und stellten die verrücktesten Vermutungen bezüglich dem, was uns erwartete, auf. Mit ein bisschen Glück würden wir lediglich ein paar formelle Dinge erfahren, wenn wir Pech hatten, würden wir irgendeine Art Extra-Training absolvieren müssen. Um ehrlich zu sein, hatte ich darauf wahrscheinlich noch weniger Lust als Zoey. Meiner Meinung nach reichten die fünf Monate Ausbildung völlig, falls das jemand anders sah, würde ich den Offiziersrang mit Freuden wieder abgeben.
"Ich kann euch beruhigen, darauf, euch zu trainieren, habe ich genauso wenig Lust wie ihr. Deswegen lassen wir diesen Teil einfach mal ausfallen." Unbemerkt hatte unser neuer Ausbilder den Raum betreten und musterte belustigt unsere ertappten Gesichter. Ich wüsste zu gerne, wie viel von unserem Gespräch er mitbekommen hatte. Schweigen breitete sich aus, ehe Kevin sich unbehaglich räusperte. "Und was machen wir dann? Oder können wir wieder gehen?"
"Das hättest du wohl gerne", kopfschüttelnd setzte Alaric sich uns gegenüber und sah jeden nacheinander eindringlich an. "Als Offiziere habt ihr jetzt nicht einfach nur das Recht, andere rumzukommandieren, sondern, was viel wichtiger ist, Verantwortung. Nicht annähernd so viel, wie Christina, Damon oder Colin, aber ihr solltet das nicht unterschätzen. Wenn hier mal irgendetwas passiert, werden sich die Menschen unter anderem an euch wenden. Sie werden darauf vertrauen, dass ihr wisst, was zu tun ist und dann dürft ihr nicht einfach nur ratlos herum stehen und darauf warten, dass jemand anderes etwas tut." Er verschränkte die Arme und ließ seine Worte einen Moment wirken. Unsicher versuchte ich zu begreifen, was das für uns bedeutete. Eigentlich hatte ich kein sonderlich großes Problem damit, Verantwortung zu übernehmen, aber die Vorstellung, dass sich mehr als nur ein paar Leute auf mich verlassen, mir möglicherweise sogar ihr Leben anvertrauen würden, war auf eine seltsame Art und Weise bedrückend.
"Lola, nicht wahr?" Erschrocken bemerkte ich, dass Alaric mich fragend ansah und nickte schnell zur Bestätigung. Was wollte er denn ausgerechnet von mir? "Um die ganze Sache etwas besser zu verdeutlichen, einfach mal ein kleines Beispiel. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen sind die Offiziere die einzigen, die den genauen Ablaufplan einer Evakuierung, den ihr übrigens noch lernen müsst, kennen. Nehmen wir also mal an, dass plötzlich aus irgendeinem Grund Anlass zur Sorge um die Sicherheit aller besteht. Wann würdest du eine Evakuierung anordnen?" Die Frage ging dann wohl an mich.
"Ähm...wenn die Situation außer Kontrolle gerät?", murmelte ich ratlos. Wahrscheinlich würde ich nicht einmal auf diese grandiose Idee kommen, sondern eher selbst panisch durch die Gegend rennen.
"Falsch, du würdest das nie tun, Christina und Damon sind die Einzigen, die das Recht dazu haben. Andernfalls hätten wir ständig Fehlalarme", berichtigte mich Alaric. Solche Fragen waren gemein, die Antwort konnte ich überhaupt nicht wissen. Na gut, ich hätte es mir denken können, aber eine Sache irritiert mich trotzdem. "Und was ist, wenn beide...mhm...nicht in der Lage sind, eine Evakuierung anzuordnen?"
Meine Frage entlockte ihm zumindest ein anerkennendes Nicken, sie konnte also nicht allzu blöd sein. "Dann geht die Befehlsgewalt auf jemand anderen über, was dich aber nicht betreffen sollte." Sehr beruhigend. "Aber um zum Thema zurückzukommen, wenn tatsächlich eine Evakuierung notwendig ist und auch angeordnet wurde, was würdest du dann tun, Kevin?" Erleichtert, dass Alarics durchdringender Blick vorerst nicht mehr auf mir lag, dachte ich ebenfalls über die Frage nach. Vermutlich konnten wir die richtige Antwort entweder nicht wissen oder sie war so offensichtlich, dass niemand von selbst drauf kam.
"Ich würde die Befehle eines Vorgesetzten befolgen", zog Kevin sich elegant aus der Affäre. Zoey und ich grinsten unwillkürlich, auf die Idee musste man erstmal kommen, prinzipiell war an der Antwort absolut nichts auszusetzen. Selbst unser Ausbilder konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, ehe er seine Frage präzisierte. "Gut, im Moment ist aber niemand mit einem höheren Rang in der Nähe, nur ein Haufen verängstigter Zivilisten und ein paar andere, genauso planlose Phoenix, die selbst auf Befehle eines Vorgesetzten, also dir, warten."
"Ja, also dann..", Kevin fuhr sich nervös durch die Haare und dachte nach. "Dann würde ich vermutlich die anderen Phoenix in zwei Gruppen einteilen, die einerseits dafür sorgen, dass keine Panik ausbricht und alle geordnet mitkommen und andererseits den Weg zum nächsten Notausgang sichern. Und dann würde ich eben die Menschen dorthin bringen, sicherstellen, dass alle weg sind und dann zurückgehen und nachsehen, wo ich helfen kann."
"Warum sollen wir eigentlich jetzt darüber nachdenken, wenn wir sowieso dieses Protokoll auswendig lernen müssen?", warf Zoey mit dem Ende von Kevins Erläuterung ein. Die Frage hatte ich mir auch schon gestellt, es aber nicht gewagt, sie laut auszusprechen.
"Damit ihr mal seht, dass ihr nicht alles wisst und das Protokoll auch wirklich verinnerlicht. Ich werde euch diesbezüglich nicht kontrollieren, aber im Notfall müsst ihr schnell und vor allem richtig handeln, da habt ihr keine Zeit zum Überlegen." Alaric lehnte sich zurück und kramte etwas aus seiner Tasche hervor. Nach ein paar Sekunden überreichte er uns jeweils einen dicken Ordner und eine Art Brosche. So eine ähnliche hatte ich schon an Damons Jacke gesehen, jedoch nie sonderlich darauf geachtet. Neugierig betrachtete ich das schlichte Schmuckstück. Es war offenbar versilbert und hatte die Form eines Kreises. Im Gegensatz zu Alarics Brosche enthielt es in der Mitte nicht drei, sondern nur einen mattschwarzen Punkt.
"Diese Abzeichen", so konnte man es natürlich auch nennen, " kennzeichnen euren Offiziersrang, tragt sie immer gut sichtbar und verliert sie nicht. Die Ordner enthalten neben den Aufgaben und Befugnissen die ihr habt auch mehrere wichtige Anweisungen und Protokolle für bestimmte Situationen. Ihr habt bis übermorgen Zeit, um sie durchzuarbeiten, wenn ihr dann noch Fragen habt, solltet ihr sie stellen", erklärte Alaric und stand auf. Zögerlich taten wir es ihm nach und starrten ihn abwartend an, bis er eine Augenbraue hochzog und ungeduldig zur Tür sah. "Ihr könnt gehen."

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt